Thilo Schneider / 05.10.2019 / 16:00 / Foto: Timo Raab / 37 / Seite ausdrucken

Verdummt die Jugend oder ich?

Kennen Sie den noch? Treffen sich zwei Ostfriesen. Sagt der Eine: „Hey, Du hast ja eine neue Digitaluhr, wie spät ist es denn?“ Antwortet der Andere: „Dreizehn geteilt durch Zwanzig, ausrechnen musst Du das selbst.“ Blöd, oder? Kracher! Und diskriminierend ist es auch, obwohl sich noch kein Ostfriese darüber beschwert und eine Eingabe beim „Deutschen Institut für Menschenrechte“ gemacht hat. Und ich habe so eine Vermutung, warum das so sein könnte… Aber dazu am Ende des Artikels.

Tatsächlich ist der obige „Witz“ gar nicht mehr so weit hergeholt, wie es scheint. Im Zeitalter der Massenverblödung gehen mittlerweile selbst simpelste Fähigkeiten den sprichwörtlichen Absturzbach hinunter. In England haben sich laut eines Berichts des „Telegraph“ (what the hell is a telegraph?) diverse Schulen dazu entschlossen, analoge Uhren aus Prüfungssälen zu entfernen. Obwohl die im Vereinigten Königreich nicht anders gehen als auf dem Kontinent. Höchstens etwas anders ticken. Der schlichte und schlechte Grund: Die Schüler können die Uhr nicht mehr lesen. Und der Vorsitzende des englischen Lehrerverbands, Malcolm Trobe, möchte den Schülern einfach den Stress ersparen, alle fünf Striche oder Punkte zu fragen, wie viele Striche oder Punkte denn noch zum Erledigen der Aufgaben blieben.

Er begründet dies damit, dass es Aufgabe der Schule sei, den Schülern Prüfungen so angenehm wie möglich zu gestalten und dass es für die Prüflinge sehr anstrengend sei, gegen die Uhr zu arbeiten. Und nachdem die „Digital Natives“ eh nur noch Digitalanzeigen als Zeitmesser gewohnt wären, weil sie ja nur noch auf ihre IPhones und Computer starrten, sind 11-Jährige, die die „Secondary school“ (grob vergleichbar mit der deutschen Gesamtschule) besuchen, nicht mehr in der Lage, das lustige runde Ding mit den witzigen Zeigern korrekt zu interpretieren. Man könnte meinen, Bremen hätte die Insel erobert. Da frage ich mich schon: Worüber schreibt ein Prüfling, der zu doof ist, eine Uhr zu lesen? Welches Wissen prüft man da ab? Den Gebrauch von linkem und rechtem Bein oder das korrekte Ein- und Ausatmen?

Nicht mehr die Blondine ist die Deppin

Ich sehe hier sehr schwere Zeiten auf die Firmen Rolex, Glashütte, Breitling und wie sie alle heißen, zukommen. „Oh, die hat aber ein lustiges Armband! Mit so hübschen Bewegungseffekten“, könnte es in Zukunft heißen, wenn Sawsan Chebli oder andere religiöse Führer mit bloßen Hand- und Ungelenken ihre Weisheiten in die Welt hinausflöten, und es könnte ähnliche Entwicklungen wie bei einem Cargo-Kult geben, wenn irgendwelche indigenen Einwohner Verhaltensweisen simulieren, ohne den tieferen Sinn oder Hintergrund zu erkennen. In Zukunft ist also nicht mehr die Blondine die Deppin, die mit Tipp-Ex ihren Schreibfehler auf dem Bildschirm ausbessert, sondern der Cartier-Träger, der sich über die scheinbar sinnlosen Bewegungen an seinem Handgelenk freut. Aber ich will nicht zu hart sein – immerhin hat meine Generation von Windows-Nutzern die rotierende Sanduhr beim Warten auf einen Programmstart durch einen sich drehenden Kreis ersetzt (sollte ich übrigens je eine Biographie schreiben, dann wird der Titel „Beim Drehen der Sanduhr“ lauten). Wusste ja keiner mehr, was dieses lustige kleine Icon für einen Ursprung hat.  

Auch was Sprache an sich angeht, scheint es in den jüngeren Generationen bedeutende Veränderungen (jaja, „Sprache ist ein lebendiges Gebilde“, sagte schon der alte Dingenskirchen) zu geben, und wenn Sie nicht wissen, was ich meine, dann sehen Sie Ihren 17-Jährigen mal beim Verfassen einer WhatsApp-Nachricht zu. Wenn Sie diese Nachrichten nicht laut lesen, dann werden Sie den Eindruck bekommen, Ihre Kids, die hochbegabten kleinen Luder, hätten heimlich und an Ihnen vorbei einen Rumänisch-Kurs belegt. Auch hir will I aba net allzu laut maulen, möglicherweise bildet sich da nur eine neue Form der Lyrik heraus, die wir alten Säckinnen und Säcke einfach nicht mehr verstehen und die im Sanduhr- und Kalkrieseln an uns vorbeiläuft. Vielleicht rufen in fünfzig Jahren ja Lernende die alten Tweets der obigen Sawsan oder von Trump ab und schreiben ellenlange Aufsätze (200 Zeichen mit Leerstelle und Hashtag) über den weisen und tieferen Sinn in den Worten der großen Denker und Lenker dieser Welt. Ja, weiß ich´s denn?

