Thilo Schneider / 07.05.2023 / 16:00 / 15 / Seite ausdrucken

Verloren im Autoradio

Digitalradio hören im fahrenden Auto ist hierzulande nicht immer leicht. Schnell verliert man seinen Sender und hört plötzlich die „Nachtsonate in Cis-Mann“ eines Komponisten „auf dem Höhepunkt seiner Manneskraft“.

Das sogenannte „Digitalradio“ ist eine prima Sache. Der Sound von Musik und Reportagen ist glasklar und völlig ohne Rauschen, wie dies in den alten Tagen von Kurzwelle, Mittelwelle, Dauerwelle, Langwelle und Ultrakurzwelle der Fall war. Besser geht es nicht. Wenn der Radioempfänger an einem festen Ort steht. Befindet sich der Empfänger allerdings an einem mobilen Ort wie beispielsweise einem Kraftfahrzeug, so kann es gelegentlich passieren gelegentlich passieren, dass sich einzelne Worte oder Sätze wiederholen oder einzelne Worte oder Sätze wiederholen. Wenn der Zuhörer Glück hat. Hat er Pech, so hört er gar nichts mehr. Ein trauriges „Signal verloren“ kommt dann auf dem Display, wo eben noch RadioAktiv mit den besten Hits der 40er Jahre lief.

So geht es mir, als ich zwischen Odenwald, Spessart und Taunus meinen Lieblingssender verliere, was ich sehr schade finde. Also drücke ich auf dem Display einfach auf „weiter“ und lande bei „Klassik Radio Intellektuell“. So zeigt es der Sendersuchlauf an. Gerade verklingen die letzten Takte des All-time-Hits „Poor Elise“ von Chopin. „Das war die „Kleine Nachtmusik“ von Mozart“, gespielt vom Panikorchester des Hamburger Rundfunks unter der Leitung von Hein Blöd in der Version vom 23.4.2002 anlässlich der Schiffseinweihung des Dreimastschoners „Birte“ im Hamburger Ehe-Hafen“, korrigiert mich eine Sprecherin mit etwas spröder Kuratorinnenstimme. Und ich sehe sie vor meinem geistigen Auge, wie sie in blauer Häkelbluse mit randloser Brille und streng zurückgekämmten grauen Haaren mit Dutt im letzten Studio, ganz hinten in der Ecke des Funkhauses, vor ihrem Mikrofon sitzt.  Und die Welt mit klassischen Konzerten erfreut. Also mich und vermutlich den anderen, der auch seinen Sender verloren hat.

„Unser nächstes Stück ist die Nachtsonate in Cis-Mann für drei Bratpfannen und eine Oboe von dem kongenialen tschechischen Komponisten Pjotr Szcepenepinski, die er anlässlich der Thronbesteigung von Szczepan dem Harthörigen im Jahre 1803 als Auftragsarbeit innerhalb vom zehn Stunden zusammengeklöppelt hat“, erklärt die mir bis dato unbekannte ältere Dame mit einem Anflug von Stolz. Ich denke, dass ich mir das einmal anhören sollte, wenn ich bereits bei Mozart so kolossal versage, da mein Spezialgebiet die Populärmusik der 80er Jahre ist. Man kann ja nie genug für die eigene Bildung tun. Und an Wissen trägt man ja auch nicht schwer und jetzt kenne ich wenigstens schon Pjotr Szcedingsbums.

