Vietnamesen zeichnet sprühende Energie aus – Freundlichkeit, Intelligenz und hohe Wissbegier schmücken sie zusätzlich. Gleichwohl sozialistisch und didktatorisch regiert, wirkt vieles zukunftsgerichteter als hierzulande.
Wenn die Sonne aufgeht, beleuchtet sie fern im Osten Asiens ökonomisch relativ stabile Staaten westlicher Ausrichtung mit hohen Lebensstandards wie Japan, (Süd)Korea, Republik China (Taiwan) oder Singapur und wie diese nach wirtschaftlichen Erfolgen ihnen nachstrebende Nationen wie Volksrepublik China, die konstitutionellen Monarchien Malaysia und Thailand oder eben die Sozialistische Republik Vietnam.
Vitalität sowie Geschäftsenergie wie ich sie hier erfahre, kenne ich sonst nur noch aus China und Israel. Solche Lebendigkeit erinnere ich aus meiner alten Heimat Deutschland kaum, schon gar nicht aus meinem ehemaligen Lebensort Berlin, einer Metropole die vielleicht bald als „Failed State“ bezeichnet werden wird. Vietnamesen erlebe ich landesweit sowohl heiterer als auch fitter denn viele meiner früheren Landsleute – und zwar trotz diktatorischer Herrschaftsbedingungen in VN sowie derer innewohnender Rechts- und Eigentumswillkür, vermüllter Straßen und Strände. Sozialistische Staats-Symbolik hier, wie sozialistische Klima-Symbolik dort, doch hat dies mit der Wirklichkeit wenig Berührung, wie jeder Besucher hüben oder drüben schnell erleben wird. Wenn nun die Lebensrealität hier in VN als Sozialismus bezeichnet werden soll, dann hätte man auch die untergegangene, kleinbürgerliche DDR als kommunistischen Staat betiteln können – das eine so daneben wie das andere.
Ja, der Stern auf der Roten Flagge Vietnams gemahnt an die kommunistische Revolution und die Führung der kommunistischen Partei; Erfolg für Arbeiter, Bauern, Soldaten, Intellektuelle und die Jugend (die fünf Zacken des Sternes). Hochgelobte Heilige von Hồ Chí Minh bis Lenin – beide als wächsern anzuschauende Körper unter Glas in ihren Mausoleen in Hanoi und Moskau zu bestaunen –, stolze Helden aus Arbeiterschaft und Militär, strahlende Mütter mit Kindern, wogende Reisähren und Lobeshymnen – prall bunte Plakatierung, Sozialismus-Kitsch all übers Land (selbst Ernst Thälmann wurde hier wie in der DDR Namensgeber öffentlicher Schulen).
Was nicht nur Vietnamesen, sondern asiatische Staaten allgemein verbindet, sind nun keine westlich geborenen Ideologien wie Sozialismus oder Ökologismus, sondern östlicher Pragmatismus und Buddhismus. Vietnamesen zeichnet sprühende Energie aus – Freundlichkeit, Intelligenz und hohe Wissbegier schmücken sie zusätzlich. Man sieht sie häufig in Gruppen und Familienverbänden zusammensitzen; Vereinbarungen scheinen locker getroffen, doch werden eingehalten. Ja es gibt auch Schlitzohren, doch weit weniger als ich es aus DE erinnere.
Angestellte eilen morgens zur Arbeit, Staatsbeamte folgen den Vorgaben der kommunistischen Partei; Cafés und Straßenküchen allüberall; an vielen Wegesrändern wird geschlachtet, gekocht, genäht, balbiert, serviert. Ab und an streifen uniformierte Polizeibeamte entlang und kassieren ihre „Strafzahlungen“ – Selbstausbeutung? Wird hier offenbar als Chance begriffen, um etwas für sich zu erreichen, trotzdem dieses Land – ähnlich China – einer Einparteiendiktatur unterworfen ist. Vielleicht ist es für das westliche Bewusstsein sinnvoll anzuerkennen, dass sich Zivilisationen global unterschiedlich entwickeln und sich auch im Osten vielleicht am kapitalistischen Geschäfts- und Finanzmodell, doch nicht unbedingt an abendländischer Demokratie- und Lebensart orientieren. Dazu ergibt es wenig Sinn, der Mär vom in sich friedfertigen Buddhismus allzu weit zu vertrauen – Mensch bleibt Mensch und buddhistische Staaten (vgl. neben Vietnam beispielsweise Myanmar, Thailand, Sri Lanka) haben häufig Militärs an der Spitze beziehungsweise Gewehr bei Fuß, die alles andere als Friedensengel sind.