Ich weiß ja nicht einmal, ob sie überhaupt noch schreiben werden, die Lernenden. Bereits 2018 monierte Sally Payne, Kindertherapeutin der „Heart of England“-Krankenhausvereinigung, im Guardian, dass Schüler mit dem Halten eines Stiftes heute überfordert seien. Die sind einfach zu unbeholfen, einen Stift korrekt zu halten, da durch die Tipperei auf Smartphones und Konsolen die feinmotorischen Fähigkeiten verloren gegangen sind. Legosteine sind heute nur etwas für die ganz Harten, denen unbarmherzige Eltern kein „Minecraft“ auf den Rechner geladen (sorry: „gedownloadet“) haben.

Wo bleiben die „Nahrungsdrucker“?

Unter diesem Aspekt werde ich mein Aktienportfolio künftig auf Hersteller und Lieferanten von sogenanntem „Fingerfood“ ausweiten – die im wahrsten Wortsinne nachwachsende Rohstoff-Generation dürfte, wie jeder gute Beobachter in einem Restaurant bereits heute feststellen kann, mit der korrekten Benutzung von Messer und Gabel heillos überfordert sein. Das dauert länger, wenn die sich die Spaghetti nicht direkt übers Gesicht schütten können oder zur Suppe kein Strohhalm geliefert wird.

Deswegen wird es auch Zeit, dass „Nahrungsdrucker“ endlich erschwinglich werden. Menschen, die weder mit einem Stift noch mit Besteck umgehen können, verhungern auch vor einer Büchse Ravioli, neben der der Dosenöffner liegt. Das kriegen die dann auch nicht mehr in einen zuerst logischen und dann funktionellen Kontext. Das muss denen dann die verdammte Katze zeigen. Tempora mutantur et nos mutamur in illis, wie jetzt die Besitzer mit dem Google-Translator herausfinden dürfen. Wohl dem, der dann einen Pizza-Bringdienst in der Nähe und ein funktionierendes Smartphone hat.

Und damit schließt sich der Kreis. Wer keinen Stift halten kann, der kann auch keinen Beschwerdebrief an irgendwelche Menschenrechtsstellen schreiben. Keine Arme – keine Kekse. Aber dafür lässt sich Dummheit leichter regieren als Intelligenz. Es ist ja nichts so schlecht, dass es nicht für irgendetwas gut wäre. Und ein herzliches Dankeschön an das hervorragende Programm, dem ich diesen launigen Artikel auf das Notebook diktieren durfte. Ich kann kein Schreibmaschinenschreiben.

(Weitere Unfähigkeiten des Autors finden sich auf www.politticker.de )

Foto: Timo Raab

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J.G.R. Benthien / 05.10.2019

Eine Mutter steht mit ihrem ca. 7 Jahre alten Kind in einer Buchbinderei, möchte ein Buch binden lassen. Die Buchbinderin zeigt ein Musterbuch, hält es dem Kind hin. Nach kurzer Zeit drückt das Kind unten rechts auf die Seite — immer wieder. Die Buchbinderin fragt, warum es das macht. Das Kind sagt: Seite soll umblättern… Die Mutter sagt, das Kind wäre sehr intelligent und hätte ein Tablet und ein Kindle… Dass das Kind strunzdumm ist, merkt sie nicht.

Thomas Hechinger / 05.10.2019

Herr Schneider, können Sie ein Pferd satteln? Vermutlich haben Eltern vor 150 Jahren ihren Töchtern von jungen Männern, die kein Pferd satteln konnten, zwecks Verlobung oder Heirat abgeraten. So einer taugt nichts im Leben! Dinge ändern sich eben. Als Lehrer bedauere ich es auch, daß viele Schüler, vor allem Jungen, immer größere Probleme mit der Feinmotorik haben. Sie können keinen geraden Strich mit dem Lineal ziehen und ihre Krakelschrift ist nur mit viel gutem Willen und einer Mischung aus der Erwartung, was da geschrieben sein sollte, und dem Erraten, was wohl geschrieben sein dürfte, zu entziffern. So ist es. Wie das aber einzuschätzen ist, da wäre ich vorsichtig. Welche Kulturtechniken für die Zukunft wichtig sind und welche entbehrlich werden, darüber wage ich keine sichere Vorhersage. Und? Können Sie ein Pferd satteln? Falls ja, dann herzlichen Glückwunsch! Ich kann es jedenfalls nicht.

