Die Versenkung des Kreuzers als Symbol betrifft sowohl die ukrainische als auch die russische Seite – was für erstere ein schöner Prestige- und Propagandaerfolg ist, könnte letztere zur Rache verleiten.
Sagen Ihnen die Namen „HMS Royal Oak“ oder „HMS Hood“ etwas? Oder „HMS Glorious“? Alle drei Schiffe waren Symbole der maritimen Macht Großbritanniens. Und alle drei Schiffe wurden versenkt. Die „HMS Royal Oak“, ein echtes Schlachtschiff, wurde am 14. Oktober 1939 durch U47, Kapitän Prien, versenkt. Die „HMS Glorious“, einen Flugzeugträger, erwischte es am 8. Juni 1940 durch Treffer der Schlachtschiffe „Gneisenau“ und „Scharnhorst“. Die „HMS Hood“, die „mighty Hood“, lange Jahre Stolz und Flaggschiff der britischen Flotte, wurde innerhalb von drei Minuten am 23. Mai 1941 von der „Bismarck“ versenkt. 1.415 Matrosen fanden den Tod. Haben alle diese Versenkungen dazu beigetragen, den Zweiten Weltkrieg entscheidend zugunsten Hitlerdeutschlands zu wenden? Nein.
Der Jubel über die Versenkung der „Moskwa“, Stolz der russischen Schwarzmeerflotte – ob aufgrund eines ukrainischen Raketentreffers oder wirklich brutaler Dummheit der eigenen Besatzung, die den Kahn erst anzündet und dann in einem „Sturm“ versinken lässt (eigentlich kaum vorstellbar) – ist natürlich so verständlich wie sinnlos. Ob nun eine Moskwa eine Salve aus ihren Raketenwerfern feuert oder dies acht andere Schiffe gleichzeitig tun, macht am Einschlagpunkt auf der anderen Seite keinen Unterschied. Die „Moskwa“ hatte eine Besatzung von rund 500 Mann, die meisten dürften von dem brennenden Schiff evakuiert worden sein, bevor es in den Schlepp ging, sodass sich die Verluste an Menschenleben durch die Versenkung in Grenzen halten dürften.
Gleichwohl ist die Versenkung ein schöner Prestige- und Propagandaerfolg der ukrainischen Seite, die wahrlich bis auf hinhaltenden Widerstand keine symbolträchtigen Erfolge vorweisen kann. Immerhin: Kiew hat bisher standgehalten, Charkow auch, von Mariupol weiß man nichts Genaues.
Die russische Marine hat sich in ihrer Geschichte noch nie mit echtem Ruhm „bekleckert“
Das Problem ist, dass die Versenkung der „Moskwa“ als Symbol nicht nur die ukrainische, sondern auch die russische Seite betrifft. Nach der Versenkung der Hood ließ Churchill eine regelrechte Hetzjagd auf den Duellsieger, die „Bismarck“ veranstalten, die dann folgerichtig am 27. Mai mit einem Verlust von 2.100 Mann versenkt wurde. Ähnlich wird Putin mit dem Verlust der „Moskwa“ umgehen: Er wird sich für den Verlust dieses Symbols der russischen Macht im Schwarzen Meer rächen. Wenn es tatsächlich ein Raketentreffer war, der zum Untergang der „Moskwa“ führte, dann dürfte sich die Abschussstelle über kurz oder lang identifizieren und dem Erdboden gleichmachen lassen. Und selbst wenn sie sich nicht identifizieren lässt – Putin wird nach einem ähnlich prestigeträchtigen ukrainischen Symbol suchen, um dieses zu vernichten. In Ermangelung eines anderen Symbols würde ich als beleidigter Kriegsherr mindestens den Majdan in einen Krater verwandeln. Kriege dieser Art erfahren kein logisches Denken mehr, sondern folgen simplen Prinzipien wie „Rache“ und „wie du mir, so ich dir“.
Daneben wirft die Versenkung der „Moskwa“ aber noch eine weitere Frage auf: Sind schwere Kriegsschiffe überhaupt noch zeitgemäß? Eigentlich galt diese Frage seit der Versenkung der „Yamato“ 1945 durch amerikanische Flugzeugträger als beantwortet, und tatsächlich sind schwere Überwassereinheiten seit der Erfindung gelenkter Raketenkörper auch aus U-Booten heraus obsolet geworden. Kleinere Einheiten können derartige See-gegen-Land-Einsätze viel flexibler gestalten und nach dem Prinzip „Feuern und schnell wieder abhauen“ im Hinblick auf Verluste schonender gestalten. Es hat seinen Grund, warum beispielsweise der Iran auf kleine, wendige Einheiten statt auf das eine Riesenschiff setzt. Mit bewaffneten Symbolen über die Meere zu schippern, setzt diese Symbole eben auch dem Risiko aus, versenkt zu werden. Aus diesem Grund ließ Hitler auch die „Deutschland“ seinerzeit in „Lützow“ umbenennen. Schlagzeilen nach dem Motto „Deutschland wurde versenkt“ mochte man sich im Propagandaministerium nicht zumuten.
Andererseits hat sich auch die russische Marine in ihrer Geschichte noch nie mit echtem Ruhm „bekleckert“. Sei es die blamable Versenkung der Pazifikflotte bei Port Arthur gegen die Japaner im Jahr 1904, die darauf folgende peinliche, ja, fast slapstickartige Entsendung der russisch-baltischen Flotte dorthin, die auf dem Marsch ins Einsatzgebiet englische Fischerboote versenkte und damit um ein Haar den Ersten Weltkrieg mit völlig veränderten Fronten ausgelöst hätte (und sich daraufhin eine zeitlang von der englischen Flotte begleitet und bewacht fühlen durfte), sei es die dann folgende fast vollständige Vernichtung eben jener Flotte in der Seeschlacht von Tsushima 1905 durch Admiral Togo. Den Verlusten der Japaner mit 116 Toten standen damals Verluste der Russen in Höhe von 5.000 Toten und 6.000 Gefangenen gegenüber.
Landmächte sollten maritime Symbole meiden
Vielleicht ist es tatsächlich so, wie der Kollege Uwe Jochum in seinem bemerkenswerten Artikel vom 11. April über die Peloponnesischen Kriege schrieb: „Die Seemacht muss die politische, ökonomische und kulturelle Dynamik parallel ausrichten und den Bürgern, die sich darauf einlassen, einen Zugewinn an politischer (Ausweitung des Herrschaftsraumes), ökonomischer (Reichtum) und kultureller (die Kultur der Seemacht ist Weltkultur) Macht versprechen. Die ,Tradition‘ hingegen ist eine spartanische Sache, die nicht auf Geld angewiesen ist, sondern schlicht darauf, dass die Traditionsbindung der Menschen greift und sie aus dieser Tradition heraus im Konfliktfall dann auch die Kraft zum geschlossenen Handeln gewinnen. Ansonsten wollen sie in Ruhe gelassen werden.“
Russland und Deutschland waren nie Seemächte, Briten und Japaner – bis Ende des Zweiten Weltkriegs – schon. Demnach waren auch die Niederlagen dieser beiden Landmächte im Vergleich mit den genannten Seemächten immer absehbar. Umso mehr sollten sich Landmächte, um den Kreis zu schließen, vor maritimen Symbolen hüten.
Zynische Ironie der Geschichte: Auf den Tag genau, am 14. April 1912 zerschellte in einer sternenklaren Nacht der Stolz Großbritanniens auf seiner Jungfernfahrt an einem schnöden Eisberg: die „Titanic“. Ganz ohne Feindeinwirkung.