Joachim Nikolaus Steinhöfel / 16.12.2022 / 14:29 / Foto: Achgut.com / 11 / Seite ausdrucken

Viel Rauch um Twitter

Eine am Mittwoch bekannt gewordene Entscheidung des Landgerichts Frankfurt, die überwiegend zu Lasten von Twitter erging, hat in den deutschen Medien für große Aufregung gesorgt. Ein wirklicher Grund dafür ist nicht zu erkennen. Denn in dem Urteil steht nach Maßgabe der Pressemitteilung des Gerichts nicht viel wirklich Neues.

Der Bundesgerichtshof hat schon vor über zehn Jahren entschieden, dass Twitter, Facebook & Co. unter bestimmten Umständen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen haften, die auf ihren Plattformen begangen werden. Dabei gelten folgende Grundsätze:

Die Plattformbetreiber sind nicht verpflichtet, die von den Nutzern in das Netz gestellten Beiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Sie sind aber verantwortlich, sobald Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt wird. Weist ein Betroffener die Plattform auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin, kann die Plattform verpflichtet sein, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern, so entschied der BGH schon am 25.10.2011.

Und das Landgericht Frankfurt merkt in seiner Pressemitteilung selbst an:

„Twitter werde [mit diesem Urteil] auch keine allgemeine Monitoring-Pflicht im Hinblick auf seine rund 237 Mio. Nutzer auferlegt. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzung.“

Das Telemediengesetz regelt im Kern das, was der BGH in dem zitierten Urteil entschieden hat. So heißt es in § 7 Abs. 1 TMG zunächst, dass die Plattformen – natürlich – für das haften, was sie selbst veröffentlichen. Absatz 2 sieht dann aber eine Haftungsprivilegierung vor. Die Plattformen „sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.“

Die Urteilsgründe aus Frankfurt sind noch nicht öffentlich. Sollte aber ein Gericht durch ein Urteil eine Haftung und Überwachungspflichten der Plattformen begründen wollen, die das Gesetz ausdrücklich nicht vorsieht, könnte fraglich sein, ob eine solche Entscheidung die Instanzen übersteht.

Im Wettbewerb der Meinungen fehlt ein objektiver Maßstab für die Einteilung in „richtig“ und „falsch“

Eine weitere Passage der Pressemitteilung verdient Aufmerksamkeit. Danach sei die Bezeichnung des Klägers als „Antisemit“ „zunächst eine Meinungsäußerung“, diese sei aber „jedenfalls in dem gewählten Kontext rechtswidrig, denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ziele erkennbar darauf ab, in emotionalisierender Form Stimmung gegen den [Kläger] zu machen.“

Ob es tatsächlich mit dem in Art. 5 GG verbrieften Grundrecht auf Meinungsfreiheit in Einklang zu bringen ist, dass ein Gericht die Grenzen der Meinungsfreiheit dort zieht, wo nach seiner Ansicht nicht mehr ausreichend „zur öffentlichen Meinungsbildung“ beigetragen werde, könnte zweifelhaft sein. Einem Gericht steht es nicht zu, die Meinungsfreiheit nach Kategorien der Nützlichkeit der Meinung für den öffentlichen Diskurs einzuordnen und gfs. zu untersagen, wenn es dies verneint. Im Wettbewerb der Meinungen fehlt ein objektiver Maßstab für die Einteilung in „richtig“ und „falsch“, „gut“ oder „schlecht“; Meinungsbildungen und Wertungen sind subjektive Vorgänge. Für den Staat gilt daher eine Neutralitätspflicht im (publizistischen) Wettbewerb: Er darf nicht bestimmte Meinungen oder Tendenzen durch Förderung begünstigen oder benachteiligen. Am 22.06.2018 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden:

„Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat.“

Viel Spielraum für die Vergabe von Zensuren, je nach Nützlichkeit des Beitrags zur öffentlichen Meinungsbildung, bleibt also nicht.

Foto: Achgut.com

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Leserpost

netiquette:

sybille eden / 16.12.2022

Das Urteil passt nicht zum Rechtspositivismus des Regimes, und man wird sich darüber hinwegsetzen.Ich glaube Frau Stern hat Recht, der konservativ - liberale und freiheitliche Zug in diesem Lande ist entgültig abgefahren.