Die Metropole Hanoi
Ein für westliche Verhältnisse exzessives Straßengewusel mit entspannter Regellosigkeit beherrscht Großstädte von früh bis spät. Noch vor 35 Jahren war das Fahrrad in Vietnam maßgebliches Verkehrs- und Transportmittel, heute ist das der Motorroller, überwiegend so wie die meisten Autos aus japanischer Produktion, die in ihrer Dominanz und mit der Behendigkeit und Chuzpe ihrer Piloten vorsichtig ihre Spur zu behauptende Autofahrer ausbremsen – mit resultierender Beulen- und Kratzerdichte. Gelegentlich rollen auch zwei- oder vierrädrige Elektromobile der vietnamesischen Firma Vinfast vorbei und noch seltener, da auf sichtlich gefährlichem Trip, sind inzwischen Fahrräder auf den großen Straßen unterwegs.
Deutschen Verkehrsteilnehmern würde hier eine steile Lernkurve zum Überleben abverlangt, wie auch Autofahrer in den großen Städten vergleichsweise wenige breite Straßen und Parkmöglichkeiten finden werden. Probleme, denen die Behörden mit mehr Spurbreiten, wo möglich, und Metrobau zu lösen versuchen; neu errichtete Häuser bieten häufig die Möglichkeit, dass die Fahrer unten direkt im Haus einparken. Zusätzlich wird m.E. hier deutlich, dass die nächste Stufe der Mobilität aufstrebender Motorroller-Fahrer sicherlich keine Tesla o.a. E-Autos sind, wie der Erfolg des wichtigen Marktführers Toyota zeigt, der fast ausschließlich Benziner produziert und hierher verkauft.
Die Metropole Hanoi ist ein gutes Anschauungsbeispiel für die Robustheit von Vietnamesen, die ja selbst von der erdrückenden militärischen Übermacht der USA nicht hatten bezwungen werden können. Die Smog-Glocke über der morgendlichen Stadt lässt sich durchaus mit der über dem ostdeutschen Chemiedreieck vor ca. 50 Jahren vergleichen und fast alle Zweirad-Mobilisten verhüllen sich seit vielen Jahren schon zum Schutz ihrer Atemwege mit Masken. Aus dem relativ zentral gelegenen Hồ Tây See angeln sich Leute Fische zum Verzehr auch da raus, wo manchmal schillernde Öllachen vorbeiziehen. Ich dachte immer, Japaner und Chinesen kriegt in Asien niemand unter, doch vielleicht sind Vietnamesen doch noch eine Spur härter – oder liegt das an der Energie gerösteter Hundewelpen? Auch diese, für den Verzehr gezüchteten Vierbeiner, finden sich nebst allerlei merkwürdigem Getier auf Märkten sowie Straßenküchen.
Überhaupt ist vietnamesische Essenkultur recht pragmatisch, an gutem Geschmack sowie Nährstoffen, mit viel Gemüse, orientiert und offenbar gesund, denn die Leute hier, vergleichbar meinen japanischen Landsleuten doch eben ganz anders als in DE, leiden nicht an den Gebrechen falscher Ernährungsgewohnheiten oder Bewegungsarmut. In vielen Straßenküchen werden leckerste Speisen serviert, von Bún Bò bis Phở, doch wer auf hohen hygienischen Ansprüchen beharrt oder an diversen Allergien leidet, würde an Vietnams Straßenküchen nicht unbedingt glücklich.
Dieses langgezogene Land hier, das sich über mehr als ein Dutzend Breitengrade sowie verschiedene Klimazonen bis in die Tropen erstreckt und von Nord bis Süd recht unterschiedlichen Menschen Heimat bietet, ist eigentlich viergeteilt – der Norden, der langgestreckte Mittelteil mit seinen schönen Stränden am Südchinesischen Meer, der Süden und das Mekongdelta extra mit seiner ganz eigenen Kultur und religiösen Mischung aus Buddhismus und Animismus. Vietnams Hauptstadt Hanoi, die auf Platz drei der 10 am stärksten verschmutzten Städte liegt, dominiert den Norden. Sie beherbergt nicht nur das moderne Parlament, sondern auch wichtige Stationen von Onkel Hồ, wie sein Holzhaus im Garten des Präsidentenpalastes und sein Mausoleum, das alte Regierungszentrum und Reste einer französisch geprägten Altstadt. Hồ Chí Minh, der journalistische Sporen in Paris verdiente, und auch General Giáp, genialer militärischer Stratege und langjähriger Verteidigungsminister, der erfolgreich gegen Franzosen, Japaner und Amerikaner kämpfte, quasi der gesamte Norden gelten eher als frankophil, während die Leute im Südteil sich im 20. Jahrhundert lieber den USA und DE zuneigten. Eigentlich ist also Hanoi eher das originale Hồ Chí Minh Stadt, wie die südliche Kapitale Saigon 1976 nach dem Sieg der Nordvietnamesen umbenannt worden war. Im Süden nennen viele von dort stammenden Familien ihre bedeutende Metropole immer noch Saigon (IATA Airport Code auch SGN), so wie schon früher in der DDR dortige Einwohner eher Chemnitz als Karl Marx Stadt sagten.