„Die Nachtsonate in Cis-Mann schrieb Pjotr Szcepenepinski auf dem Höhepunkt seiner Manneskraft“, erklärt meine Kuratorin weiter, „insgesamt ist dies sein 34stes Werk und Teil seines 12-bändigen Zyklus „Die Periode aus der Sicht des gebildeten Herren“ oder, wie es auf Tschechisch heißt „Nemám kurva ponětí o ženách“.“ Das alles ist ja sehr interessant, aber ich würde jetzt gerne auch das Stück hören? Bitte? Aber nicht mit dem Musikgenie auf der anderen Seite des Senders, denn es gibt nicht nur über das Werk etwas zu wissen. „Die folgende Aufnahme entstand in Zusammenarbeit mit dem SWR-Tanzballett unter Karol Gewescenek in der Zusammensetzung 4-4-1 und einem Flügelspieler. Übersetzt in ein Stück mit zeitgenössischen Instrumenten wie Kolophonium, Elektrotheremin und Mikrowelle hat es der Wiener Sängerknabe und Aushilfskardinal Franz Würstl, hier arrangiert vom Hauptsponsor des Rundfunksymphonieorchesters Przemyśl unter der Leitung von Přemysl Bogdanovic…“ plaudert meine Musiklehrerin weiter und ich merke, dass mir so etwas die Augenlider auf Halbmast gehen, wenngleich ich die Ironie, dass ein Přemysl ein Rundfunksymphonieorchester aus Przemyśl leitet, nicht überhört habe. „…in ironischer Weise interpretiert hat!“ Ich bin jetzt wirklich sehr gespannt, wie das Stück wohl klingen mag, aber noch ist es nicht so weit.

Seltsame Regionalsender

Denn: „Die nun folgende Tonaufnahme in Stereo entstand anlässlich der Kulturtage 1988 in Prakovce in der Ostslowakei, aufgenommen mit zwei Standmikrofonen und einem Kassettenrecorder der Marke Minett 2 bei leicht böigem Wind und 23 Grad Außentemperatur…“, aha, gut zu wissen,  „…weswegen wir die wirklich erbärmliche Tonqualität zu entschuldigen bitten…“, kein Problem, „…aber bedenken Sie, dass es zu dieser Zeit schwierig war, Musikaufnahmen zu machen und zu veröffentlichen.“ Ja, das war mir bekannt.

„Mein Name ist Ingeborg Haller-Weinstein“, outet sich jetzt die Kuratorin, „…und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnüg…“ und weg isse, die Ingeborg. Ich bin wieder in der Zivilisation, um mich herum scheinen die warmen Lichter einzelner Gehöfte und ich suche verzweifelt „Klassik Radio Intellektuell“ im Sendersuchlauf, den mir das DRECKS-Digitalradio eben abgedreht hat. Ich hätte das blöde Stück (also, nicht die Moderatorin, sondern das Ding von Pjotr Bumsdings) jetzt wirklich gerne auch gehört, nachdem es in Prakovce anlässlich der Kulturtage so derart durchschlagende Erfolge feierte.

Aber es nutzt und nützt nichts. Ich drücke auf dem Sendersuchlauf wie auf einem Synthesizer herum, aber alles, was ich bekomme, sind seltsame Regionalsender mit anspruchsloser Schlagermusik oder den Deutschlandfunk mit anspruchslosen Radiopimmeleien von irgendwelchen Spinnern, die sich die Weltrevolution wünschen. Schließlich bleibe ich bei „Radio DingDong“ hängen. Sie spielen „Time“ von Boy George und dem „Culture Club“ in der Originalversion von 1982 anlässlich des ersten Studioalbums „Kissing to be clever“. Gut. In diesem Wasser kann ich schwimmen! Rutsch mir den Buckel herunter, Ingeborg Haller-Weinstein!

(Weitere musikalische Artikel des Autors hier und unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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Leserpost

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Karsten Dörre / 07.05.2023

Einigen Lesern scheint unbekannt, dass DAB-Radio auch nichtöffentlichrechtliche Radiosender anbietet, die ihr ursprüngliches Zuhause im Internet haben. Wer DAB kennenlernen möchte, empfehle ich kombiniertes DAB- und Internetradio für zu Hause. Dass Herr Schneider als deutsches, mobiles DAB-Versuchskaninchen fungiert, ist bedauerlich. Meine Frau und ich sind übrigens Radio-Paradise-Fans (kalifornischer Musiksender, nur Internet).

