Nun ist US-Präsident Donald Trump auch selbst zum Kriegsherrn im Nahen Osten geworden. Gab es im Vorfeld Absprachen mit Russland? Und mit anderen Mächtigen? Die europäische Außenpolitik steht jedenfalls reichlich blamiert da.
Wie immer, wenn in einem kriegerischen Konflikt mit einem Angriff eine neue Eskalationsstufe erreicht wurde, scheint es auch bei vielen Entscheidungsträgern ein Überraschungsmoment zu geben, das sie innehalten lässt. Zwar wurde ein direkter US-Luftangriff auf den Iran immer wieder in den letzten Tagen breit in der Öffentlichkeit diskutiert, doch als er jetzt tatsächlich kam, wirkte er dennoch auf viele unerwartet. In solchen Situationen steht man im journalistischen Gewerk vor der undankbaren Aufgabe, aus viel zu wenigen Informationspuzzleteilen ein möglichst zutreffendes Lagebild zu entwerfen. Zudem es sich nicht gehört, der über allem stehenden Frage nach dem, was nun folgt, auszuweichen, auch wenn es logischerweise noch keine belastbaren Antworten, dafür aber umso mehr Spekulationen gibt.
Doch vor dem Spekulieren - selbstverständlich zunächst ein kleiner chronologischer Überblick über die bekannten Fakten.
Die USA haben in der Nacht Atomanlagen im Iran angegriffen: die unterirdische Uran-Anreicherungsanlage in Fordo sowie Einrichtungen in Natans und Isfahan. US-Präsident Donald Trump habe nach Medienberichten von einer vollständigen Zerstörung der Anlagen gesprochen und mit noch größeren Attacken gedroht, sollte die iranische Seite nicht einen Weg des Friedens einschlagen.
Der US-Angriff entsprach bekanntlich dem Wunsch Israels, weil ihre eigene Luftwaffe zu den Angriffen in der letzten Nacht nicht in der Lange gewesen wäre. Fordo gilt als die am besten gesicherte Nuklearanlage des Iran. Sie liegt südlich der Hauptstadt Teheran in der Nähe der Stadt Ghom derart tief unter der Erde, dass sie nur mit einer tonnenschweren sogenannten Bunkerbrecher-Bombe effektiv angegriffen werden könne und über diese Bombe verfüge nur das US-Militär. Auch für den Transport der schweren Munition hatte es US-Flugzeuge, wie etwa Tarnkappenbomber vom Typ B-2, gebraucht.
Nach unserer Zeit mitten in der Nacht sollen mehrere ebendieser Tarnkappenbomber von ihrem Stützpunkt im Bundesstaat Missouri mit dem Ziel Iran gestartet sein. Etwas später verkündete Trump einen „sehr erfolgreichen Angriff“ auf die drei genannten iranischen Atomanlagen. „Wir haben unseren sehr erfolgreichen Angriff auf die drei Atomanlagen im Iran, darunter Fordo, Natanz und Esfahan, abgeschlossen“, habe es in der Erklärung, die das Weiße Haus auch per E-Mail an Medien verschickte, geheißen, und weiter: „Es gibt kein anderes Militär auf der Welt, das dies hätte tun können. JETZT IST ES ZEIT FÜR FRIEDEN!“. Keine zwei Stunden später bestätigten auch iranische Staatsmedien den US-Angriff.
"Spektakulärer militärischer Erfolg"
In Israel wurde in diesen frühen Morgenstunden aus Sicherheitsgründen verkündet, dass das öffentliche Leben auf Anordnung weiter eingeschränkt würde. Wegen drohender iranischer Vergeltungsangriffe sei nur noch „wesentliche Aktivität“ erlaubt, was „ein Verbot von Bildungsaktivitäten, Versammlungen und Arbeit, außer in wesentlichen Bereichen“ beinhalte.
