Roger Letsch / 06.07.2018 / 06:25 / Foto: Sara Kelly / 21 / Seite ausdrucken

Uups: Facebook sperrt US-Unabhängigkeits-Erklärung

Mitte der Woche hatte einer der großartigsten Texte der Menschheit Geburtstag: die amerikanische Unabhängigkeitserklärung. Es darf deshalb als peinliche Posse betrachtet werden, dass das Zitat einer der Passagen dieses Textes bei Facebook – einem amerikanischen Unternehmen wohlgemerkt – als „Hassrede“ gelöscht wurde. Peinlich, peinlich. Und schnell korrigiert.

Wer konnte auch ahnen, dass ein Algorithmus, der trainiert ist, die Worte jedes Satzes losgelöst vom Kontext zu einer Quersumme der „political correctness“ zusammenzuziehen, losgelassen auf historische Texte, solche Verheerungen anrichtet! Wir hätten dies wissen können. Ja, müssen. Denn es spielt keine Rolle, wem man das Amt des Zensors überträgt. Entscheidend ist, dass es einen solchen nicht geben darf. Schlimm ist, dass es am Verständnis für derlei „Zensurpannen“ nicht fehlt. Denn Jeffersons Wortwahl „Indian Savages“ (indianische Wilde) zu tadeln, halten nicht wenige für richtig. Selbst bei der auf diese Weise zensierten Zeitung “The Vindicator”. (“The Vindicator” ist aufgrund der Datenschutzbestimmungen der EU in selbiger nicht aufrufbar. Eine VPN-Verbindung ist nötig. Die Moralwächter und Datenbeschützer in Brüssel, sie leben hoch, hoch, hoch!). 

„Hätte Thomas Jefferson „Ureinwohner Nordamerikas in einer schwierigen Phase der kulturellen Entwicklung“ geschrieben, wäre das vielleicht besser gewesen“, meint man beim Vindicator. Leider habe Jefferson – wie viele andere zu seiner Zeit – keinen „ganz freundlichen Blick“ auf die Ureinwohner gehabt. „Und wenn man ganz ehrlich ist, gibt es in der Passage einige Dinge, die man für hasserfüllt halten könnte“, heißt es weiter. Das schmeckt schon ziemlich bitter nach Verständnis für Zensur.

Dummerweise lässt sich Jefferson für das Triggern politischer Befindlichkeiten im 21. Jahrhundert nicht mehr zur Verantwortung ziehen. Aber man kann ihn tadeln, an seiner Gesinnung zweifeln und so nachträglich alles, was er und seine Zeitgenossen schufen, für null und nichtig erklären. Denn heute lässt man einfach keinen anderen Kontext zu als jenen, der die eigenen Narrative der Gegenwart abbildet. Und so geht man mit der Axt durch die Geschichte zurück bis zu deren Anfängen, um moralische Urteile nachträglich zu exekutieren, für die man nicht befähigt oder gar zuständig ist.

Wann ist die Bergpredigt an der Reihe?

Es ist die vollendete Anmaßung, im Besitz des richtigen moralischen Maßstabs zu sein. Und so wird es nicht mehr lange dauern, bis die Neo-Puritaner bei Matthäus im neuen Testament anlangen, um in der Bergpredigt die Wendung „selig sind, die da geistig arm sind“ durch „intellektuell Herausgeforderte“ zu ersetzten und Jesus folgerichtig zum Feind von Gleichstellung und Inklusion erklärt wird. (Der Strolch wagte es sogar, Lahme und Lepröse zu heilen, anstatt sie so zu lieben, wie sie eben waren und gleichberechtigt unter seine Jünger zu mischen. Er war wohl noch dazu ein unverbesserlicher “Body Negativist”.)

Der Versuch, die eigenen Moralvorstellungen in die Unendlichkeit von Vergangenheit und Zukunft auszudehnen, ist übrigens nicht neu. In der deutschen Restauration nach den Napoleonischen Kriegen, als die Meinungsfreiheit eingeschränkt, die Zensur wieder eingeführt und die Fürstenherrschaft gefestigt wurde, gab es vergleichbare Bestrebungen der Geschichtsklitterei. So schrieb Ludwig Börne folgende Worte über den Zensor Jarke, der in Metternichs Auftrag im „Politischen Wochenblatt“ tabula rasa mit der renitenten Geschichte machte:

„Dieser Jarke ist ein merkwürdiger Mensch. Man hat ihn von Berlin nach Wien berufen, wo er die halbe Besoldung von Gentz [Friedrich von Genz] bekömmt. Aber er verdiente nicht deren hundertsten Teil, oder er verdiente eine hundertmal größere – es kömmt nur darauf an, was man dem Gentz bezahlen wollte, das Gute oder Schlechte an ihm. Diesen katholisch und toll gewordenen Jarke liebe ich ungemein, denn er dient mir, wie gewiß auch vielen andern, zum nützlichen Spiele und zum angenehmen Zeitvertreibe. Er gibt seit einem Jahre ein politisches Wochenblatt heraus. Das ist eine unterhaltende Camera obscura; darin gehen alle Neigungen und Abneigungen, Wünsche und Verwünschungen, Hoffnungen und Befürchtungen, Freuden und Leiden, Ängste und Tollkühnheiten und alle Zwecke und Mittelchen der Monarchisten und Aristokraten mit ihren Schatten hintereinander vorüber.

