Johannes Eisleben / 22.04.2020 / 14:30 / Foto: Pixabay / 28 / Seite ausdrucken

Unter der Kuppel des magischen Denkens

Wir erleben gerade die intensivste Phase magischen Denkens in der Politik seit langer Zeit – vielleicht seit dem Sommer 1914, als junge Menschen im kollektiven Wahn jubelnd mit der Bahn in den Tod des mechanisierten Krieges fuhren. Wie ist das zu verstehen?

Beginnen wir mit den Fakten, über die sich die globale wissenschaftliche Gemeinschaft der forschenden Ärzte weitgehend einig ist und die immer mehr Virologen, Pulmologen und Immunologen nun auch öffentlich vortragen:

  • SARS-Cov2 wird – wie jedes Coronavirus bisher – 50 bis 70 Prozent der Weltbevölkerung durchseuchen, bis sich überall Herdenimmunität herausgebildet haben wird. Wir können diesen Prozess verlangsamen, aber nicht stoppen, egal, was wir tun. 
  • Bei der Durchseuchung werden etwa 0,1 bis 0,2 Prozent der Infizierten mit (nicht notwendigerweise an) Corona sterben. Ihr Durchschnittsalter wird etwa 80 sein, weit über 90 Prozent werden schwere Vorerkrankungen gehabt haben. Durch Behandlung auf der Intensivstation kann den Menschen, die an einem altersbedingten Versagen des Immunsystems sterben, nicht geholfen werden.
  •  Etwa ein bis fünf Prozent der Toten werden – vergleichbar mit neuen Influenzastämmen – unter 60 sein. Bei diesen besteht eine Chance, die Intensivbehandlung zu überleben, also eine reale Möglichkeit der Wirksamkeit einer – wohlgemerkt – rein symptomatischen, nicht kausalen Therapie.

Daraus folgt: Die derzeit ergriffenen Maßnahmen haben kaum Einfluss auf die Sterberate. Um die Sterberate zu minimieren, ist es vor allem angeraten, den Zugang zur passenden Intensivbehandlung zu organisieren. Dann wird den Menschen geholfen, denen geholfen werden kann.

Magisches Denken

Doch anstatt dieses medizinische Wissen zu nutzen, um rational zu handeln, schaden wir der Wirtschaft um etwa 30 bis 50 Milliarden Euro pro Woche – keiner kennt die Kosten des Shutdowns genau, doch pro Woche mit 1 bis 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu rechnen, kann nicht ganz falsch sein: Zwei Prozent anzunehmen, wäre zu viel, da das Wirtschaftsleben nicht total erliegt, doch nimmt der Schaden durch die Netzwerkeffekte der Wirtschaft exponentiell zu. Beispielsweise sind von der Insolvenz von Karstadt dessen Kreditoren (Banken, Mitarbeiter, Lieferanten und Dienstleister) betroffen.

Wir führen aus kollektiver Angst kosmetische Maßnahmen aus, die im Vergleich zum rationalen Handeln kein Menschenleben retten, aber sehr viele kosten. Dies ist magisches Denken. Magisches Denken liegt dann vor, wenn Handlungen Realitätswirksamkeit zugeschrieben werden, die keine Auswirkungen auf die Wirklichkeit haben. Natürlich kann der Schamane durch seinen Tanz keinen Regen auslösen. Aber er tut so und glaubt sogar selbst daran, weil das gesamte Denken seiner Kultur magisch ist. Wir Abendländer haben seit der Beschreibung rationalen Denkens als Grundlage unserer Kultur durch die Griechen knapp 3.000 Jahre lang Schritt für Schritt das magische Denken abgelegt – nun ist es wieder da, mit einer Intensität, die sich vor 8 Wochen keiner hätte träumen lassen.

Was geht mit dem magischen Denken einher? Zwei wesentliche Charakteristika sind: Machbarkeitswahn und – in unserer heutigen Kultur – Hypermoral. Machbarkeitswahn bedeutet, dass wir ernsthaft glauben, das magische Denken und Handeln habe eine besonders starke Auswirkung auf die Realität. Beispielsweise äußert sich der Corona-Machbarkeitswahn in der kollektiven Vorstellung, man könne Menschen, die an einem altersbedingten Versagen des Immunsystems sterben, durch Intensivtherapie mit Beatmung retten – in Wirklichkeit beraubt man sie eines Todes unter ihren Angehörigen und setzt sie einem Tod inmitten von Maschinen aus.

