Henryk M. Broder / 29.10.2007 / 23:02 / 0 / Seite ausdrucken

Verlag und Verlegenheit

Wenn man länger Kunde bei 2oo1 ist und eine Weile nix bestellt hat, bekommt man einen fürsorglichen Brief vom 2oo1-Geschäftsführer. “Daher möchten wir uns wieder ins Gedächtnis rufen.” Auch Martin Kloke bekam so einen Brief. Statt aber eine Bestellung aufzugeben, schrieb er dem 2oo1-Geschäftsführer, warum er bei 2oo1 nicht mehr einkauft:

Lieber Herr Tolkemit,

Sie fragen in Ihrem Kundenschreiben, warum ich schon so lange nichts mehr bei “Zweitausendeins” bestellt habe. Die Frage will ich Ihnen gerne beantworten:

Als Sie 2002 den Verschwörungsbestseller von Mathias Bröckers verlegt und jahrelang intensiv beworben haben, ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass Ihr keckes linksliberales Programm (“kritisch seit 1969”) krude Schnittmengen mit judenfeindlichen und rechtsextremen Ideologemen aufweist: Ist Ihnen das bewusst, gar ein verkaufsstrategisches Kalkül?

Jetzt haben Sie Ihrem Kundenbrief ein Werbemagazin beigelegt, dass auf der Titelseite Ilan Pappe ziert, der mit missionarischem Eifer die Delegitimierung Israels betreibt - um jeden Preis, auch um den der historischen Wahrheit: Auf dem Cover und im Innenteil prangern Sie die “verdrängte blutige Entstehungsgeschichte Israels” an - doch weder die Pogrome des frühen 20. Jahrhunderts noch der Vernichtungsantisemitismus der Nazis kommt Ihnen dabei in den Sinn. Emphatisch - mit Pappe als jüdischem Kronzeugen - behaupten Sie: “Am Anfang (!) stand die ethnische Säuberung Palästinas”.

“Es gibt Dinge, die sind so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist”, heißt es bei Karl Kraus. Was hier so viel heißt wie: Die Historie der Entstehungsbedingungen Israels und des Palästinakonflikts ist ein bisschen komplizierter als ihr reißerisches Werbemagazin suggeriert - sie hat auch mit den monströsen Verbrechen der Eltern und Großeltern vieler erwachsener Deutscher von heute und mit arabischen Monopolansprüchen auf ganz Palästina zu tun.

Hätten Sie vor der Veröffentlichung und plakativen Bewerbung der schrillen antizionistischen Thesen Pappes die Seriosität des wissenschaftich nicht nur isolierten, sondern auch von wenig objektiver Distanz geprägten “Historikers” Ilan Pappe überprüft, wäre Ihnen aufgefallen, dass der in Großbritannien lebende Autor seit vielen Jahren cum ira et studio gegen Staat und Gesellschaft des demokratischen Israel zu Felde zieht. Dabei kann er auf die Sympathien der weltweiten Antisemiten-Gemeinde zählen - nicht zuletzt in Deutschland und Europa, bis in das rechtsextreme Spektrum hinein. Seit der Untersuchung von Theodor Lessing über den “jüdischen Selbsthass” (1930) wissen wir, dass es auch unter Juden antisemitische Ressentiments gibt - so wie es frauenfeindliche Frauen, homophobe Schwule und bibliophobe Verleger gibt. Ein wesentliches Motiv jüdischer Antisemiten ist es, sich bei der vermuteten Weltanschauungs-Mehrheit der “Israelkritiker” einzuschleimen: „Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar“ – so fasste Jean Améry schon 1969 seine Bobachtungen auf den Punkt.

Welcome to the club!

Mit freundlichen Grüßen
Martin Kloke

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