Der gefällige Jarke! Er verrät alles, er warnt alle. Die verborgensten Geheimnisse der großen Welt schreibt er auf die Wand meines kleinen Zimmers. Ich erfahre von ihm und erzähle jetzt Ihnen, was sie mit uns vorhaben. Sie wollen nicht allein die Früchte und Blüten und Blätter und Zweige und Stämme der Revolution zerstören sondern auch ihre Wurzeln, ihre tiefsten, ausgebreitetsten, festesten Wurzeln, und bliebe die halbe Erde daran hängen. Der Hofgärtner Jarke geht mit Messer und Schaufel und Beil umher, von einem Felde, von einem Lande in das andere, von einem Volke zum andern. Nachdem er alle Revolutionswurzeln ausgerottet und verbrannt, nachdem er die Gegenwart zerstört hat, geht er zur Vergangenheit zurück. Nachdem er der Revolution den Kopf abgeschlagen und die unglückliche Delinquentin ausgelitten hat, verbietet er ihrer längstverstorbenen, längstverwesten Großmutter das Heiraten; er macht die Vergangenheit zur Tochter der Gegenwart. Ist das nicht toll?

Diesen Sommer eiferte er gegen das Fest von Hambach. Das unschuldige Fest! Der gute Hammel! Der Wolf von Bundestag, der oben am Flusse soff, warf dem Schafe von deutschem Volke, das weiter unten trank, vor: es trübe ihm das Wasser, und er müsse es auffressen. Herr Jarke ist Zunge des Wolfes. Dann rottet er die Revolution in Baden, Rheinbayern, Hessen, Sachsen aus; dann die englische Reformbill; dann die polnische, die belgische, die französische Juliusrevolution. Dann verteidigt er die göttlichen Rechte des Don Miguel. So geht er immer weiter zurück. Vor vier Wochen zerstörte er den Lafayette, nicht den Lafayette der Julirevolution, sondern den Lafayette vor fünfzig Jahren, der für die amerikanische und die erste französische Revolution kämpft. Jarke auf den Stiefeln Lafayette’s herumkriechen! Es war mir, als sähe ich einen Hund an dem Fuße der größten Pyramide scharren, mit dem Gedanken, sie umzuwerfen! Immer zurück! Vor vierzehn Tagen setzte er seine Schaufel an die hundertundfünfzigjährige englische Revolution, die von 1688. Bald kömmt die Reihe an den älteren Brutus, der die Tarquinier verjagt, und so wird Herr Jarke endlich zum lieben Gotte selbst kommen, der die Unvorsichtigkeit begangen, Adam und Eva zu erschaffen, ehe er noch für einen König gesorgt hatte, wodurch sich die Menschheit in den Kopf gesetzt, sie könne auch ohne Fürsten bestehen. Herr Jarke sollte aber nicht vergessen, daß, sobald er mit Gott fertig geworden, man ihn in Wien nicht mehr braucht. Und dann Adieu Hofrat, Adieu Besoldung. Er wird wohl den Verstand haben, diese eine Wurzel des Hambacher Festes stehen zu lassen.“

Die Tatsache, dass wir heute die Genzens und Jarkes nicht mehr brauchen, um Zensur zu üben, weil dieses schmutzige Handwerk automatisiert werden kann, macht alles nur noch schlimmer. Den Rücken Jarkes konnte noch der verbale Stock seiner Zeitgenossen treffen, zumal er in verbalen Schlägereien geübte Gegner wie Börne hatte. Unsere heutigen Zensoren müssen ihre Anonymität jedoch nicht mehr verlassen. Es macht einfach keinen Spaß, einen Computer zu verdreschen.

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Alexander Mazurek / 06.07.2018

Das kommt von “künstlicher Intelligenz” und ist unvermeidbar, in pursuit of happiness and prey. “Künstliche Intelligenz” ist, wie’s ihr Erfinder, Herr Weizenbaum spät, aber immerhin, bemerkte, genauso “Intelligenz”, wie eine künstliche Blume “Blume” sei. Brave new world, 1984 und Fahrenheit-451 grüßen freundlichst!

klaus Blankenhagel / 06.07.2018

Die Unabhaengigkeitserklaerung haengt in meinem Wohnzimmer im Goldrahmen. So kann ich ab und wann mal ein Blick darauf werfen, und auch ein wenig stolz sein.