Präsident Trump hielt eine „Rede an die Nation“ und drohte dem Mullah-Regime, dass der Iran sich jetzt für den Weg des Friedens entscheiden müsse, sonst drohe dem Land noch größere Zerstörung. „Es wird entweder Frieden geben oder eine Tragödie für den Iran“, so Trump wörtlich. „Unser Ziel war die Zerstörung der iranischen Anreicherungskapazität und die Beendigung der nuklearen Bedrohung durch den weltweit größten Terrorsponsor“, so der US-Präsident. „Heute Abend kann ich der Welt verkünden, dass die Angriffe ein spektakulärer militärischer Erfolg waren.“
Darauf folgten auch offizielle Reaktionen aus Teheran. Der iranische Außenminister Abbas Araghtschi hat auf das Eingreifen der USA erwartungsgemäß mit empörten und drohenden Worten reagiert: „Die Ereignisse des heutigen Morgens sind ungeheuerlich und werden dauerhafte Konsequenzen mit sich führen“, verbreitete er am Sonntagmorgen via X.
Und wie um seine Worte zu untermauern feuerte der Iran erneut mit Raketen auf Israel. 30 Raketen seien eingesetzt worden, so Irans staatlicher Rundfunk. Irans Atomorganisation erklärte unterdessen, dass trotz der „bösartigen Verschwörungen der Feinde“ das Nuklearprogramm nicht gestoppt werde.
Selbstverständlich darf der US-Militärschlag aus Sicht der iranischen Propaganda nicht erfolgreich gewesen sein. Die Anlage sei nicht schwer beschädigt, sondern ein Großteil der Schäden wäre nur oberirdisch, heißt es in staatlichen Medien. Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA ließ derweil mitteilen, es sei „kein Anstieg der Strahlungswerte außerhalb der Anlagen" gemeldet worden. Aber was lässt sich nun aus dieser Information belastbar ableiten?
Die nächsten Stunden sind ohnehin die Zeit vieler besorgter Fragen. Zu welchen Reaktionen ist der Iran nicht nur willens, sondern auch noch in der Lage? Mit welchen mörderischen Aktionen reagieren die aus Teheran bezahlten Terrorgruppen? Und wie wird Russland reagieren? Wladimir Putin hatte dieser Tage bei seinem Auftritt vor dem Petersburger Wirtschaftsforum betont, dass alle Spekulationen über ein Abrücken Moskaus vom Bündnis mit der Mullah-Führung in Teheran vollkommen haltlos wären. War das nur Wortgeklingel oder auch eine Ansage?
Abschied von den Europäern?
Natürlich sind auch die ersten offiziellen Reaktionen angefüllt von Besorgnis. UN-Generalsekretär António Guterres bemüht sich in solchen Fällen sehr, seinen Textbaustein als erster in den Ring zu werfen. Er sei nach den US-Angriffen „zutiefst beunruhigt“ und habe vor den katastrophalen Folgen für die Welt gewarnt, hieß es. „In dieser gefährlichen Stunde ist es von entscheidender Bedeutung, eine Spirale des Chaos zu vermeiden!“, ließ er sich zitieren. Die Mitgliedsstaaten wären aufgefordert, ihren Verpflichtungen aus der UN-Charta nachzukommen.
Diese Floskeln hören sich so weg, obwohl hier der geeignete Anlass für die Frage wäre, warum dem UN-Generalsekretär die UN-Charta zwar bei solchen Angriffen der USA und Israels wichtig ist, aber ihn der Umstand, dass die Vernichtung Israels für das iranische Regime quasi eine Art Staatsziel ist, offenbar deutlich weniger bekümmert. Doch die übersättigten Medienkonsumenten nehmen diese abgenutzten Krisenreaktionsfloskeln wahrscheinlich nur noch als Teil des alltäglichen politischen Grundrauschens wahr. Das trifft sicher auch auf den Guterres-Satz: „Es gibt keine militärische Lösung. Der einzige Weg nach vorne ist die Diplomatie. Die einzige Hoffnung ist der Frieden“ zu.
Immerhin bietet dieser Satz Anlass für einen kurzen Seitenblick in Richtung Europa. Am Freitagabend erfreuten sich europäische Außenminister noch eines angeblichen diplomatischen Fortschritts, den sie erreicht hätten. Die Agenturen meldeten:
„Nach einem dreistündigen Gespräch traten die Außenminister in Genf vor die Presse. Johann Wadephul sprach von ‚ernsthaften Gesprächen‘, die er und seine britischen und französischen Kollegen mit dem iranischen Ressortchef Abbas Araghchi geführt hätten. Es sei der Eindruck entstanden, so Wadephul, ‚dass die iranische Seite grundsätzlich bereit ist, über alle Fragen weiter zu sprechen‘.