Das alleine ist schlimm genug, denn keinen Toten für 35 Milliarden EUR pro Woche zu verhindern, ist schon sehr verrückt. Man fragt sich mittlerweile, wen es trifft, wenn das den Menschen klar wird.

Unduldsame Hypermoral

Doch hier soll es um den zweiten Aspekt gehen: Die Hypermoral, deren pathologische Dysfunktionalität man am Fall der Coronapanik besonders gut herausarbeiten kann.

Hypermoral bedeutet laut des Wortschöpfers Arnold Gehlen die Verabsolutierung eines Wertes oder einer Gruppe von Werten auf Kosten aller anderen Werte, mit denen sie konkurrieren. In den letzten 50 Jahren haben wir eine Kultur der Hypermoral des Schutzes des Individuums und der Zuwendung zum Nächsten (zu dem jeder Mensch auf dem Globus deklariert wurde) auf Kosten anderer Werte entwickelt. Die kulturgeschichtliche Ursache dieser Entwicklung ist die Sakralisierung des Einzelnen seit der Aufklärung bis hin zum Ersatz Gottes durch das Ich. Ganz in dieser Tradition geht das magische Denken beim “Kampf gegen Corona” mit einer stark ausgeprägten Hypermoral einher. Die Vertreter dieser Moral glauben, es ginge beim Umgang mit der Corona-Epidemie um den “Schutz der Alten und Schwachen”, die “Solidarität” mit ihnen und die “Rücksichtname auf die Alten”.

Daher wird Ärzten, die vom angsterfüllten Corona-Narrativ – das die medizinischen Berater der Politiker verbreiten – abweichen, indem sie die biologischen Eigenschaften des Virus beschreiben und erläutern, welche Grenzen die therapeutischen Maßnahmen bei immuninkompetenten Patienten haben, fälschlicherweise Unwissenschaftlichkeit und Mangel an Sachkenntnis vorgeworfen. Es wird vermutet, ihre Aussagen speisten sich aus einem moralischen Defizit: Einem Mangel an Menschlichkeit, Empathie und dem Willen, die Alten und Schwachen zu schützen. Kritiker wie Prof. Dr. med. Sucharit Bhakdi werden neuerdings auch als “Coronaleugner” bezeichnet. Dies geschieht in der klassischen medialen Öffentlichkeit, in den Social Media, aber auch im öffentlichen Raum, wenn man sich dort – im Betrieb oder an einer der neuen Einkaufsschlangen – kritisch zur Coronapanik äußert.

Wir kennen dieses Muster bestens aus Diskussionen um den “Klimaschutz” oder “Open Borders”: Wer eine vom hypermoralischen Mainstream abweichende Meinung vertritt, weil er die verfügbaren Werte anders gewichtet, wird als unwissenschaftlich und unmoralisch abqualifiziert – ganz nach dem Muster magischen Denkens, das neben sich kein rationales Denken duldet.

Orientierung am Unerreichbaren

Bei der Klimadebatte gibt es im Wesentlichen drei Lager: 

  • den hysteriformen IPCC-“Konsens”, 
  • Wissenschaftler, die die These vom anthropogenen Klimawandel mit guten Argumenten ablehnen sowie 
  • Geophysiker, die sagen, dass wir weder die eine noch die andere These beweisen können. 

Doch beim Thema SARS-Cov2 ist der wissenschaftliche Konsens, wie wir gesehen haben, der folgende: Es ist ein im Wesentlichen hinsichtlich Kontagiosität und Letalität normales Grippevirus, gegen das wir keine Kausaltherapie haben und welches sich so lange verbreiten wird, bis Herdenimmunität erreicht ist – egal, was wir tun.

Im Unterschied zur Klimadebatte sind bei der Diskussion um das Virus magisches Denken, Machbarkeitswahn und Hypermoral jedoch noch viel ausgeprägter, da die Menschen Angst um ihr Leben haben – nicht in 50 Jahren wie beim Klima, sondern hier und jetzt. Wie in einer soziologischen Versuchsanordnung beobachten wir, was das Sprichwort “Angst ist ein schlechter Ratgeber” gesellschaftlich bedeutet. Bei einem klassischen, einfachen Experiment hält man alle Variablen konstant, ändert eine und misst dann, was passiert. Das hat die Natur für uns getan: Alles ist wie immer, aber SARS-Cov2 ist aufgetaucht und Machthaber in China haben darauf kopflos reagiert. Dabei haben sie ein Modell für den Umgang mit diesem normalen Grippevirus vorgegeben, das nun in globaler Panik überall reproduziert wird.

