Ist es nicht wunderbar, wenn man sich einmal so richtig empören kann? Das gibt einem das Gefühl moralischer Überlegenheit und manchen Leuten, die sonst nichts zu sagen haben, zumindest ein Gesprächsthema. Dennoch sei davor gewarnt, sich allzu leichtfertig zu echauffieren, denn das kann im ungünstigen Fall der empörungstechnischen ejaculatio praecox auf den Empörten zurückfallen und diesen der Lächerlichkeit preisgeben. So ist es in diesen Tagen in Großbritannien geschehen.
Was war also passiert? Am 4. März fand aus Anlass des jüdischen Purimfestes eine Kostümparty im Londoner Stadtteil Barnet statt. Das Verkleiden gehört seit jeher zu den Traditionen des Purimfestes. Mitgefeiert hatte der konservative Stadtrat Brian Gordon, der sich bei den Partys der letzten Jahre durch originelle Outfits hervorgetan hatte. Mal erschien er als Boris Jelzin, mal als der Londoner Polizeichef Sir Ian Blair, und auch Ariel Sharon und Ronald Reagan tauchten auf diese Weise schon bei den Purimfeiern in Barnet auf.
Für dieses Jahr hatte sich Brian Gordon eine weitere von ihm bewunderte Figur der Zeitgeschichte ausgesucht: Nelson Mandela. Mit geschwärztem Gesicht und einem traditionellen afrikanischen Hemd bekleidet erschien er auf der Feier. Es wurden Fotos gemacht, von denen eines seinen Weg in eine Lokalzeitung fand. Von da an war die Welle der Empörung erst einmal nicht mehr zu stoppen.
Eine liberaldemokratischer Stadträtin eröffnete den Reigen mit dieser Stellungnahme:
“I was gobsmacked when I saw the picture. How can he think this is funny or acceptable? It is thinly veiled racism. The Tories say they are new and cuddly and green, but they are the same Tories who were there under Thatcher. They have the same attitudes and do not see any problem with this. You cannot make jokes like this.”
Soviel Rassismus, dachte die Stadträtin, könne nicht hingenommen werden. Sie wandte sich an die Rassengleichstellungsbehörde (Commission for Racial Equality), die den armen Mr Gordon zurechtwies:
“We expect councillors to recognise their responsibility as officials representing all members of their local community. They must be aware of the potential impact of their behaviour.”
Längst erreichte die Empörung die nationale Politik. Der Vorsitzende der Gleichstellungskommission der Labour-Partei, der Unterhausabgeordnete Keith Vaz, nannte den Vorfall “deeply depressing” und stellte fest, dass solcherlei Verhalten schockierend und vollkommen inakzeptabel sei. Und natürlich durfte auch nicht der Hinweis darauf fehlen, dass Mr Gordon damit nur unterstrichen habe, welch rassistische Organisation die Konservative Partei immer noch sei.
Wahrscheinlich würde die Mandela-Affäre nun immer weitere Kreise ziehen, wenn Mr Gordon nicht von ganz unerwarteter Seite Beistand erhalten hätte, nämlich von Nelson Mandela höchstpersönlich. Eine Londoner Lokalzeitung wandte sich direkt an die Nelson Mandela-Stiftung und bat den früheren südafrikanischen Präsidenten um einen Kommentar zu der Angelegenheit. Doch statt sich zu empören, nahm Nelson Mandela die Sache mit großer Gelassenheit und einer Prise Humor. Durch seine Sprecherin ließ er erklären:
We read the article with interest and I also discussed it with Mr Mandela who happened to be in the office this morning. We don’t see any harm in this whatsoever. If it was a fancy dress party and people were expected to arrive as a character or famous person, we are convinced there was no ill intent behind this. Mr Mandela commented, however, about the choice of the shirt and said - tongue-in-cheek - that it was a rather awkward choice of shirt to resemble his usual shirts. We are not oversensitive about matters like these. Whilst we need to be respectful towards the character in events of this nature, we should try not to read racism into actions which may be completely innocent.”
Wenn also der Held der südafrikanischen Antiapartheidsbewegung Nelson Mandela keinerlei Grund sieht, im Verkleiden bei einer Kostümparty einen rassistischen Ausfall zu sehen, könnte es dann vielleicht sein, dass es gar kein rassistischer Ausfall war? Nelson Mandela verfügt immerhin, was praktischen Rassismus betrifft, wahrscheinlich über etwas mehr direkte Erfahrung als Londoner Lokalpolitiker.
Die empörungsinkontinenten britischen Politiker, die so schnell dabei waren, über Mr Gordon herzufallen und ihm Gleichstellungskommissionen an den Hals zu wünschen, stehen nun vergleichsweise düpiert da. Vielleicht sollten sich fragen, wie mit ein wenig mehr Besonnenheit und Common Sense (das war früher einmal eine britische Eigenschaft) zukünftige moralische Schnellschüsse zu vermeiden wären. An der weisen Gelassenheit eines Nelson Mandela könnten sie sich ein Beispiel nehmen.