Johannes Eisleben / 06.06.2020 / 06:20 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 40 / Seite ausdrucken

Urteil „1 BvR 2835/17“ und das Menschenbild dahinter

Das kürzlich gefällte Urteil „1 BvR 2835/17“ des Bundesverfassungsgerichtes wurde zwar wenig beachtet, hat es dafür aber um so mehr in sich. Es beinhaltet nämlich eine neue Interpretation unserer Verfassung, die es bisher noch nie gegeben hat und eigentlich auch nicht geben kann. Denn was passiert mit einem Staat, der im Ausland seine Interessen nicht mehr wahren kann? Er verschwindet. Im ersten Teil dieses Beitrages wurden die unmittelbaren Folgen und das Verfahren geschildert, das zu diesem Spruch des Verfassungegerichtes führte.

Aber welche gesellschaftlichen Strömungen führen zu so einem merkwürdigen Verständnis? Wer staatliches Handeln von innen verstanden hat, kann schon bei Machiavelli und Clausewitz nachlesen: Frieden kann zwischen Staaten nur durch Abschreckung garantiert werden, friedliches Einvernehmen wie derzeit (noch) in Europa ist eine weltgeschichtliche (leider eher kurz dauernde) Ausnahme und keinesfalls die Regel.

Wie sind unsere obersten Richter so weit gekommen, ohne jegliche geistesgeschichtliche Grundlage, dem Staat die Möglichkeit der Interessendurchsetzung im Ausland wegzunehmen (zumindest rechtsdogmatisch, in der Praxis wird die Suppe der Richter nicht so heiß gegessen, wie diese sie aufkochen)?

Die Antwort: aus zwei wichtigen Gründen. Erstens, weil sie ein vollkommen realitätsfremdes Menschenbild und Rechtsverständnis haben, das in der europäischen Aufklärung seit Babeuf und Rousseau leider immer wieder eine wichtige Rolle gespielt hat. Demzufolge ist der Mensch zum Guten geboren und wird lediglich durch die falsche Erziehung zum Schlechten sozialisiert. Wenn wir die Umstände ändern, unter denen die Menschen aufwachsen, können wir eine in jeder Hinsicht gerechte, friedliche und gleiche Gesellschaft errichten. Und die Sache hat auch einen Namen: Sozialismus.

Hypermoral und Nationalstaatsauflösung sind utopistisch

Der Mensch ist nicht „des Menschen Wolf“ (Thomas Hobbes), es gilt nicht „das Gute, das ich tun will, tue ich nicht, sondern das Böse, das mein Fleisch will, das tue ich“ (Paulus), oder am kompaktesten: „Krummes Holz, aufrechter Gang.“ (Immanuel Kant). Stattdessen glaubt man: Der Mensch kann sich von seinem natürlichen Aggressionspotenzial, seinem Machtstreben und seiner Angst vor Fremden vollständig zu einem rein kollaborativen Wesen emanzipieren und in vollständiger – so die Vorstellung der Sozialisten – Gleichheit und Brüderlichkeit leben, auch weltweit in der „Weltgesellschaft“, wie sie es – abgefüllt mit Hypermoral – neuerdings nennen.

Zweitens, weil sie mehrheitlich, obwohl sie zu den höchsten Amtsträgern unseres Staates gehören, diesen Staat im Grunde genommen in einem neuen Supranationalstaat, der EU, aufgehen lassen wollen: Sie sind Nationalabolitionisten (Nationalstaatsauflöser). Während die Hypermoral ein Phänomen des ganzen Westens ist, ist die Sehnsucht nach der Aufhebung des Nationalstaates in Deutschland am stärksten und hat ihre Wurzeln in der furchtbaren Geschichte des wilhelminischen und des nationalsozialistischen Ultranationalismus von 1914 bis 1945. Doch ist die Auflösung der Nation im Supranationalstaat kein Ausweg, da nur diese einen Souverän und eine demokratische Öffentlichkeit, also ein legitimes Herrschaftssystem tragen kann. Beide Haltungen, Hypermoral und Nationalstaatsauflösung sind utopistisch.

Doch die Durchsetzung dieser realitätsfernen Träume hat in der Geschichte der Menschheit nur eines bewirkt: viele Millionen Tode, Opfer des Sozialismus, angefangen von der religiös-präsozialistischen Republik der Wiedertäufer in Münster über die Toten der Gewaltherrschaft der Jacobiner und Napoleons, des ersten modernen usurpatorischen Gewaltherrschers, bis zu Mussolini, Hitler, Stalin und Mao, um nur die wichtigsten zu nennen. Und zusätzlich zu den Toten immer auch Verschleiß der materiellen Substanz – denn ein Staatssystem, das gegen das Wesen des Menschen, wie beispielsweise seinem Drang nach Eigentum gerichtet ist, wirkt immer zerstörerisch.

Kraft der unsichtbaren Hand des Marktes

Im heutigen Sozialismus kommt die Usurpation auf leisen Sohlen. Institutionen werden übernommen und ihres inneren Sinns beraubt, um den Zielen zu dienen. Dabei sind die Täter in zwei Typen einzuteilen: Machtzyniker, die genau wissen, was sie anrichten und die Konsequenzen ihres Handelns mit zynischer Kälte betrachten. Solche „Großinquisitoren“ (Dostojewski) sind jedoch in der Minderheit. Die meisten glauben aber ernsthaft, dem Guten und Wahren zu dienen.