Dabei wird nicht nur der wissenschaftliche Konsens ignoriert, sondern auch ein nicht erreichbarer Wert (die unmögliche Rettung des Lebens von Menschen, die an Immuninsuffizienz sterben) über alle anderen gestellt. Beispielsweise werden Krebskranke nicht mehr operiert, um Intensivbetten für Menschen freizuhalten, denen man mit einer Intensivbehandlung nicht helfen kann. Dafür steigt die Wahrscheinlichkeit für die Krebskranken, später am Krebs zu sterben, weil der Krebs in der Zwischenzeit weiterwächst und metastasieren kann.

Vor allem wird ein riesiger wirtschaftlicher Schaden angerichtet, um medizinisch gar nichts zu erreichen. Im Winter wird diese Krise zu Toten unter den Ärmsten führen, beispielsweise Obdachlose oder alte Menschen, die kein Geld mehr zum Heizen haben. Aber auch viele Menschen in den Entwicklungsländern, die etwa als Textilarbeiter in Bangladesh ihre Jobs verlieren, weil tausende Fabriken keine Abnehmer bei uns mehr finden.

Hypermoral kann also nicht nur reale Werte gegenüber anderen Werten privilegieren, sondern auch Scheinwerte, die es gar nicht gibt. Auch dann, wenn die Kosten gewaltig, der Nutzen nichtig und die Folgen schauderhaft sind. Das haben wir schon bei der "Energiewende" gesehen, nun sehen wir es verschärft bei der Corona-Panik.

Immunisierung gegen totalitäre Zumutungen

Doch was machen in solche Zeiten kollektiven Wahns, in denen Ratio und Wissenschaft ignoriert werden, diejenigen, die das durchschauen? Die Entstehung der antiken Stoa macht es vor. Als es im hellenischen Kulturraum mit der Demokratie vorbei war, begründete Zenon diese Denkrichtung. Da es keine Freiheit und demokratische Partizipation mehr gab, wurde es für Intellektuelle erforderlich, sich einen anderen geistigen Raum zu schaffen, der private Reflexion mit einer Immunisierung gegen die Zumutungen totalitärer Staatsformen und der Ochlokratisierung ermöglichte. So wurde der Kerngedanke der Stoa, die Verbindung von Ataraxia (Unerschütterlichkeit), Apathia (Leidenschaftslosikgeit) und Autarkia (Selbstgenügsamkeit) zu einer Haltung massiver Affektkontrolle eine unter Intellektuellen breit akzeptierten geistigen Position, weil man anders die Realität gar nicht ertragen konnte. Deswegen kam es dann, nachdem die Stoa etwas in den Hintergrund getreten war, nach dem Ende der Republik unter dem Prinzipat des Augustus und seiner Dynastie auch zu einer Renaissance dieses Denkens mit Seneca und Marc Aurel: Man brauchte die Stoa wieder, um die absurden Zumutungen der Kaiserherrschaft zu ertragen.

Eine hedonistische Form dieser Haltung findet sich in der absurden Komik, woran Kollege Archi Bechlenberg neulich auf herrliche Weise erinnert hat. Halten wir es also mit Monty Python und deren Umfeld: Always look on the bright side of life – und vor allem: “I better laugh. Because if I don’t laugh, I’ll get mad!” (Marty Feldman).

Foto: Pixabay

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Hans Kloss / 22.04.2020

Der Schamane war wichtig und heute ist er das auch. Nicht um Regen zu holen. Seine Rolle war den Leuten zu helfen auch wenn nur durch Placebo-Effekt und sie unter Kontrolle zu halten wenn es zu lange nicht geregnet hat und manche sich vorstellen konnte einen besseren Anführer zu sein als der schon existierende. So ähnlich läuft das heute: die Leute müssen sehen dass etwas getan wird. Die Regierenden tun also was.  Sie müssen gleichzeitig das tun, was ihr Verständnis über die Lage und die Lösung des Problems sagt aber auch das, was der einfache Mensch als solches wahrnimmt. Das sind meist unterschiedliche Dinge. Wenn man Glück hat dann sind die Maßnahmen die unsere Regierenden sich ausdenken einigermaßen sinnvoll oder nicht zu schädlich. Unsere Regierenden sind noch ein Schritt weiter: ihres Verständnis der Tatsachen (abgesehen von ihre Diäten vlt) eher schwammig und Probleme lösen können sie auch nicht - wenn alles alternativlos ist, braucht man auch das nicht.

