Zum Jahresausklang hat das traditionelle Corona-Komitee aus Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten wegweisende Beschlüsse gefasst. Im neuen Jahr drohen aber noch ganz andere Probleme als Corona-Varianten.
Es ist noch gar nicht so lange her, da erklärten die Vertreter der seinerzeit künftigen Ampel-Regierung vor der deutschen Öffentlichkeit, die mit dem Etikett „Corona-Maßnahmen“ versehenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffe würden nicht mehr von der Ministerpräsidentenkonferenz hinter verschlossenen Türen entschieden, sondern in den Parlamenten debattiert.
Am Dienstag hat nun wieder eine Ministerpräsidentenkonferenz nebst Bundeskanzler hinter verschlossenen Türen entschieden, mit welchen Notstandsregeln die Bürger mit beschränkten Bürgerrechten zur Weihnachtszeit bedacht werden. Zwar noch nicht direkt an den Kernfeiertagen zu Christi Geburt, aber gleich danach und bis in den Januar hinein.
Manches war wie immer. Über die zu erwartenden Verbote war zur Vorbereitung des Publikums in den Medien ausgiebig berichtet worden. Und siehe da: Es kam dann auch wie erwartet. Neu war immerhin, dass die Regierenden sich ihre Maßnahmen zur medialen Vorbereitung öffentlich vom selbst ausgesuchten Expertenrat vorschlagen lassen konnten. Das ist hinsichtlich der Kommunikation wirklich professioneller organisiert als früher.
Lockdown darf nicht mehr Lockdown heißen
Auch dass die ganze Runde kaum mehr als zwei Stunden dauerte, so dass Ex-Doktor Franziska Giffey (SPD), die neue Regierende Bürgermeisterin von Berlin, den Termin nebst Pressekonferenz zeitlich problemlos zwischen die Wahl ins neue Amt und die erste Sitzung des neuen Berliner Senats platzieren konnte, wäre früher undenkbar gewesen. Wenn man also positiv berichten möchte, kann man feststellen, dass sich das Corona-Regime nach dem Regierungswechsel professioneller präsentieren kann.
Ansonsten gab es sogar ein wenig mehr als die erwarteten Verbots-, Schließungs- und Kontaktbeschränkungsbeschlüsse. Doch vor allem diese interessierten die meisten Bürger auf Bürgerrechtsentzug. Ab 28. Dezember gilt: Clubs und Diskotheken müssen wieder schließen, zu Silvester gibt es ein generelles Versammlungsverbot, Feuerwerk ist wieder verboten, Kontaktbeschränkungen auf maximal zehn Personen gelten auch für Geimpfte, Großveranstaltungen sind verboten und Fußballspiele dürfen allenfalls ohne Publikum stattfinden.
Vom gar nicht so alten Versprechen an die Impfbereiten, sie könnten sich in die Freiheit zurückimpfen, ist nur noch ein schäbiger Rest geblieben: Es gibt für Ungeimpfte immer noch etwas mehr Freiheitsentzug. Die dürfen bekanntlich noch weniger Menschen treffen, sie dürfen nicht ins Kino, in Gaststätten oder in Geschäfte gehen und auch die Inanspruchnahme der Handwerkskunst ihres Friseurs oder professioneller sexueller Dienstleister ist ihnen verwehrt oder illegal. Doch ein Trost ist das für die meisten Geimpften sicher nicht, die dem Versprechen vom „Piks“, der in die Beinahe-Freiheit führt, glaubten.
Was nun bald gilt, hätte man auch Lockdown nennen können, doch den sollte es ja nach dem Versprechen der neuen Regierungspolitker, insbesondere jenen aus der FDP, nicht wieder geben. Deshalb darf er natürlich auch nicht so heißen.
Auffällig war, dass es trotz der stets vorgebrachten Aufforderung zur Erst-, Zweit- und Drittimpfung – mit Ankündigung einer baldigen Viertimpfung – kaum große Verbalattacken gegen die Ungeimpften gab. Es war gestern offenbar nicht so wichtig, sie ständig zu den Schuldigen oder zu einer Minderheit mit Neigung zum Extremismus zu erklären, wie man es noch vor Kurzem von Regierungsmitgliedern einschließlich des Kanzlers hören konnte.
80 Prozent, 90 Prozent und dann die Pflicht
Der erklärte stattdessen die 80-Prozent-Quote zum neuen Impfziel, und wenn die erreicht wäre, dann würden neunzig Prozent regierungsamtlich angepeilt. Außerdem käme dann ohnehin bald die Impfpflicht. Vielleicht wollte angesichts solcher Ansagen niemand mehr durch Schuldzuweisungen Widerspruch in Teilen der Bevölkerung provozieren. Immerhin wächst der Protest gegen die Corona-Maßnahmen auf deutschen Straßen spürbar. Das mag die Staatsmacht mit Hilfe neuer Corona-Regeln leichter polizeilich eindämmen und sanktionieren können. Aber die allgemeine Stimmung wird sich womöglich dennoch nicht zugunsten der Corona-Politik entwickeln. Immer mehr Geimpfte sehen sich um die Impfversprechen betrogen. Schutz gibt der „Piks“ nicht wie versprochen, und auch kaum noch etwas von den einst selbstverständlichen kleinen Freiheiten, von der großen Freiheit ganz zu schweigen.