Ruhestandes mit jüngeren Asiatinnen
Im historischen Indochina waren bis auf das alte Reich Siam/Thailand nahezu alle Gebiete von den Eroberungen der früheren Kolonialmächte des Westens betroffen, die auf der einen Seite mit all den Abscheulichkeiten von Fremdherrschaft einhergingen (auf die Kriegsverbrechen von Franzosen, Japanern und Amerikanern hier extra einzugehen, würde den Rahmen sprengen), aber auch im Kampf der Zivilisationen moderne Entwicklungen anstießen, wie das einst in der Folge der Perserkriege oder des Alexanderzuges u.a.m. der Fall war. Alexandre Yersin beispielsweise entdeckte in Nha Trang, wo er seit 1891 lebte und wirkte, Erreger und Heilmittel der Krankheiten Diphteria, Malaria und Pest. Mit einem steinernen Denkmal auf der Ufer-Promenade von Nha Trang, in seinem nach ihm benannten Park, ehren ihn bis heute die Vietnamesen.
Der Auslöser der schlimmen mittelalterlichen Pestepidemien wurde zu seinen Ehren nach seinem Entdecker Yersinia Pestis benannt. Yersin verfasste hier in seinem selbstgewählten Lebens- und Schaffensort zahlreiche medizinische sowie agronomische und astronomische Abhandlungen, gründete Medizinschulen, bakteriologische Labore und Institute. Auch half Yersin beim Erschließen des klimatisch für Europäer recht angenehmen Lam Vien Plateaus auf ca. 1.500 m Höhenlage und der Gründung der dortigen Stadt Da Lat, aus welcher der einzig annehmbare vietnamesische Wein stammt – der freilich, Vietnam war nie Weinland, keine hohe Qualität besitzt. Franzosen führten nicht nur Winzerkunst ein, sondern für ihre Missionare auch Kaffeekultur, deren vietnamesische Variationen sich zu exzellenter Qualität wie Geschmack entwickelten. Eine hinzugekommene, ganz besondere Spezialität aus Südost Asien ist auch hier ein Kaffee aus Bohnen, ausgeschieden mit den Exkrementen von Schleichkatzen, welche diese Bohnen geschmacklich sehr zu schätzen wissen, diese in ihrem Verdauungstrakt zwar nicht verwerten können, aber mit Enzymen anreichern, die dem Kaffee eine besondere Note verleihen und ihn zum teuersten Bohnengetränk der Welt machen.
PS: Ein Phänomen, das ich schon im benachbarten Thailand beobachten konnte, offenbart sich auch hier – wohlhabende westliche Pensionäre, welche die Zeit ihres Ruhestandes mit jüngeren Asiatinnen versüßen wollen. Wenn man solche nun an den Stränden Ende Dezember mit Weihnachtsmützchen auf dem Kopfe zusammensitzen sieht, ihrer alten Heimatmusik lauschend, sollte man sie vielleicht bedauern. Häufig sind solche alten Männer nicht mehr allzu fit, schlank und gesund, sondern verkörpern eher das Gegenteil; sie sprechen auch zumeist nicht die Sprache der Einwohner und manchmal nicht einmal ausreichend Englisch, leiden bald unter Hitze, Schwüle wie Regenzeit und vielleicht am Ende unter der Gewissheit, dass all ihre Investitionen hier von lokalen Behörden, korrupten Beamten und örtlichen Familien abhängen – Nichtvietnamesen haben in VN keine Landnutzungs- und damit Eigentumsrechte. Sie sollten sich der Frage stellen, was denn eine 20–30 Jahre jüngere Frau von ihnen mit ihrem offen erkennbaren Verfallsdatum erwartet und es sich gut überlegen, ob gewisse Sehnsüchte, deren Erfüllung sie vielleicht kurzzeitig genießen mögen, den Einsatz ihrer Ersparnisse wert sind.
Bernd Hönig ist Altertumswissenschaftler (Magister Artium Religionswissenschaft/Judaistik), Jahrgang 1966, lebte fast 30 Jahre in Berlin, traf seine heutige Ehefrau Mayu 2016 in Deutschland und lebt jetzt mit ihr in Japan. Dieser Beitrag erschien zuerst in seinem Blog japoneseliberty.com. Dort beleuchtet er bevorzugt nichtalltägliche Themen, beurteilt aus der liberalen Sicht eines abendländisch freien Geistes.