Um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe überhaupt nichts gegen Soziologen, ganz im Gegenteil. Ich kenne einige Soziologen, die ich sehr schätze und von denen man eine Menge lernen kann. Es ist ein Genuss, sich mit ihnen auszutauschen, insbesondere weil es ihnen gelingt, sich aus ihrer Fachsprache zu befreien und Nichteingeweihten wie mir die Erkenntnisse ihrer Wissenschaft anschaulich zu vermitteln. Leider ist diese Gabe den wenigsten Wissenschaftlern gegeben, und dieses Phänomen ist auch längst nicht auf die Soziologie beschränkt. Welcher Jurist kann schon das Abstraktionsprinzip einem Laien verständlich erklären? Welcher Physiker könnte schon knapp erläutern, was es mit der Heisenbergschen Unschärferelation auf sich hat? Und Ökonomen haben ganz offensichtlich Probleme bei der Darstellung komparativer Kostenvorteile und des Freihandels, denn sonst wäre er schon längst Wirklichkeit geworden.
Vielleicht ist es unfair, aber ich habe doch das Gefühl, dass die Unverständlichkeit jenseits des Tellerrands der Eingeweihten bei Soziologen doch noch weiter verbreitet ist als in anderen Disziplinen. Vielleicht liegt es auch nur an mir, was ich auch nicht ausschließen mag. Aber ich verstehe die meisten Soziologen einfach nicht - weder in den von ihnen verfolgten Ansätzen noch in ihrer Sprache.
Besonders deutlich wurde mir dies in den vergangenen drei Tagen, als ich an einer Konferenz zum Thema Wohnungsbau und Nachhaltigkeit an einer nordenglischen Universität teilnahm. Von den Teilnehmern her war es eine bunte Mischung aus Wohnungsbauexperten, Architekten, Stadtplanern, Geographen ... und eben Soziologen. Ich war der einzige bekennende Ökonom und damit als Deutscher gleich in einer doppelten Minderheit. Vermutlich war ich auch noch etwas liberaler und weniger “nachhaltig” und “sozial-gerecht” eingestellt als der Durchschnittsteilnehmer. Aber wie dem auch sei, die Atmosphäre der Konferenz war ausgesprochen freundlich, die Gespräche zwischen den Vorträgen anregend, und mit den allermeisten Teilnehmern konnte man abends auch durchaus genussvoll ein Glas Rotwein trinken und dabei gut über Gott und die Welt diskutieren.
Nur bei den eigentlichen Vorträgen wurde es manchmal schwierig. An einem Nachmittag hatte ich mich leider in der Nummer des Seminarraums geirrt und statt nun etwas über den Wohnungsbau im ländlichen Raum zu erfahren, fand ich mich in einem soziologisch-angehauchten Workshop über sozialen Wohnungsbau in Australien und Schottland. Halb aus Höflichkeit und halb aus Neugier blieb ich aber doch und hörte den Vorträgen zu. Im ersten Referat ging es um Probleme mit asozialen Mietern in australischen Sozialwohnungen. Wie ich erfuhr, ist solches Verhalten insbesondere bei Aborigines festzustellen, die einen großen Anteil am australischen “Prekariat” haben. Die Frage sei nun, wie mit Mietern umzugehen sei, die immer wieder den Hausfrieden stören, worunter andere Mieter zu leiden haben.
Bis zu diesem Punkt konnte ich der vortragenden Wissenschaftlerin auch noch problemlos folgen. Aber in meiner Naivität hätte ich nun angenommen, dass man den problematischen Mietern auf irgend eine Weise zu verstehen geben müsste, dass ihr Verhalten nicht akzeptabel ist und dass sie, wenn sie es nicht ändern, riskieren, ihre Wohnung zu verlieren. Falsch gedacht. Die eigentliche Herausforderung, so stellte die Soziologin klar, bestehe darin, das störende Verhalten erst einmal zu verstehen, und dazu gebe es mehrere Möglichkeiten. Es folgten Ausflüge in Vertragslehre Rousseaus und Einsichten des verhinderten Wohnungsmanagementexperten Karl Marx. Diese wurden aber gleich wieder verworfen, denn die einzige Möglichkeit, den problematischen Aborigine-Mietern Australiens gerecht zu werden, liege in der Anwendung postmoderner feministischer Theorie. Ich war sprachlos, und mir wollten auch für die anschließende Diskussion keinerlei Fragen mehr einfallen.
Der folgende Vortrag über Stadtteilerneuerung am Beispiel Glasgows wurde von zwei ausgesprochen sympathischen schottischen Doktorandinnen der Soziologie gehalten. Aber obwohl weder Marx noch Rousseau und erst recht nicht postmoderne Feministinnen zitiert wurden, verbesserte sich mein Verständnis kaum. Das lag an der schnellen Abfolge von Wörtern, die in der Soziologie wohl allesamt eine ganz andere Bedeutung angenommen haben, als Nichtsoziologen vermutet hätten. Und wenn das dann auch noch im tiefsten schottischen Dialekt referiert wird, der mir je in Großbritannien begegnet ist, dann klingt das zwar alles ganz wunderbar (ich höre Schotten eigentlich ganz gerne, allein schon wegen der sprachlichen Herausforderung), aber folgen konnte ich den beiden doch immer weniger.
Ich habe mich übrigens am folgenden Tag revanchiert und einen ökonomisch und juristisch angehauchten Vortrag über Stadtplanung und Kommunalfinanzen in Deutschland und der Schweiz gehalten. Hoffentlich haben die Soziologen mich und mein Englisch besser verstanden als ich sie.