Bernhard Krug-Fischer / 05.10.2019

Lieber Herr Schneider, Sie können sich beruhigen. Sie verdummen nicht. Sie haben was gelernt und von dem Wissen zehren Sie. Sie können noch Zusammenhänge erkennen und Analysen betreiben mit dem, was Sie gelernt haben, und dem, was jetzt neu ist, herstellen. Sie vergessen höchstens was wegen schleichender Demenz, bei mir ist es wenigstens so.  Aber ich weiß noch, wo man nachschauen bzw. sich kundig machen kann. Heute muss die Jugend ja nichts mehr wissen, denn die können ja alles googeln oder mit dem Taschenrechner ausrechnen. Nur sehe ich das Problem in der Tatsache, dass die Jugend nicht mehr erkennen kann, ob das „ ergoogelte“ oder das Ergebnis mit dem Taschenrechner auch richtig sein kann. Beispiel: Wenn einer berechnet, dass die Kabeln der Stromtrassen einen Durchmesser von 40 cm haben und dieses Ergebnis als richtig ansehen, weil es der Taschenrechner sagt, dann ist Hopfen und Malz verloren. Ich höre öfter „Gruselgeschichten“ von Berufsschullehrern, das ist unglaublich. Da fehlen einfach die Grundlagen. Aber nach dem Motto “Wissen ist Macht, nichts wissen macht auch nichts” wird alles gut. Deutschland hat als moralischer Weltmarktführer eine prächtige Zukunft.

Wolfgang Kaufmann / 05.10.2019

Die Jugend an sich ist nicht dumm, sondern hat nur viel sehr Pech bei der Entwicklung. Wer früher mit 15 eine Lehre als Bäcker oder Metzger machte, treibt sich heute bis 30 in Schule und Ausbildung herum, um seine Legasthenie und Dyskalkulie mit elektronischen Krücken zu kaschieren. Doch von Bits und Bytes wird keiner satt; bleibt also Stütze. – Kein Wunder sind sie sauer auf die Alten Weißen Säcke, die ihnen ihr hart erwartetes Erbe ums Verrecken nicht herausrücken wollen; der blöde Ödipus klaut ihnen die Zukunft, weil er einfach nicht in die Kiste will. Und die Säckinnen respektive Fregatten? Das sind ihre Mütter und Wunschpartnerinnen. Das sind die Borg und die Jugend wird assimiliert.

Emmanuel Precht / 05.10.2019

In den Augen der Spezialdemokraten, RotenSocken, Sozen oder wie diese Speziellen sonst noch genannt werden, war die Einführung der Allgemeinen Schulpflicht das schlimmste was je passiert ist. Denn es stellt einen erheblichen Unterschied dar von Bildung, Bildung, Bildung zu reden oder mit den Folgen derselben zurecht zu kommen. Das hat sich ja nun endlich erledigt und darauf ein erfrischendes, motivierendes: “Heil Greta!” Wohlan…

Fridolin Kiesewetter / 05.10.2019

Was glauben denn diese Analoguhrenabschaffer, was die Prüflinge später draußen in der wirklichen Welt erwartet? In der Schule kann man vielleicht Analoguhren beseitigen, aber in der Realität kommen sie nun einmal vor. Und ist es nicht die Aufgabe der Schule, die Schüler auf die Welt da draußen vorzubereiten? (Non scolae sed vitae discimus).

Hans Reinhardt / 05.10.2019

Genau, Herr Schneider, ich kenne das! Ich war auch so ein dummes Kind, ich konnte rein gar nichts. Lesen, Schreiben, Rechnen, selbst die einfachsten Dinge musste man mir beibringen. Damals gab es für solch hoffnungslose Fälle wie mich eine Einrichtung, die nannte man “Schule” und dort gab es “Lehrer”. Ich erinnere mich an sie als meist missmutige ältere Leute (kein Wunder, mussten sie sich doch Tag für Tag mit uns Deppen abgeben) und wir mussten sie mit “Sie” und mit “Herr” bzw. “Frau” oder “Fräulein” (sic!) anreden. Das war wohl ihre Art, sich von uns Dummköpfen abzugrenzen.  Außerdem hatte ich auch Eltern, die nicht mit mir befreundet sein wollten (wer könnte es ihnen verdenken, sicher schämten sie sich für ihr beschränktes Kind) sondern darauf aufpassen, dass ich in der Schule nicht nur meine Zeit totschlug, sondern tatsächlich was lernte. Unter diesen erschwerten Bedingungen schaffte ich meinen Abschluss und sogar noch ein Studium. Gut, Abschluss und Studium braucht heute kein Mensch mehr, Hauptsache, man ist selbstbewusst. Und Selbstbewusstsein wird diese Generation auch brauchen für eine Zukunft als Pausenclown für all die Chinesen, Japaner und Koreaner, die in ein paar Jahren uns allen sagen werden, wo es langgeht.

Ko. Schmidt / 05.10.2019

Es will ja niemand aus der Reihe tanzen und sich durch Bildung verdächtig machen! Das ist die Methode Schweig! Auch unter Pol Pot und anderen Khmer kann man darauf zählen!

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