Jesko Matthes / 28.02.2017 / 18:00 / Foto: Tomaschoff / 0 / Seite ausdrucken

Verlieren mit dem Kanzlerinnenmakel

Von Jesko Matthes.

Umfragen sind mit größter Vorsicht zu genießen. Alle Demoskopen rechneten mit dem Sieg Hilary Clintons, und der Wahlsieger hieß Donald Trump. Das liegt aber auch an einer Besonderheit des US-amerikanischen Mehrheitswahlrechts. Wegen des Zuschnitts der „Wahlkreise“ und der Wahl des Präsidenten nach dem Wahlmännersystem lagen die Demoskopen ebenso falsch wie richtig. Die Mehrheit der Wählerstimmen erhielt Clinton, die Mehrheit der Wahlmänner fiel jedoch an Trump.

2005 wetterte auch Gerhard Schröder gegen demoskopische Meinungsmache. Wenn nun die Demoskopen behaupten, die SPD überhole gerade die CDU, und Rot-Rot-Grün habe bereits eine rechnerische Mehrheit, ist das ein Anlass zur Skepsis. Volker Kauder tönt bereits, man sei „wild“ entschlossen, die Bundestagswahl zu gewinnen. So wild wie Schröder 2005, eine Aufholjagd, wird es eher nicht werden.

Es darf nämlich nicht übersehen werden, welche Tatsachen bereits gegen eine solche Entwicklung bis zum Herbst sprechen. Zum einen hat Rot-Rot-Grün bereits jetzt eine ungenutzte rechnerische Mehrheit im Bundestag.

Der „neue Ruck“

Zum anderen haben Bundespräsidentenwahlen bisher immer die Weichen in Richtung der Partei des Bundespräsidenten gestellt. Und der heißt demnächst Frank-Walter Steinmeier; er dürfte seiner Partei zumindest nicht im Wege stehen. Er wird staatsmännisch äußern, das Land stehe vor großen Herausforderungen, die neue Ideen und flexible Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit erforderten, kein rigides Festhalten an dem, was war und wie Deutschland gestern reagierte; das Land benötige Antworten auf die Fragen von heute und auf die von morgen. So würde ich es formulieren, wenn ich seine Reden schreiben dürfte, weil das als kleiner Hinweis für den Urnengang völlig genügen dürfte. Wenn er, Steinmeier, fies sein will, so sollte er kalt lächelnd hinzufügen, dieser „neue Ruck“ müsse jetzt durch das Land gehen.

Zum Dritten ist der Kanzlerkandidat der SPD von der historischen Schwäche der SPD in der Großen Koalition unbelastet. Das mag man angesichts seiner „Leistungen“ in Brüssel noch so lächerlich finden – gerade sein persönlicher „Dexit“ aus den gelähmten europäischen Institutionen wirkt bereits als das, was er ist: die Rückkehr der SPD zum Nationalen auf Kosten der CDU, in Gestalt des Martin Schulz. Sein paradoxes Gebaren, seine plötzliche Mutation vom überzeugten Europäer zum Volkstribun der Deutschen wirkt daher - auf den ersten Blick - sogar glaubhaft.