Hans-Peter Dollhopf / 16.12.2022

Letztes Zitat. Hammer! Was sich von Frühling / Sommer ‘18 bis Herbst / Winter ‘22 so verschoben hat.

j. heini / 16.12.2022

“Die Plattformbetreiber sind nicht verpflichtet, die von den Nutzern in das Netz gestellten Beiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Sie sind aber verantwortlich, sobald Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt wird.” Wie erlangt Twitter oder eine andere Plattform “Kenntnis”? Indem ein “Kommentator” die Meinung äußert, es liege eine Rechtsverletzung vor? Denn das kann ja eigentlich nicht sein. Und überprüfen muss Twitter Meinungen der Kommentatoren nicht. Und was das Gericht für “im gewählten Kontext rechtswidrig” hält, ist es vor einem Urteil für den Normalo oder eine Plattform wie Twitter noch lange nicht. Was das Gericht damit sagt, ist, dass es eine Einzelfallentscheidung fällt, die nicht einfach auf andere “Kontexte” übertragen werden kann. Herr Steinhöfel, immer wieder vielen Dank für Ihre juristischen Artikel

S. Marek / 16.12.2022

Und Sie sehen immer noch kein Land.  Melden Sie sich wenn es sich ändert.

Jochen Brühl / 16.12.2022

Na dann wollen wir mal sehen, ob sich das Bundesverfassungsgericht in seiner heutigen Zusammensetzung noch an die Formulierung aus dem Jahr 2018 erinnert, wenn es dann demnächst in einem AFD-Parteiverbotsverfahren konkret wird. Wenn dem so sein sollte, müsste ja nicht einmal die AFD in Thüringen große Sorgen haben. Da klingen aber die ausgewiesenen Verfassungsexperten der Grünen wie z.B. Ricarda Lang ganz anders.

Bodo Bastian / 16.12.2022

Meinungsfreiheit? Ich gehe davon aus, dass jeder, der hier schreibt, seinen ganz persönlichen Trojaner auf dem Rechner hat. Und das gilt für Autoren wie für Forenteilnehmer.

giesemann gerhard / 16.12.2022

Schwyzerdütsch ist ein Anwalt ein “Fürsprech”. Für viel Geld. Der Verständige meidet die. Allerdings: Kaum eine Chance: Das BVerfg soll den, also DEN Juristen “Einhalt gebieten”, die die Gesetze machen, nach denen weisungsgebundene Staatsanwälte verfahren und anklagen müssen (beim Strafrecht), Richter “erkennen” müssen, regelmäßig Juristen also letztendlich, die die allgemeine Politik machen. “Einhalt gebieten”? Mehrheitlich Juristen hocken im Parlament, der Legislative, der daraus resultierenden Rechtsprechung, der Jurisdiktion, der Exekutive, die macht und Macht ausübt. “Einhalt gebieten”! Na ja, mit gutem Willen geht das, aber wenn nicht? Juristen haben durch die geschilderte Kette von der Legislative über die Judikative zur Exekution schon ein paar deutsche Staaten zur Schnecke gemacht. Wie der gefürchtete Uroboros beißt sich die Schlange auch gerne mal in den eigenen Schwanz ... . Das heißt, die von Juristen beherrschte Politik biegt sich die anderen Juristen dann schon zurecht. Es gibt immer genug von ihnen, die da/s mitmachen. Es kann aber natürlich auch ein Entschlossener sein, der beschließt, Politiker zu ... . (“Es muss demokratisch aussehen, aber ...”). Dann biegt halt der zurecht, was passend gemacht werden soll - er findet immer genug “Flexible”. Wenn die Verfassung, das GG nicht dicht hält und die (Landes)Verfassungen nicht dicht halten, dann ist der Staat nur noch eine Räuberbande. Das zu verhindern ist Aufgabe des BVerfg. Ob es dieser Aufgabe wohl auch “gerecht” wird? Medizynisch gesprochen: Von der Phimose über die Stenose zur Nekrose. Aus die Maus.    

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