Christoph Kaiser / 06.07.2018

Was ist schlimmer, daß die großen Texte der Menschheit von einem Computer falsch verstanden und mißinterpretiert werden, oder daß jene von menschlichen Lesern falsch verstanden, mißinterpretiert oder gar mißbraucht werden?

Martin Wessner / 06.07.2018

@Herr Fasse Ich kann leider Ihre religiösen Erläuterungen nicht nachvollziehen, oder besser gesagt, mit sind Predigten von Geistlichen in ihrer theoretischen Abstraktheit und Selbstrefferenziertheit, ähnlich wie die Quantenphysik schon immer gänzlich unverständlich gewesen. Erklären Sie mir doch bitte, wie die Welt im Jahr 2018 für die Menschen aussehen würde, wenn Jesus nicht am Kreuz, sondern als alter Mann an einer natürlichen Todesursache friedlich in seinem Bett gestorben wäre? Was wäre dann für uns Christen anders? Und wie sieht es eigentlich mit der grossen Mehrheit der Menschheit aus, die einen ganz anderen Glauben haben oder wie die Buddisten, die Anhänger von Konfuzius oder die Shintoisten an kein überirdischens Wesen namens Gott glauben? Wird ihnen in einem möglichen Leben nach dem Tod von einem möglichen Gott kulanterweise ihre Sünden genauso wie den Änhängern von Jesus vergeben oder müssen sie nach dem Motto: “Unwissenheit schützt vor Strafe nicht” stattdessen mit der Einfahrt in die Hölle rechnen?

Wieland Schmied / 06.07.2018

Immer öfter frage ich mich, wo sich diese große Anzahl Idioten in der jüngeren Vergangenheit verbarg bzw. wer sie so gut versteckt hielt und dann Zug um Zug in die Freiheit entlassen hat. Es kann doch einfach nicht wahr sein, daß diese Blöden so hemmungslos schalten und walten können, ohne daß die, die was in der Birne haben, ernsthaft etwas Konstruktives dagegen zu unternehmen willens oder in der Lage sind. Am Ende sind die Doofen vielleicht die Normalen und die vermeintlich Normalen die Doofen?  Konfusion komplett.

Carmen Müller / 06.07.2018

Keine Ahnung wann die Bergpredikt dran ist , aber Juda wird gerade rehabilitiert.  Er hat nicht Jesus verraten, neeein , er wollte dass die Erlösung schneller kommt.

Gertraude Wenz / 06.07.2018

Lieber Herr Landvoigt und lieber Herr Fasse, vielen Dank, dass Sie sich mit meinem Kommentar befasst haben. Ich entnehme Ihren Leserbriefen auf der Achse, dass Sie beide - wie viele hier -  dem Christentum sehr nahestehen. Zu Herrn Landvoigt: Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Teile der Bergpredigt heute unter “hatespeech” fallen würden. Auch Religion muss sich in einer Demokratie der Kritik stellen! ICH habe keine Hassrede gehalten, weder auf Jesus, noch auf die Christen. Zu Herrn Fasse: Jesus hat sich nicht als Erlöser gesehen, dessen Blutopfer die Menschen “reinwaschen” sollte (wie archaisch grausam übrigens-was ist das nur für ein Gott?), sondern als Verkünder des nahenden Gottesreiches. DAS war seine zentrale Lehre, und in der hat er sich massiv geirrt. Erst Paulus hat dem Sterben Jesu eine neue Deutung gegeben. Inspiriert von griechischen und babylonischen Erlösermythen wurde sein Tod zur stellvertretenden Sühne umfunktioniert und das Reich Gottes in den"Himmel” projiziert. Nun konnte man in Ruhe abwarten und auf die Auferstehung vertrauen, die Jesus ja (angeblich) vorgemacht hatte. DAS sind die Erkenntnisse der Neutestamentler, die so gut wie alle Theologen inzwischen anerkennen. Natürlich hält man damit hinterm Berge, wie soll man es den Gläubigen auch erklären, dass sie einem 2000 Jahre währenden weltanschaulichen Irrtum aufgesessen sind? Nichts für ungut! Das sind die Fakten. Ich weiß aber auch, dass so gut wie nichts einer tiefen religiösen Überzeugung etwas anhaben kann. Tut mir leid, dass das Thema etwas ausgeufert ist und schon gar nicht mehr zum eigentlichen Achse-Artikel passt…

Bernhard Förster / 06.07.2018

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die Verloren gehe: uns aber, die wir errettet werden ist es eine Gotteskraft. 1. Korinther 1:18

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