Araghchi selbst äußerte sich ähnlich positiv: Sein Land sei bereit, weiter auf Diplomatie zu setzen. Ein erneutes Treffen in naher Zukunft sei möglich. Die Diskussionen seien ernsthaft und von Respekt geprägt gewesen.“
Aber die Europäer sind derzeit offenbar gar keine ernst zu nehmenden Akteure mehr in diesem Konflikt. Das hat der heutige Morgen ziemlich deutlich gezeigt, auch wenn der deutsche Kanzler vielleicht wieder - wie nach dem ersten israelischen Luftangriff auf den Iran - zur Demonstration seiner weltpolitischen Bedeutung darauf hinweisen lassen kann, dass er vorab durch einen Anruf aus dem Weißen Haus informiert worden wäre.
Einmal wirklich schießen?
Die Europäer spielen in der Nahost-Diplomatie anscheinend derzeit eher eine Nebenrolle. Aber wie ist es mit den Russen? Dass Russlands Machthaber eine politische Freundschaft mit dem Mullah-Regime geschlossen haben, war ein rein pragmatischer Schritt und keine Herzensangelegenheit. Aber Moskau möchte natürlich keinen Regimewechsel hin zu einem Iran, der sich solcher Kumpanei verweigern würde.
Inwieweit hat sich Trump mit Putin abgestimmt? Kann man sich auch vorstellen, dass beide jetzt über einen größeren geopolitischen Deal nachdenken? Eine Art Nahost-Ukraine-Paket? Ja, an dieser Stelle lässt sich nur trefflich spekulieren, allerdings kaum mit Substanz.
Donald Trump hat mit seinem Schritt immerhin einen Wandel vollzogen. Eigentlich galt er als der US-Präsident, der zwar mit starken Worten droht, aber am Ende keinen Kriegseinsatz befiehlt. Davon ist er jetzt abgewichen. Vielleicht, weil er denkt, dass auch seine unberechenbaren Drohungen irgendwann wirkungslos werden, wenn er nicht auch mal wirklich schießt?
Noch am Donnerstag hatte Trump erklärt, dass er eine Beteiligung der USA an den israelischen Angriffen auf den Iran erwäge und innerhalb von zwei Wochen eine Entscheidung treffen werde. Das interpretierten viele Beobachter als Wanken und Zögern, weil der US-Präsident den Militäreinsatz nicht wirklich wolle. Wie falsch diese Interpretationen waren, zeigt sich nun.
Jetzt wird dieser vermeintliche Sinneswandel so erklärt, dass Teile der US-Regierung Trump zu den Bombardements geraten hätten, weil die Gelegenheit zu einem entscheidenden Schlag gegen den Iran so günstig wäre, denn das Mullah-Regime sei geschwächt wie nie. Schließlich hatte Israel schon viele Luftabwehrsysteme des Irans durch Geheimdienstoperationen und Hunderte von Angriffen zerstört.
Diese Stunden jetzt sind zudem bestimmt vom Warten auf die eigentlichen Gegenschläge des Iran. In Katar, Bahrein oder Kuwait, also in der Reichweite von Kurzstreckenraketen sind tausende US-Soldaten stationiert. Außerdem könnte der Iran jetzt, wie angedroht, die Straße von Hormus im Persischen Golf schließen, durch die immerhin 30 Prozent der Öltransporte laufen.
Donald Trumps Sache ist banges Warten sicher nicht. Er macht ganz andere Ansagen in Richtung Teheran: „Wenn der Frieden nicht schnell kommt, werden wir die anderen Ziele mit Präzision, Schnelligkeit und Geschick angreifen, die meisten von ihnen können in wenigen Minuten ausgeschaltet werden“.
Interpretationen dieses Satzes lassen sich am heutigen Vormittag noch aufschieben. Um 14 Uhr unserer Zeit will Donald Trump in Washington vor die Presse treten, wird gerade gemeldet. Diesen Auftritt sollte man sich wohl anschauen.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.