Gestern trafen sich die Achgut Media GmbH und die NewsGuard Technologies GmbH wegen der Newsguard-Bewertung von Achgut.com als einer der „einflussreichsten deutschsprachigen Verbreiter von Fehlinformationen“ vor Gericht. Hier ein Bericht.
Am 29.03.2023, 14:00 Uhr, fand die Verhandlung zwischen den obigen Parteien vor der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Karlsruhe statt. Verhandelt wurde über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen der Bewertung der „Achse des Guten“ im „Misinformation Monitor: Dezember 2022“ von Newsguard. Diese lautete:
„Ein konservativer Blog, der über deutsche Politik berichtet und unter anderem zu den Themen Migration und Klimawandel falsche und irreführende Behauptungen veröffentlicht hat.“
Weiter teilt das Unternehmen mit: „Zum Jahresende 2022 hat NewsGuard auch dieses Jahr zwei Top-10-Listen zusammengestellt. Einerseits schauen wir dabei auf einige der einflussreichsten deutschsprachigen Verbreiter von Fehlinformationen im Netz, die von den NewsGuard-Analystinnen in diesem Jahr identifiziert wurden.“
In dieser Liste landete die Achse auf Platz 3, zwei Plätze „besser“ als im Vorjahr. Ist das Bewertungssystem rechtmäßig? War die Einstufung der „Achse“ als Verbreiter von Fehlinformationen tatsächlich richtig und zulässig?
Die Verhandlung endete damit, dass der Vorsitzende Richter NewsGuard fragte, ob man ein Anerkenntnis abgeben und eine Abschlusserklärung (zur endgültigen Rechtskraft) abgeben wolle. Dann würde es auch keine Urteilsgründe geben, in denen das Gericht möglicherweise Stellung zu den streitigen Punkten nehmen würde. NewsGuard lehnte ab und wird wohl einen klassischen Pyrrhus-Sieg erzielen. Aber der Reihe nach.
In der heutigen Verhandlung ging es zunächst um komplizierte prozessuale Fragen, bei deren Erörterung Interessantes über NewsGuard ans Tageslicht kam.
1. Örtliche Zuständigkeit
NewsGuard hat die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe gerügt, weil sein Sitz in Limburg an der Lahn sei. Unternehmen sollen in bestimmten Fallkonstellationen dort verklagt werden, wo sie „zuhause“ sind, wo ihr Büro ist, ihre Verwaltung, die Beschäftigten. Der Gesetzgeber möchte damit verhindern, dass man ohne Weiteres vor ein auswärtiges Gericht gezerrt werden kann. In der Verhandlung kam dann ans Tageslicht, dass NewsGuard in Limburg gar nicht existiert. Oder, in den Worten ihrer in der Verhandlung anwesenden „Managing Editor & Vice President Partnerships, Deutschland & Österreich“, Roberta Schmid: „In Limburg ist gar nichts. Da geht auch keine Post hin.“ Ein Firmensitz der deutschen GmbH existiert nicht, kein Büro, kein Anlagevermögen, keine Betriebsausstattung, nicht einmal ein Briefkasten.
Die Post an die deutsche GmbH lässt man sich, wie eine Briefkastenfirma, an ein im Impressum angegebenes Anwaltsbüro in Berlin zustellen. Und dann? Schmid: „Die Post wird dann nach New York weitergeleitet“. Wo auch der einzige Geschäftsführer ansässig ist. Der spricht zwar kein Deutsch, erklärt aber an Eides Statt, er prüfe auch die Bewertungen deutscher Nachrichtenseiten. In Deutschland existiert man also nicht. NewsGuard operiert laut Website mit freien Mitarbeitern. Die Frage, ob es sich dabei möglicherweise um Scheinselbstständige handelt oder diese in maßgeblicher Weise auch andere Auftraggeber haben, wäre von den zuständigen Behörden zu prüfen. § 266a StGB regelt das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. Ich fragte Frau Schmid, ob sie bei der deutschen GmbH angestellt sei, ob es einen Arbeitsvertrag gebe. Schmid: „Ich bin bei der irischen Firma angestellt und an Deutschland sozusagen ausgeliehen“. Ob das eine Leiharbeit im arbeitsrechtlichen Sinne (Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeit, Zeitarbeit) sei, fragte ich Schmid. Große Augen, keine Antwort: „Ich will ja hier auch nichts Falsches sagen.“
Das ist richtig, wenn man seinen Lebensunterhalt damit verdient, Anderen Falschinformationen zu attestieren. Man sollte aber über die Natur seines eigenen Arbeitsverhältnisses Auskunft geben können, wenn man vor Gericht auftritt. Auf Anweisung ihres Anwalts sagte Frau Schmid dann gar nichts mehr. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass es die deutsche GmbH von NewsGuard nur auf dem Papier gibt. Sie existiert weder räumlich, noch hat sie irgendwelche Angestellten, kein Büro, kein Anlagevermögen, nur einen Briefkasten bei einem Dienstleister. Ein Phantom. Aber das Phantom möchte an seinem „Sitz“ verklagt werden. Wie das Gericht diese Rechtsfrage beantwortet, blieb offen.