Schwer verkäuflicher Kanzlerinnen-Cocktail

Viertens hat seine Gegnerin sich an den ungelösten Problemen des Inlands und Auslands bereits sichtlich aufgerieben. Sie hat Führungsschwäche als Politik „auf Sicht“, also ohne Weitsicht, nur schwach getarnt. Sie hat sich in der Wirklichkeit von den Vorlieben ihrer Bürger treiben lassen. Der Euro? Wunderbar! Also „retten“ wir den Euro und erklären alles andere zur finis europae und in Verdun sogar zum casus belli. Kriege? Bäh! Also setzen wir die Wehrpflicht aus, dann braucht das Militär keinen gesellschaftlichen Rückhalt, alles Profis, die müssen das für wenig Geld auch so hinbekommen. Atomkraft? - Igitt! Also erklären wir über Nacht die „Energiewende“. - Multikulti? - Klasse! Seit 35 Jahren inoffiziell zunehmende Staatsdoktrin. Also öffnen wir über Nacht die Grenzen. Das Ganze pauken wir durch ein willfähriges Parlament oder ordnen es einfach an, davor oder spätestens danach stellen wir es als „alternativlos“ dar und ziehen uns in die großkoalitionäre Wagenburg zurück – alle anderen: Populisten! Bei einem derart sozialdemokratisierten Programm dieser Kanzlerin, das bereits Realität ist, wird es auch immer schwerer für die CDU, zu vermitteln, warum man diesen Kanzlerinnen-Cocktail, Sozialdemokratie plus Grün plus linke Meinungshoheit „light“, wählen soll, wenn man am Tresen auch das unverfälschte Original zum gleichen Preis haben kann. Der politische Konservatismus, von Merkel und ihrer Koalition beharrlich in die rechte Ecke gedrängt, beschränkt sich auf Bayern, ist anderswo längst zur AfD abgewandert oder gibt ein paar Stimmen der FDP.

Die politische Kontur ist aufgelöst

Überall bröckelt es, nicht nur rechts bei der CSU, die sich mit Hängen und Würgen und einem auf den Stockzähnen lächelnden Chef zu Merkel als Kandidatin bekennt, es bröckelt jetzt auch links, beim Koalitionspartner. Schon Sigmar Gabriel wies vor Monaten angesichts der Migration sinngemäß darauf hin, „soziale Gerechtigkeit“ gelte auch für Einheimische. In diese von allen Parteien gern usurpierte Worthülse schlüpft jetzt bereitwillig der Volkstribun, Martin Schulz.

Die CDU wird sich noch wundern angesichts des anstehenden Wahldebakels. Die politische Kontur dieser Partei hat sich in Luft aufgelöst. Auch in ihren Kernkompetenzen, der Wirtschaft, der inneren und äußeren Sicherheit machen sich schwere Verfehlungen bemerkbar. Die Liste des Versagens reicht von Griechenland über den Breitscheidplatz bis zur NATO. Es ist zwar lächerlich, ihr (der Kanzlerin oder der CDU, was inzwischen dasselbe ist) auch noch Trump und den „Brexit“, dazu die autoritären Frechheiten und Gewalttaten Putins und Erdogans allein zuzuschreiben. Wahrnehmen wird man sie zumindest jedoch als diejenige, die sich als ziemlich hilflos erwiesen hat angesichts dieser Herausforderungen. Ihre Sanktionen gegen Putin wird man nicht viel anders einordnen als die Handelshemmnisse eines Donald Trump, wenn es zu Rot-Rot-Grün kommt. So wird der Kanzerbonus bereits jetzt zum signum mali ominis.

Das Ende der CDU?

Vieles davon ist nicht allein die Schuld der Kanzlerin. Die SPD hat alle die genannten Fehler mitgetragen und befördert. Grüne und Linkspartei haben nicht widersprochen, sie haben applaudiert. Hinterher schlauer sein ist immer einfach – doch noch liegt der Wahltag vor uns. Allerdings: Ein Denken von gestern her gewinnt keine Wähler, wenn die Zeiten sich ändern. Es verliert die Wahl, ob einem das gefällt oder nicht.

Dieser Abgesang auf die Kanzlerin wird dabei auch der Abgesang auf die CDU sein. Die CDU ohne Merkel wird auch eine CDU ohne Bosbach sein, ohne Lammert; die anderen Namen kennt noch niemand, aber auch Wolfgang Schäuble ist nicht mehr jung. Merkels Satelliten werden politisch verbrannt sein. Wenn sie, die CDU, nicht ganz daran zerbricht wie die italienische Democrazia Cristiana oder unter 20 bis 30 Prozent ziemlich bedeutungslos wird wie die griechische Nea Dimokratia, dann wird sie sehr lange brauchen, sich von dem zu erholen, was nun auf sie zukommt. Immerhin bleibt ihr eine Chance. Diejenige, Teil eines Bundestags zu sein, in dem es überhaupt wieder eine Opposition gibt.

Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch Evern

Foto: Tomaschoff

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