F.Bothmann / 22.04.2020

Der Beitrag zielt in die richtige Richtung. Die dauerhafte Überhöhung des individuellen Schicksals als Teil der medialen (und mainstream) Berichterstattung und als durchgängiger journalistischer Stil verstellt uns ja auch den Blick auf das große Ganze. Dieser Stil bedient ja auch die Individualisierung unserer Gesellschaft, die an vielen Stellen weit in einen Hedonismus übergegangen ist. Dieser führt aber eben nur zu einer Form der Selbstbefriedigung und kaum zu einem gesellschaftlichen Mehrwert. Vor diesem Hintergrund formt sich diese Hypermoral oder wie es ein Bekannter formulierte “wird unsere Ethik löchrig”. - Ich empfinde den Umgang unserer Politik gerade auch im Corona Chaos mit uns als Gesellschaft unethisch. Es herrscht eine medial gesteuerte Betroffenheitspolitik, die sich schon lange nicht mehr an einem Wertegrundsatz orientiert. Das empfinde ich als sehr armselig. In dieser geistigen Leere bekommen dann diese allerhand von Experten (derzeit Virologen) oder Grenzwerte-Technokraten unsagbar viel Raum. Und das geht mir mittlerweile vollkommen auf den Geist.

Rolf Menzen / 22.04.2020

Ich kann mir nicht vorstellen,  dass die mehr als 10.000 Corona-Toten allein in New York alle in die vom Autor genannte Kategorie der “... Menschen, die an einem altersbedingten Versagen des Immunsystems sterben…” gehören. In allen Ländern, die zuerst oder im Fall Schweden immer noch mit der sogenannten “Herdenimmunitäts-Durchseuchung” sympathisiert haben, ist die Anzahl der Toten im Vergleich zur Bevölkerung mindestens drei Mal so hoch wie in Deutschland, in dem ja nach Ansicht von Bertelsmann-Stiftung und Kalle “die Fliege” Lauterbach die Hälfte aller Krankenhäuser geschlossen werden sollten. Das dies bisher nicht oder nur zum kleinen Teil passiert ist, hat uns zusammen mit den Shutdown-Maßnahmen vor Szenen wie in Italien oder Spanien bewahrt.

Jürg Sand / 22.04.2020

Ralf Tenner, ich glaube, Sie argumentieren fest im Griff der Hypermoral, sie verstehen das Wesentliche nicht, das was die Hypermoral eben nicht sehen will. Die Hypermoral verschliesst die Augen vor der rationalen Wägung.  Für die Hypermoral kann die Welt ruhig zugrunde gehen (finanziell/existenziell), die Zahl, und wäre sie noch so ungünstig (wenig Leben gerettet, viel Leben zerstört), interessiert sie nicht, Hauptsache sie ist im „Recht“.

Frances Johnson / 22.04.2020

@ Stefan Schambara: Ihre Frau Mutter kann nicht in der Pathologie gestorben sein, denn dahin kommt man nur als Leiche. Vermutlich, so wie Sie das schildern, starb sie auf einer Intensivstation.

Ludwig Csepai / 22.04.2020

Genaugenommen passt Thunberg zum schwedischen Umgang mit Alten, das ist Ihnen wohl nicht aufgefallen.

Bernd Weber / 22.04.2020

was ist eigentlich aus Aids geworden, einem Virus der die halbe Weltbevölkerung dahinraffen sollte ? ( die Älteren werden sich noch erinnern ) Selbst nach 40 Jahren gibt es keinen Impfstoff und die Weltbevölkerung wächst trotzdem !

HaJo Wolf / 22.04.2020

Einfache Formel: wir werden von Verbrechern beherrscht. Und die müssen weg sowie durch Kompetenz und Ehrlichkeit ersetzt werden.

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