Das Aktenzeichen 2 BvE 1/18 des Bundesverfassungsgerichts wird mit Sicherheit in die Rechtsgeschichte Deutschlands eingehen. Die Achse des Guten richtete gestern folgende Anfrage an die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichtes:
Wir berichten im Moment u.a. über die juristische Debatte zum Thema Grenzöffnung. Siehe unter anderem hier und hier. Für die weitere Berichterstattung in diesem Zusammenhang habe ich folgende Frage: In einem Youtube-Video hat der Abgeordnete des Bundestages, Stephan Brandner (AfD), dargelegt, seine Fraktion habe wegen der Grenzöffnung eine Organklage gegen die Bundesregierung eingereicht. Ich bitte um Mitteilung, ob das zutrifft und gegebenenfalls mit welchem Inhalt und juristischer Begründung sowie mit welchem Aktenzeichen diese Organklage an welchem Datum erhoben wurde. Ich bedanke mich im voraus,
mit freundlichen Grüßen
Dirk Maxeiner
Der Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichtes, teilte darauf hin mit:
"Ein solches Verfahren ist hier am 14. April dieses Jahres eingegangen und wird unter dem Aktenzeichen 2 BvE 1/18 geführt. Der Antrag ist auf die Feststellung der Verletzung der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages in Einwanderungsfragen gerichtet. Einzelheiten aus Schriftsätzen zur Begründung gebe ich nicht wider. Solches müssten sie ggf. bei Verfahrensbeteiligten oder -bevollmächtigten erfragen. Ein Entscheidungstermin ist noch nicht absehbar."
Freundliche Grüße aus Karlsruhe,
Dr. Max Schoenthal
Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts
Die Klage der AfD gegen die langjährige Aufrechterhaltung der lediglich mündlichen Entscheidung zur Grenzöffnung von 2015 wird nun also unter dem Aktenzeichen 2 BvE 1/18 in Karlsruhe geführt. Sie wurde am 14. April 2018 von der Bundestagsfraktion nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit und von den Medien unbeachtet erhoben und bereits Mitte April in dem oben genannten Youtube-Video öffentlich gemacht. Damit rückt die Lüftung des Geheimnisses der Grenzöffnung in greifbare Nähe, denn für das Gericht kommt die Klage nicht überraschend, einige Richter haben das Verfahren dort schon länger erwartet.
Wie es in der oben zitierten Mitteilung der Pressestelle des Gerichts heißt, ist der Antrag der Fraktion (Organklage) „auf Feststellung der Verletzung der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages in Einwanderungsfragen gerichtet“. Einzelheiten zur Antragsschrift der Fraktion wollte das Gericht nicht nennen. Die Klage dürfte sich nach den Ausführungen des Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner aber gegen die Missachtung der Mitwirkungsrechte des Bundestages bei der langjährigen Aufrechterhaltung der mündlichen Entscheidung zur Grenzöffnung von 2015 richten.
Die ursprüngliche Grenzöffnung, die aufgrund der sechsmonatigen Klagefrist im Rahmen des Organstreitverfahrens vermutlich nicht mehr angegriffen werden kann, besteht in der freiwilligen Entscheidung der Bundesregierung, die gesetzlichen Regelungen zur Zurückweisung an der Grenze für Asylsuchende vorerst nicht mehr anzuwenden (BT-Drs. 18/7311, S. 2). Weder diese Entscheidung noch deren Übermittlung an die Bundespolizei liegt dabei schriftlich vor:
„Eine schriftliche Anordnung des Bundesministeriums des Innern an das Bundespolizeipräsidium oder andere mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden gibt es nicht. (…) Die Entscheidung wurde im Rahmen der bestehenden Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung getroffen. Bundesminister Dr. Thomas de Maizière hat am 13. September 2015 den Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums über die Entscheidung der Bundesregierung mündlich informiert (BT-Drs. 19/883, S. 4).“
Die nicht nur kurzfristige Aufrechterhaltung und fortwährende Bestätigung dieser Grenzöffnung über mehr als zweieinhalb Jahre verstößt dabei gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, da Asylsuchenden die Einreise eigentlich gemäß § 18 Abs. 2 AsylG zu verweigern ist, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Dublin-Staat für die Durchführung der Asylverfahren zuständig ist.
Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung kann eine langandauernde Außerkraftsetzung dieser gesetzlichen Regelungen aufgrund der enormen gesellschaftlichen Auswirkungen der Einreise und Versorgung von weit über 1,5 Millionen bisher und hunderttausenden jährlich erwarteten Asylsuchenden nur durch den Bundestag als Gesetzgeber beschlossen werden. Ausführlich wurde dieser Aspekt bei der Achse bereits hier und hier beleuchtet.
Dabei dürfte es die Erfolgsaussichten der Klage steigern, dass die Bundesregierung selbst davon ausgeht, dass Zurückweisungen an der Grenze im Rechtsrahmen der Dublin-III-Verordnung und des § 18 AsylG zulässig sind (BT-Drs. 18/7510, S. 29; BT-PlPr 18/154, S. 15166 A; BT-Drs. 18/7311, S. 3). Für die Position der Bundesregierung dürfte sich – wenn nicht rechtlich dann doch zumindest in der Wahrnehmung der Bevölkerung – negativ auswirken, dass sie für die mündliche Entscheidung zur Grenzöffnung und deren langjährige Aufrechterhaltung und fortwährende Bestätigung bis heute – selbst auf konkrete Nachfragen von Abgeordneten – keine exakte Rechtsgrundlage benannt hat (WD 3 - 3000 - 109/17, S. 10).
Verschieden Aspekte dessen, was der jetzige Innenminister vor der Übernahme dieses Amtes noch die „Herrschaft des Unrechts“ nannte, sind der Achse bereits ausführlich diskutiert worden (vgl. nur hier, hier sowie hier, hier und hier). Horst Seehofer hingegen hält entgegen all seiner Versprechungen die Anordnung zur Grenzöffnung an die Bundespolizei nunmehr selbst aufrecht.
Nicht nur das Bundesverfassungsgericht muss sich nun mit der Grenzöffnung befassen, auch die Erklärung 2018 beruft sich auf die Rechtswidrigkeit der dauerhaften Grenzöffnung aufgrund der mangelnden Beteiligung des Bundestages. Laut der Mitinitiatorin Vera Lengsfeld wird die dahingehende Petition am 16. Mai 2018 um 15.00 Uhr offiziell dem Petitionssauschuss des Deutschen Bundestags übergeben. Ein Entscheidungstermin des Bundesverfassungsgerichtes ist hingegen nach Angaben der Pressestelle noch nicht absehbar.