Wie endet so eine Phase institutioneller Verdrehung, die Gesetze macht und Recht spricht, das fundamental dem Wesen des Menschen und der gesamten geistigen Tradition und allem, was die Menschheit schmerzlich gelernt hat, entgegengesetzt ist?

Entweder wir bekommen einen Übergang zum offenen Sozialismus, oder es kommt zu einer Restauration der Institutionen, die uns zum Wohlstand und Frieden geführt haben. Derzeit gehen wir den Weg des Sozialismus, wie man an der Corona-Krisenpolitik der EU unschwer erkennen kann: Anstatt die Produktionsstruktur zu sanieren, wird planerisch eine inadäquate Kapitalallokation betrieben. Vielleicht müssen wir erst wieder durch das bittere Tal der Tränen, bevor es zu einer Renaissance der bürgerlichen Gesellschaft kommt. Nur diese kann uns mit der Kraft der unsichtbaren Hand des Marktes, eingerahmt von einem zurückhaltenden und gleichzeitig starken Staat, wieder zum Wohlstand führen.

Den ersten Teil dieses Beitrages finden Sie hier.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Christopher Sprung / 06.06.2020

In Polen sollen Verfassungsrichter von der Regierung ausgewählt werden, dafür wird Polen von D und EU massiv angegriffen. In Deutschland werden sie von einigen sich selbst hierzu auswählenden Parteien ausgewählt, nach Proporz-Absprache-im-Jahrzehnte-Rythmus; die “demokratischen” Abstimmungen am Ende des Auswahlverfahrens sind lediglich Vertuschung/Verschwörung der wahren Machtinhaber. Ja, in der Tat: der Selbsthaß der Deutschen; der Sündenstolz; die Welt-Hybris.

Rainer Nicolaisen / 06.06.2020

Was soll ein so unsinniger Begriff wie “wilhelminischer und nationalsozialistischer Ultranationalismus”?!  Wenn Sie “Ultranationalismus” suchen, so werden Sie, Herr Eisleben,  vor dem ersten Weltkrieg vor allem in Frankreich und Serbien fündig werden . Suchen Sie!

Hans-Peter Dollhopf / 06.06.2020

Jetzt mal ne Frage, den weiteren Ablauf unseres nationalstaatlichen Beitrags zur Weltgeschichte, jenem Zeitraum ab Keilschrifterfindung betreffend: Wer, außer Ihrer Allerdurchlauchtesten Selbstbereicherungsberechtigung, Ihrer Transzendentalität, dem EuGH, darf denn solches Urteil unseres mit fremden Liebhabern das Bette teilende BVerfG revidieren? Sind oder werden wir gezwungen, schon bald wieder eine neue Republik auf Trümmern solcher bis zur Neige zelebrierten Dekadenz zu gründen? Und wer wären “wir” dabei? Was ist eigentlich noch übrig von “uns”?

Wolfgang Kaufmann / 06.06.2020

„Die meisten glauben aber ernsthaft, dem Guten und Wahren zu dienen.“ – Kindgerechte Bauchdenke, missionarische Hypermoral und die Unfähigkeit, juristische Fragen auf der abstrakten Ebene abzuhandeln, kennzeichnen eine ganz bestimmte Menschengruppe. Ich komm grad nicht auf den Namen.

B.Kröger / 06.06.2020

Vielleicht sollte über das Staatsverständnis in Deutschland endlich öffentlich gesprochen werden. Erst ein verspäteter Nationalstaat, dann der erste Staat in Europa, der sich wieder als Nationalstaat auflösen will?

Wilfried Cremer / 06.06.2020

Nochmal: Nachdem die jüdische Nation nicht auszulöschen war, versucht man jetzt den Umweg über die Nation an sich und fängt natürlich mit dem Hass auf Deutschland an.

beat schaller / 06.06.2020

Danke Herr Eisleben, dass Sie hier wieder etwas sehr treffend auf den Punkt bringen. Unsere Welt lebt nur noch in der eigenen Vorstellung einer Gruppe von Machtbesessenen.  (Das können ja nur Politiker sein) b.schaller

S.Clemens / 06.06.2020

Überhöhen Sie bitte nicht die Vergangenheit, Herr Eisleben. Dass wir nach WKII eine in (weitgehendem) Frieden bis dato unerreichte Wohlstandsgesellschaft wurden ist ja nicht den “Institutionen” zu verdanken. Es waren/sind Menschen mit Vorstellungen, die über das Eigeninteresse hinaus genügend Reflexionsvermögen besassen für eine grössere Gruppe zu denken und zu handeln. Und es waren trotzdem Kämpfe und Auseinandersetzungen notwendig mit trotzdem irrenden Entscheidungen und Entwicklungen. Nunmehr haben wir es mit einem Grossteil Menschen zu tun, die (angeblich) gar kein Eigeninteresse haben und die moralische Gewalt ihrer Vorstellung als Ziel für die Gemeinschaft setzen (Welt-,Klima-,Gleichheitsrettung) aber das Aushandeln mit dem “Souverän” verweigern und es durch eine totalitaristische “Verkündigungsinstitution” ersetzen wollen. Noch besteht genügend relativer Wohlstand, dass die Masse den Wohlfühlverkündungen glaubt…

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