Zudem wissen die Geimpften nun auch, dass sie ohne weitere Impfungen wieder in den Ungeimpften-Status zurückfallen. Maximal neun Monate soll der Geimpft-Status noch gelten. Von sechs Monaten war auch schon die Rede und pünktlich zur Ministerpräsidentenkonferenz empfahl die Ständige Impfkommission (STIKO), wegen der Omikron-Variante Auffrischungsimpfungen sogar schon nach drei Monaten vorzunehmen. Die Aussicht auf eine Quartalsimpfung mit Impfpflicht ist aber kaum sonderlich verlockend. Auch nicht für Menschen, die keine Impfgegner sind.
Der Auftritt der drei Vertreter aus der Corona-Runde sollte wirken wie in einer schweren Krise, die vor allem mit der neuen Omikron-Variante begründet wurde. Einen besseren Grund gibt es aktuell auch nicht, wenn sogar die Zahlen, die das Corona-Regime selbst zum Maßstab gemacht hat, seit Tagen sinken (Stand Dienstag wurden innerhalb einer Woche 0,3064 Prozent der Einwohner Deutschlands Corona-positiv getestet). Doch Omikron soll sich ja in der Tat schneller und weiter verbreiten, während im Gegenzug die Symptome schwächer sein sollen. Wenn man sich dann aber weiter an den Zahlen positiver Testergebnisse orientiert, dann werden die sogenannten Inzidenz-Werte sicher bald wieder steigen, auch wenn das hoffentlich nicht bei der Zahl der Opfer der Fall sein wird. Genau weiß das natürlich noch niemand. Doch entscheidend scheint es für die neue Bundesregierung – wie für ihre Vorgänger – vor allem zu sein, dass die bisherige Corona-Politik mit ihrer verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Bilanz nicht infrage gestellt wird.
Interessanterweise ging es neben dem Verbotsreigen in der Corona-Runde auch darum, dass sich alle Bereiche der kritischen Infrastruktur darauf vorbereiten sollen, wie sie auch bei Ausfall eines bedeutenden Teils ihrer Mitarbeiter die Kernversorgung sicherstellen. Kanzler Scholz sprach selbstverständlich nur davon, dass es darum gehe, sich auf den Mitarbeiter-Ausfall durch Corona-Erkrankungen vorzubereiten. Doch im Hintergrund dürfte eine wichtige Rolle spielen, dass beispielsweise Teilen der medizinischen Versorgung der Zusammenbruch drohen könnte, wenn die ungeimpften Mitarbeiter nach Inkrafttreten der Impfpflicht ausfallen.
Aber vielleicht denkt die Regierung Scholz bei der Sicherstellung der Kernversorgung nebenher noch an ganz andere Krisen. Immerhin meldeten Nachrichtenagenturen kurz vor Ende der Ministerpräsidentenkonferenz, dass Russland an der Jamal-Europa-Pipeline den Gashahn zugedreht hätte. Bereits in den letzten drei Tagen sei die Liefermenge gedrosselt worden, hieß es. Nachdem sich die neue Bundesregierung außenpolitisch kraftvoll und entschlossen zeigen wollte, demonstriert Moskau nun die tatsächlichen Kräfteverhältnisse. Im letzten Jahr galten ja so manchen deutschen Politikern die Hinweise auf die Risiken der Abhängigkeit von russischem Gas noch als böswillige Trump-Propaganda.
Ausgangssperre im Januar?
Insofern sollte die Regierung eigentlich beunruhigt darüber sein, dass bald gewichtigere Probleme als die Omikron-Variante auf das Land zurollen. Probleme, bei denen man mit Maßnahmen- und Verbotskaskaden gegen die eigenen Bürger nicht einmal den Anschein erwecken kann, sie lösen zu können.
Vielleicht gab es deshalb in der Pressekonferenz nach der Ministerpräsidentenkonferenz auch nur einen eher verhaltenen Hinweis auf staatliche Hilfen für diejenigen, denen mit den neuen Corona-Maßnahmen wieder die wirtschaftliche Existenzgrundlage genommen wird. In den Zeiten steigender Inflation ist es ja auch keine gute Idee, neue Geldmengen zu generieren, denen keine Wertschöpfung entgegensteht. Auch hier droht eine Krise, die das Virus recht schnell in den Hintergrund treten lassen könnte.
Dennoch üben sich die Regierenden dieses Landes vor allem in ihrer Corona-Routine. Am 7. Januar wollen sie sich wiedertreffen und womöglich neue Maßnahmen beschließen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sind die aktuellen weihnachtlichen Verbots-Geschenke noch nicht genug. Er bedauerte, immer noch keine Ausgangssperren anordnen zu können (in Baden-Württemberg wurden – Stand DIenstag – innerhalb einer Woche 0,3067 Prozent der Bevölkerung Corona-positiv getestet).
Direkt nach den Heiligen Drei Königen kommen die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler aber bestimmt mit neuen Verbots-Gaben. Da ist dann vielleicht auch eine Ausgangssperre mit dabei.