2. Vorgehen im Eilverfahren?
Ein Vorgehen im Eilverfahren (siehe Update am Ende des Artikels) setzt voraus, dass der Kläger zügig agiert und nicht trödelt, weil er dann selbst zeigt, dass die Sache ihm eilig ist. Wenn man einen Rechtsverstoß kennt und zu viel Zeit vergehen lässt, bis man ihn gerichtlich geltend macht, bleibt das Eilverfahren verschlossen.
Newsguard hat bereits vor einem Jahr einen Misinformation Monitor veröffentlicht, der sich nach unserer Einschätzung aus einer Reihe von Gründen maßgeblich von dem für das Jahr 2022 unterscheidet. Das Gericht teilte diese Meinung nicht und steht auf dem Standpunkt, es gebe keine maßgeblichen Unterschiede. Die „Achse“ hätte also schon vor einem Jahr das Gericht anrufen müssen. Das Gericht wird daher die Eilbedürftigkeit verneinen. Fehlt es an der Eilbedürftigkeit, wird der Eilantrag abgewiesen, selbst wenn der Antrag in der Sache begründet ist. Wir halten das für falsch.
3. Die „Falschinformationen“
Was sagt das Gericht zu dem Vorwurf, die „Achse“ verbreite Falschinformationen?
NewsGuard hat sich bei der Einstufung der Achse im Misinformation Monitor 2022 auf fünf Artikel gestützt, die das Gericht der Reihe nach erörterte. Das Ergebnis hätte also 5:0 für Newsguard, 5:0 für die Achse oder auch 3:2 oder 2:3 lauten können. Wollen Sie schon einmal tippen? Anzumerken ist, dass die „Achse“ im Jahr etwa 4.000 Artikel veröffentlicht. Schon vor diesem Hintergrund scheint eine Belegbasis von fünf Artikeln dürftig. Diese fünf Artikel waren die Grundlage für die Bewertung von NewsGuard:
a) Die Laborgate-Affäre (06.12.2022)
Das Gericht hielt die Einschätzung von NewsGuard für falsch, den im Text erörterten Meinungsumschwung des US-Immunologen Fauci zum Laborursprung des Covid-Virus als „nicht plausibel“ zu bewerten, sei eine Falschmeldung. Dies sei eine Meinungsäußerung und keine Falschinformation. 1:0 für die „Achse“.
In diesem Moment erklärte Frau Schmid, sie sei wirklich fest davon überzeugt, dass NewsGuard mit seinen Einschätzungen richtig liege, und wenn das in einen Fall einmal nicht so sei, dann gäbe es ja noch die weiteren Beanstandungen. Was die Kammer – vorläufig und vorbehaltlich nochmaliger Beratung – dann zu den weiteren „Falschinformationen“ sagte, auf die Frau Schmid sich berief, folgt hier:
b) Und nochmal: Verschlimmert die Impfung womöglich COVID? (31.08.2021)
Der Text sei, so das Gericht, aus dem Vorjahr und nicht aus 2022 und somit für eine Bewertung, die auf das Jahr 2022 abstellt, zu alt. Der Text sei im Übrigen auch fachlich richtig und trage die Bewertung von NewsGuard als Falschinformation erneut nicht. 2:0 für die „Achse“.
c) Wie ich asozial wurde (01.08.2021)
Der Artikel, so das Gericht, sei aus dem Vorjahr und nicht aus 2022 und somit erneut für eine Bewertung, die auf das Jahr 2022 abstellt, zu alt. Der Text erhalte erkennbar keine Fehlinformationen. Das Gericht: „Der Vorwurf wirkt so, als wenn man irgendwas gesucht hätte.“ 3:0 für die „Achse“.
d) Impffolgen: Wie viele wird es treffen? (16.06.2021)
Auch dieser Artikel wurde nicht im Jahr 2022 veröffentlicht. Das Gericht erläutert, dass der Artikel nicht behaupte, was der „Steckbrief“ von Newsguard ihm unterstelle. Auch dieser Artikel enthalte keine Falschinformationen, maximal handele es sich um unterschiedliche wissenschaftliche Ansichten. 4:0 für die „Achse“.
e) WHO beendet Epidemische Lage von Nationaler Tragweite (22.01.2021)
Dies ist der vierte von fünf Artikeln, den Newsguard für den Misinformation Monitor 2022 herangezogen hat, der gar nicht aus 2022, sondern dem Vorjahr stammt. Das Gericht machte deutlich, dass seine Einschätzung vor nochmaliger Beratung auch hier sei, dass „definitiv keine Falschinformationen“ vorliegen und die Heranziehung eines zwei Jahre alten Textes den Bogen dessen überspanne, was als aktuelle Falschinformation erfasst werden könnte.
Schlusspfiff. Endstand 5:0 für die „Achse“.
