Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Das Unheil, das die einen den anderen an den Hals wünschen, weil sie aus der Reihe tanzen, trifft selten ein. Auf den Teufel, den sie an die Wand malen, ist kein Verlass. Wäre es anders, müssten die Briten längst am Hungertuch nagen und Schlange stehen vor der Armenspeisung. Denn was wurde ihnen nicht alles vorhergesagt, als sie sich am 23. Juni 2016 für den „Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union“, für den „Brexit“, entschieden.
Das sei „eine Fehlentscheidung, für die bitter bezahlt werden muss“, schäumte Elmar Brok, der ewige EU-Abgeordnete der CDU, in Brüssel, während Frank-Walter Steinmeier in Berlin von „einem traurigen Tag für Großbritannien“ sprach. „Ein Desaster“ prophezeite sein Genosse Thorsten Schäfer-Gümbel den Engländern. Das britische Bruttoinlandsprodukt, orakelten die Auguren, werde binnen kurzem, noch vor dem offiziellen Austritt, um zehn Prozent einbrechen. Tatsächlich ist es inzwischen um justament zehn Prozent gewachsen.
Einigkeit bestand zwischen den Euromanen auch über die „katastrophalen Folgen“ für den Arbeitsmarkt auf der Insel. 950.000 Stellen sollten „im günstigsten Fall“ auf dem Spiel stehen. Weniger optimistische Schätzungen rechneten „mit dem Verlust von bis zu 4 Mio. Arbeitsplätzen“. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier wollte aus gut unterrichteten Kreisen sogar schon erfahren haben, dass unmittelbar nach der Brexit-Entscheidung mit einer Völkerwanderung der Banker von London nach Frankfurt zu rechnen wäre. Um dem gewachsen zu sein, sollten schnellstens tausende von Wohnungen gebaut, englischsprachige Schulen eingerichtet und ein angelsächsisches Kulturangebot auf die Bühnen gebracht werden.
Wo bleiben sie denn?
Allein, der Ansturm lässt auf sich warten. Die Bankangestellten verharren starrköpfig an der Themse, statt Bouffier und seinesgleichen auf den ideologischen Leim zu gehen. Vermutlich sind sie des Deutschen einfach nicht mächtig genug, um den Ernst ihrer Lage zu erkennen. Sonst hätten sie zum Beispiel aus der „Welt“ von 11. Januar diesen Jahres erfahren können, dass 87.000 von ihnen den Job verlieren werden, dass sie europäischer Weissagung zufolge bereits auf der Straße sitzen müssten. Überhaupt scheint den Engländern entgangen zu sein, dass sie am Rande des Abgrunds stehen.
Dabei hatten es die Deutschen nun wirklich nicht an den nötigen Warnungen fehlen lassen. Gleich nach dem Brexit-Votum schätzte der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann, „dass dem britischen Durchschnittshaushalt jährlich tausende Pfund an Einkommen verloren gehen“ werden. SPIEGEL Online (SPON) berichtete darüber am 24. Juni 2016. Nun, gute zwei Jahre später, lesen wir an gleicher Stelle: „In Großbritannien ist die Arbeitslosigkeit auf den tiefsten Stand seit 43 Jahren gesunken. Für den Zeitraum April bis Juni meldete das Statistikamt ONS eine Erwerbslosenquote von 4,0 Prozent.“
In Deutschland betrug sie für den selben Zeitraum 5,0 Prozent. Auch dieser Wert kann sich sehen lassen. Nur liegt er eben einen Punkt über dem britischen, obwohl es sich doch umgekehrt verhalten sollte. Wenig anders sieht es beim Lohnzuwachs aus. Da haben sie in England jetzt schon 2,4 Prozent erreicht, indes für Deutschland 2,5 hochgerechnet auf das ganze Jahr prognostiziert werden. Für SPON ist die britische Einkommenssteigerung gleichwohl ein „eher magerer“ Zugewinn, da er durch die „vergleichsweise hohe Inflation“ aufgefressen werde. Allerdings liegt sie mit 2,7 Prozent nur noch 0,7 Prozent über der deutschen.
Die Freiheit gibt es nicht umsonst
Wenn das ein Beweis für das beschworene Taumeln der Engländer am Abgrund sein sollte, dann würde man gern mit ihnen taumeln, zumal sie bereits im ersten Quartal 2018 ein höheres Bruttoinlandsprodukt als die Deutschen erwirtschaftet haben. Das heißt nicht, dass das Vereinigte Königreich den Brexit wirtschaftlich völlig unbeschadet überstehen kann. Natürlich wird die Befreiung des Landes aus der Brüsseler Vormundschaft einiges kosten.
Nur ändert das nichts daran, dass sich die Gesundbeter der trudelnden EU mit den Vorhersagen einer britischen Pleite bis auf die Knochen blamiert haben. Die fortgesetzte Verkündigung des Unheils, das sie den Abtrünnigen vorhersagen, fällt auf sie selbst zurück. Sie verrät das Fracksausen der Verlassenen. Die Angst vor dem Ausfall der englischen Zahlungen hat unsere Eurokraten schier um den Verstand gebracht. Weil sie nicht weiter wissen, malen sie den Teufel an die Wand. Peinlich!
PS: In der Geschichte von „Plisch und Plum“, auf die das Bonmot „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“ zurückgeht, erzählt Wilhelm Busch von zwei frechen Hunden. Weil sie ihm nicht gehorchen wollen, wirft sie ihr bösartiger Herr Kaspar Schlich ins Wasser. Doch Plisch und Plum werden von zwei Kindern gerettet, denen sie fortan vertrauen. Der alte Schlich sieht das und „kriegt vor Neid einen Seelenkrampf“. Hintenüber stürzt es selbst ins Wasser, ein Opfer des Unheils, das er anrichten wollte.