Das absolute Highlight der diesjährigen Leipziger Buchmesse war die
Medienschelte des aus Danzig stammenden und vorübergehend aus den
Feuilletons der deutschen Tages- und Wochenzeitungen vertriebenen
Literaturnobelpreisträgers Günter GraSS, dem die “Leipziger Volkszeitung”, das
frühere Zentralorgan der Bezirksleitung der SED, fast die gesamte
Titelseite ihrer Samstagsausgabe widmete, während die “Süddeutsche
Zeitung” lediglich ein Interview mit dem größten, noch lebenden deutschen
Schriftsteller der Nachkriegszeit abdruckte, mit dem GG dem Leser einen
kleinen Einblick in sein äußerst differenziertes Denk- und
Ausdrucksvermögen gab dazu eine kleine Auswahl aus dem
reichhaltigen sprachlichen Arsenal der höchsten moralischen Instanz
hierzulande lieferte, die nach eigenen Aussagen insgesamt nur etwa hundert Tage
in der Waffen-SS gedient hatte.
An dieser Stelle nur einige wenige besonders gelungene Formeln und
Sprüche von Onkel Günter von der Waffen-SS, die eigentlich normalerweise
den sofortigen Abbruch der Kommunikation mit dem Leser nach sich ziehen
sollten:
“Ausmaß an Niedertracht, wie ich es bisher nicht erlebt hatte;
Entartung der deutschen Presse; Fertigmachen; Gleichgestimmtheit;
Gleichmacherei; Kampagne; Niedermachen; Niveauverlust; Skandal;
Schnellgericht; Schußfeld; Streitkultur, die auf den Hund gekommen ist;
Tendenz, mich mundtot machen zu wollen; Unfähigkeit, sich selbstkritisch zu
sehen; Vorverurteilen; Wolfsrudelgeheul usw.”
Doch in Leipzig scheint man sich geradezu nach einer derart
differenzierten Medienschelte zu sehnen, denn nicht umsonst mußte man hier
bereits anläßlich der Buchmesse im Jahre 1990 erkennen, was es heißt,
wenn eine derart berühmte Dichterin wie Christa Wolf, die sich in der
DDR nichts aber auch gar nichts zu schulden kommen lassen hat und die in
ihrem Leben stets auf der Seite der Beleidigten und Entrechteten des
besseren Deutschlands stand, von heute auf morgen von arroanten
Besserwessis in den Feuilletons der großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen
an den Pranger gestellt und auf einmal zur Unperson degradiert wird,
nur weil sie eine Zeitlang für die Staatsssicherheit gearbeitet hatte.
Doch Gott sei Dank gab es trotz Adornos Verdikt, demzufolge es
barbarisch sei, nach Auschwitz noch Gedichte schreiben zu wollen, für Onkel
Günter von der Waffen-GG noch diese nette kleine poetische Form, oder -
um mit seinen eigenen Worten zu sprechen - dieses “Instrument, mit dem
man sich selbst erkennt und behaupten kann - auch gegenüber einer
Kampagne.”
So dürfen wir uns denn vielleicht schon jetzt auf eventuelle neue
Enthüllungen in einem weiteren großen Roman von Günter GraSS freuen, in
dem er uns womöglich nicht nur erklären wird, daß ein
abenteuerlustiger Hitlerjunge von damals mangels Interrail-Ticket der Deutschen
Reichsbahn leider keine andere Möglichkeit hatte, als kostenlos mit der
Waffen-SS durch Europa zu trampen, um sein natürliches Bedürfnis nach
Abenteuern zu stillen, sondern uns auch darüber
aufklären wird, daß der in seinem neuen Gedichtband auftauchende “Spitzhut”
nicht nur das Symbol des “dummen Augusts” ist, der von den
gleichgeschalteten deutschen Medien abgemeiert wird, sondern selbstverständlich
ein sog. “Judenhut”, der das unschuldige Opfer einer zentral gelenkten,
neuen “Kamapagne” markiert.