4. Wie geht es jetzt weiter?
Die Kammer wird den Eilantrag abweisen, weil sie auf dem Standpunkt steht, man hätte die Ansprüche schon vor einem Jahr geltend machen können. Das ist eine rein formale Entscheidung, die den Anspruch selbst nicht infrage stellt. Deswegen auch die Frage des Vorsitzenden Richters an NewsGuard, ob man anerkennen wolle. In der Sache war klar, dass die Bewertung der „Achse“ durch NewsGuard nicht einmal mit einem einzigen Text belegt werden konnte. Das Gericht stellte dem „Misinformation Monitor“ von NewsGuard damit ein vernichtendes Zeugnis aus.
Die „Achse“ wird in den nächsten Wochen Klage gegen NewsGuard erheben und mit dieser Klage nicht nur die Bewertung der „Achse“ angreifen, sondern das gesamte Bewertungssytem von NewsGuard schlechthin.
Steven Brill ist der Geschäftsführer von NewsGuard. Er hat in dem Verfahren eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, in der er erklärt, er habe die Bewertungskriterien von NewsGuard in einem „sehr intensiven geistigen Schaffensprozess“ entwickelt. Was dabei herausgekommen ist, sollte der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden. In der eidesstattlichen Versicherung erklärt Brill u.a.:
„Newsguard nimmt auf Grundlage seiner umfassenden Bewertung beispielsweise in den folgenden Fällen an, dass eine Nachrichtenseite regelmäßig Falschinformationen veröffentlicht… Auf der Website werden wiederholt Verschwörungserzählungen verbreitet, die nicht widerlegt werden können, aber nach Einschätzung von Newsguard keine Faktengrundlage haben und gegen die eine Fülle von Beweisen spricht.“
Brill kann etwas nicht widerlegen, gegen das eine Fülle von Beweisen spricht. Man schießt nicht mit einer Elefantenbüchse auf betrunkene Hamster, und darum enthalte ich mich hier eines Kommentars über diesen Frontalzusammenstoß mit den Denkgesetzen.
Der Ausnahmejournalist Brill erklärt in seiner eidesstattlichen Versicherung auch, dass „aus Sicht von NewsGuard Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Webseite Fehler nicht regelmäßig richtigstellt“, wenn nicht „mindestens eine Korrektur pro Jahr vorgenommen wurde.“ Auch diesen realitätsfernen Unsinn lässt man besser unkommentiert.
Nachdem NewsGuard nun vom Gericht direkt erfahren hat, dass keine einzige der Beanstandungen, die gegen die Achse vorgebracht wurden, die diskreditierende Einstufung rechtfertigt, sind wir gespannt darauf, zu erfahren, wie lange NewsGuard braucht, um die eigenen Falschinformationen, wonach die „Achse“ Falschinformationen verbreite, zu korrigieren.
„Nicht zuletzt steht die fundamentale Frage im Raum, wer in einer offenen Gesellschaft legitimerweise über wahre/richtige und falsche Meldungen entscheiden soll“, Prof. Dr. Peukert, Goethe-Universität, Frankfurt.
Was wir schon lange wissen, aber Newsguard spätestens seit dem 29.03.2023 weiß: NewsGuard ist es nicht.
Hinweis der Redaktion:
Meinungsfreiheit im Netz
Einen Prozess gegen NewsGuard führen, kostet enorm viel Zeit und Geld. Wir würden das nicht ohne unseren Anwalt Joachim Steinhöfel leisten können, der uns mit seiner Initiative „Meinungsfreiheit im Netz" unterstützt. Steinhöfel hatte in der Vergangenheit Facebook-Löschungsopfer oft pro bono beraten. Um Prozesse zu führen, braucht es allerdings Unterstützung, wenn der Kläger selber nicht genügend Geld aufbringen kann. Der Medienrechtler hat deshalb jetzt die Initiative „Meinungsfreiheit im Netz“ gegründet. Die Initiative wendet sich gegen Zensur und Einschüchterungsversuche und hilft Betroffenen, darunter auch Leser von Achgut.com. Wir bitten daher diese enorm wichtige Initiative mit einer Spende zu unterstützen. Das können Sie hier tun.
Update zu Punkt 2 (Eilbedürftigkeit)
In einigen Kommentaren klingt an, die Verneinung der Eilbedürftigkeit durch das Gericht sei absehbar und es sei fehlerhaft gewesen, (erst) jetzt gegen den „Misinformation Monitor“ vorzugehen. Ich wollte in dem – nicht juristischen – Text nicht zu tief in prozessuale Details einsteigen. Wegen der Kommentare aber hier doch ein kurzes Update: Die Eilbedürftigkeit wird nach ständiger Rechtsprechung neu begründet, wenn neue Umstände vorliegen, die Rechtsverletzung intensiviert wird oder eine neue, gefährlichere Verletzungssituation entstanden ist. Dies ist hier aus einer Reihe von Gründen der Fall, u.a. weil die „Achse“ erstmals plakativ als „Fehlinformations-Website“ bezeichnet wurde und weil für eine Bewertung der Seite im Jahr 2022 fast ausschließlich Artikel von 2021 herangezogen wurden. Beides war im Vorjahr nicht der Fall und beides, neben weiteren Aspekten, begründet auch hier die Eilbedürftigkeit.