Stefan Riedel / 07.05.2023

Radio Gaga, Radio Googoo ? (Queen). Digitales Radio? Ist kein Radio! Ich Mittelwellen-Freak? Radio muss rauschen, knacken, manchmal unhörbar sein,.... AFN-Frankfurt auf Mittelwelle. Das war Radio! (Touch down, Florida State).

Stephan Bender / 07.05.2023

Radio hört eigentlich kein Schwein mehr, weil die Gefahr zu groß ist, dass man davon Ohrenkrebs bekommt. Für Autobahnauffahrten eignet sich zur Zeit besonders der Song “Frankie Goes To Hollywood - Two Tribes (Annihilation Mix)” von 1984. Besonders die Orchesterpassage ab 4:20 min ist legendär.

George Samsonis / 07.05.2023

Mein schönes Auto hat zum Guten Glück noch einen CD-Spieler ...

Burkhart Berthold / 07.05.2023

Wenn Sie Glück haben, erwischen Sie auch mal ein Werk aus der Feder des noch weithin unbekannten P.D.Q. Bach, eines der zahlreichen Söhne des weithin bekannten J.S. Bach. Bach-Vater hatte diesen Bach-Sohn zu enterben vergessen, aber findige Musikwissenschaftlicher wie Peter Schickele (e.a.) haben ihn wiederentdeckt. Immer noch ein Geheimtip. Wenn man ihn hört, weiß man, weshalb.

Emil.Meins / 07.05.2023

Ich habe in letzter Zeit im Internetradio “Antenne 1 Classic Rock gehört, wo sich eine Endlosschleife wiederholt, die stündlich von etwas Werbung unterbrochen wir. Dann kam aber plötzlich das: “Hallo, mein Name ischt Peter Hauk, ich bin der Minischder für die Wälder in Baden-Württemberg” und dann ging ein Gefasel über Umwelt und Klima über die lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger nieder. Peter Hauk ist Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, aber da er eigentlich Forstwirtschaft studiert hat und aus dem tiefsten Odenwald stammt, hat er das wohl nicht ganz mitbekommen (”...wie war das nochmal im Mittelteil?”) Und wenn man dann auf der Webseite “baden-wuerttemberg.de” auf Home klickt, steht da tatsächlich ernsthaft “Part of The Länd”, und bei “Mitglieder der Landesregierung” sieht man ein Foto der Lichtgestalten mit dem alten KBWler Winfried vornedran, gleich links davon hinter einem grinsenden Strobl, eine rotbackige grüne Kugel im Tarngewand, bei der man sich fragt, wie die sich an den Kabinettstisch verirrt hat und stellt dann fest, das Wesen ist die Kultusministerin und heißt Theresa Schopper. Besser geht’s nicht. Bei “Wir können alles außer Hochdeutsch” und dem Sprachgenie Günther H. Oettinger rollten sich ja schon vor Fremdschämen die Fußnägel, aber es geht immer noch schlimmer, wie man sieht. Ich habe jedenfalls jetzt einen anderen Sender gesucht.

Boris Kotchoubey / 07.05.2023

Wie schön der Text auch ist, den Inhalt habe ich nicht verstanden. Ich fahre viel Auto, oft auch längere Strecken. Seit etwa 2017 kann ich überhaupt kein Radio hören. Alle (deutschsprachigen) Sender ärgern mich gleich. Wenn der Autor sagt, er würde lieber X als Y und schon auf keinen Fall Z hören, so ist es für mich die haarspalterische Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Scheiße. Ich wil keinen Seinder mit meiner Einschaltquote nur um einen Pfennig unterstützen, Bei mir ist seit Jahren schon das Autoradio definitiv aus, ich höre nur das, was ich mitbringe.

Anton Weigl / 07.05.2023

Rollo Tomasi, gibt es solche Typen wie John Denver noch? Politisch Links, Friedensaktivist und begeisteter Flieger. Er ist schließlich auch als Pilot bei einem Absturz ums Leben gekommen. Gibts die Countrymusic noch im öff. Rundfunk?

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