Robert von Loewenstern / 28.04.2021 / 07:30 / Foto: Imago / 184 / Seite ausdrucken

Verplappert: Merkel hebelte Rechtsweg mit Absicht aus

Angela Merkel pflegt einen entspannten Umgang mit dem Grundgesetz, das ist nichts Neues. Manche Beobachter bescheinigen ihr gar ein „zynisches Verhältnis zu den Grundrechten“. Selten jedoch bekennt die Kanzlerin ihr eigenwilliges Verfassungsverständnis so offen wie am Dienstag. 

Im Rahmen des Formats „Die Kanzlerin im Gespräch“ waren ausgewählte Kulturschaffende zur Online-Diskussion gebeten. Dabei beklagte eine Buchhändlerin nicht nachvollziehbare Corona-Beschränkungen für ihren Geschäftsbetrieb (hier ab Minute 13:10). Seit März habe sie sich „fünf verschiedenen Verkaufskonzepten“ ausgesetzt gesehen. Unter anderem sei sie mal als systemrelevant eingestuft gewesen, dann wieder nicht. 

Die Widersprüche konnte die Kanzlerin nicht auflösen. Stattdessen verabreichte sie der gebeutelten Geschäftsfrau kostenlose Weisheiten: „Ich kann Ihnen die letzte schlüssige Antwort nicht geben. Das Leben ist so vielfältig, das habe ich jetzt auch gelernt, dass man wahrscheinlich überall gewisse Brüche hat, die nicht mit der letzten Logik zu erklären sind.“

Rechte beschnitten, Problem gelöst

Zur Frage, was man tun könne, dass es „nicht wieder zu einem ständigen Wechsel kommt“, erklärte Merkel: „Wenn Sie jetzt gerade über 150 gekommen sind, ist das natürlich dumm. Seit Sonnabend gilt überall bis 150 Inzidenz in jedem Landkreis oder jeder kreisfreien Stadt, dass Click and Meet mit Test möglich ist.“

Dann folgten denkwürdige Sätze: „Was können wir tun, damit das nicht durch Gerichte wieder infrage gestellt wird? Dadurch, dass wir jetzt ein Bundesgesetz gemacht haben, kann es nur durch das Bundesverfassungsgericht noch überprüft werden, das heißt also, man hat nicht die verschiedenen Verwaltungsgerichts-Entscheidungen. […] Und was hat die Sache noch mal erschwert? Dass verschiedene Gerichtsentscheidungen immer nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz gehen. Also dann wird gesagt, ok, Buch ja, Computerfestplatte nein, ist das richtig? Da gab’s Gerichtsentscheidungen, die gesagt haben, nein, da muss auch der Computershop aufgemacht werden. Und schwups ist man in einer Bahn, wo dann alle Geschäfte auf sind.“

Zusammengefasst: Die lästige Justiz in den Ländern erschwerte der Politik die Arbeit, weil sie die Rechtmäßigkeit von Corona-Maßnahmen im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz prüfte. Also schuf die Regierung ein Bundesgesetz, damit die unbotmäßigen Untertanen ihre Rechte nicht mehr so leicht einklagen können. Problem gelöst.

Munition für Verfassungsbeschwerden

Nicht unbedeutend, was Angela Merkel da entfuhr. Schließlich ist das in Artikel 3 verankerte Recht auf Gleichbehandlung eines der wichtigsten Grundrechte der deutschen Verfassung. Und die Kanzlerin gibt offen zu, dass die Bundesregierung mit der Novelle des Infektionsschutzgesetzes den Rechtsweg bewusst einschränkte, um den Bürgern die Einklagbarkeit dieses Grundrechts zu erschweren.

Klar, der Umstand, dass die „Bundesnotbremse“ den Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten abschneidet, ist bekannt und einer der Gründe dafür, dass zahlreiche Experten das Gesetz für verfassungswidrig halten. Aber es macht einen erheblichen Unterschied, ob die Einschränkung des Rechtsweges nur Nebeneffekt – sozusagen Kollateralschaden – ist oder ein mit Absicht verfolgter Zweck des Gesetzes.

Letzteres hat die Kanzlerin im „Bürgerdialog“ nun ungewollt bestätigt. Anwälte und Professoren, die die zahlreichen Verfassungsbeschwerden gegen die „Bundesnotbremse“ unterstützen, dürfen sich freuen: Mit ihrem Rausrutscher hat Angela Merkel ihnen ein weiteres Stück Munition geliefert. 

Foto: Imago

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Gabriele Kremmel / 28.04.2021

Macht es wirklich einen Unterschied, ob ein so offener Verfassungsbruch als Nebenprodukt entsteht oder ob er beabsichtigt herbei geführt wurde? Für mich war die ganze Zeit klar, dass es Merkel um zwei Dinge ging: Das Aussperren des lästigen Klageweges und die Hoheit über die Dauer des Infektionsgeschehens mithilfe der modulierbaren Zahl Inzidenzwert.  In einem Wort: Willkür. Nur so kann sie diverse Ziele mit dem mächtigen Instrument Infektionsschutzgesetz erreichen und es noch “demokratisch aussehen lassen”. Eines sind ihre Machtspielchen und die Unterdrückung von Kritik und Widerstand, das andere das massenhafte Impfen. Wo kämen wir denn hin, wenn die (echten) Infektionszahlen sinken und damit die Impfbereitschaft nachlassen würde.

Bernhard Freiling / 28.04.2021

Tja, permanent eine Lüge aufrecht erhalten zu müssen, kann schon Kraft kosten. Da mag Mancher überfordert sein. Je mehr, je länger die Lüge verteidigt werden muß.

Ulrich Viebahn / 28.04.2021

Wie wenig vertrauenswürdig und wie trickreich diese Frau handelt, hätten wir alle gleich am Anfang wissen können. Bevor sie 2005 Bundeskanzlerin wurde, sagte sie: “Es wird keine Mehrwertsteuererhöhung mit mir geben”.  Kaum im Amt, hat die Regierung dann die Mehrwertsteuer nicht nur auf 18 sondern auf 19% erhöht.

Peter Heuer / 28.04.2021

Ich sehe mir die Alte nicht freiwillig an. Bei den Zitaten allein zucke ich schon zusammen. “Und schwups ist man in einer Bahn, wo dann alle Geschäfte auf sind.” Die Frau redet mit uns wie im Kindergarten, schleift gleichzeitig Grundrechte , installiert ihre Günstlinge an Schlüsselpositionen und verbrennt Milliarden an Volksvermögen. Wann ist Deutschland eigentlich so falsch abgebogen?

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