Walter Krämer / 31.08.2015 / 14:30 / 3 / Seite ausdrucken

Unstatistik des Monats: Viagra für Frauen - 0.7 mehr Lust?

Die Unstatistik des Monats August ist die Berichterstattung über die Markteinführung des Medikaments „Flibanserin“ in den USA. So berichtete zum Beispiel Focus online am 19. August: „Erste Lustpille für Frauen kommt auf den Markt“; der Tagesspiegel veröffentlichte einen Tag später den Artikel „Mehr Lust auf Lust“.

Jeder weiß, dass Männer im Schnitt mehr Lust auf Sex als Frauen haben. Neu ist, dass es sich hier um eine klinische Störung handeln soll – bei Frauen wohlgemerkt, nicht bei Männern. Die Diagnose heißt „hypoactive sexual desire disorder (HSDD)“, also „Mangel an sexueller Lust.“ Und dagegen gibt es nun in den USA eine kleine rosa Pille: „Addyi“, auch „Viagra für Frauen“ genannt, die man täglich einnimmt und die voraussichtlich etwa 400 US-Dollar pro Monat kosten wird.

Die deutschen Medien haben durchwegs kritisch über dieses Geschäft mit der Lust berichtet: Ein deutsches Pharmaunternehmen hatte ursprünglich eine Pille gegen Depression entwickelt, suchte dann für diese Pille einen neuen Markt (Lust), aber die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) weigerte sich, diese Pille angesichts des minimalen Nutzens und der schlechten Verträglichkeit zuzulassen. Eine US-Firma kaufte dann die Rechte, scheiterte aber zunächst nochmals an der FDA. Erst als die Firma sehr viel Geld in eine massive Lobbykampagne steckte, ließ die FDA die Pille zu.

Eine große Kleinigkeit haben jedoch viele Medienberichte übersehen: Die Pille hilft überhaupt nicht gegen Mangel an Lust. Keiner der beiden amerikanischen Studien gelang es nachzuweisen, dass die Pille sexuelle Lust erhöht, obgleich es beide versuchten. Lediglich die Anzahl „zufriedenstellender sexueller Ereignisse“ pro Monat stieg von 3.7 (Placebo Pille) auf 4.4 (Addyi), also um 0.7. Das ist ein wichtiger Unterschied, denn die den Frauen attestierte Störung heißt „Mangel an sexueller Lust“ und gerade dagegen hilft die Pille nicht.

Auch die möglichen Nebenwirkungen wie Ohnmacht, Schwindelgefühl und Übelkeit werden kaum mehr Lust machen. Von Alkohol lässt man auch besser die Finger, denn die Pille verträgt sich damit nicht. Dass die Studien nur wenig Positives vorweisen können, obwohl sie vom Hersteller der Pille selbst finanziert wurden, sollte jede Frau skeptisch machen. Es gibt ja noch andere Wege zum Glück. Mit einem Glas Rotwein und mehr gemeinsamer Zeit kann man 0.7 wohl schneller erreichen.

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter http://www.unstatistik.de.

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Dr. Igor Fischer / 01.09.2015

“Dass die Studien [...] vom Hersteller der Pille selbst finanziert wurden” ist weder ungewöhnlich, noch anrüchig, noch ein Grund, skeptisch zu werden. Die Hersteller machen die Studien nicht aus Spaß oder zur Werbung, sondern, weil sie sie durchführen MÜSSEN. Schließlich wollen wir alle sichere und wirksame Medikamente. Deshalb zwingen Gesundheitsbehörden die Hersteller, den Nachweis durch Studien zu erbringen, bevor Medikamente zugelassen werden. Dass solche Studien kostspielig sind, liegt unter anderem am hohen administrativen und organisatorischen Aufwand, der gerade deshalb notwendig ist, um Manipulationen zu vermeiden oder zumindest stark zu erschweren. In 90% der Fälle trägt der Hersteller die Kosten. Wer sonst soll sie tragen? Der Steuerzahler? Woher soll er wissen, für welche Medikamente sich eine Überprüfung überhaupt lohnt? Es könnte sonst jeder Hobby-Alchemiker mit seinem Zaubertrank an die Gesundheitsbehörden treten und verlangen, dass ihm seine klinischen Studien durch die Allgemeinheit finanziert werden. Das aktuelle System mag nicht perfekt sein, aber es ist besser als jede Alternative, die bisher ausprobiert wurde.

Karl Mallinger / 31.08.2015

Sildenafil, der Wirkstoff von “Viagra”, wirkt auf das Gefäßsystem des Mannes und stabilisiert eine vorhandene(!) Erektion. Die Wirkung von Sildenafil ist erwiesen, die möglichen Nebenwirkungen sind vertretbar. Flibanserin, der Wirkstoff von “Addyi” ist ein Psychopharmakon, welches in den Hirnstoffwechsel eingreift und von dessen Einnahme aus Gründen der angeblichen “Luststeigerung” dringend abzuraten ist, der versprochene Effekt der Lussteigerung ist zweifelhaft und die möglichen Nebenwirkungen immens. (Im Übrigen ist die Suche nach einem Aphrodisiakum so alt wie die Menschheit selbst, man erinnere sich an den Szene “Wirken Aphrodisiaka?” im Film “Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten” von 1972, wo Woody Allen als Hofnarr mit einem solchen Aphrodisiakum im Getränk die Königin dazu bringen will, mit ihm zu schlafen.)

Karl Mallinger / 31.08.2015

Sildenafil, der Wirkstoff von “Viagra”, wirkt auf das Gefäßsystem des Mannes und stabilisiert eine vorhandene(!) Erektion. Die Wirkung von Sildenafil ist erwiesen, die möglichen Nebenwirkungen sind vertretbar. Flibanserin, der Wirkstoff von “Addyi” ist ein Psychopharmakon, welches in den Hirnstoffwechsel eingreift und von dessen Einnahme aus Gründen der angeblichen “Luststeigerung” dringend abzuraten ist, der versprochene Effekt der Lussteigerung ist zweifelhaft und die möglichen Nebenwirkungen immens. (Im Übrigen ist die Suche nach einem Aphrodisiakum so alt wie die Menschheit selbst, man erinnere sich an den Szene “Wirken Aphrodisiaka?” im Film “Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten” von 1972, wo Woody Allen als Hofnarr mit einem solchen Aphrodisiakum im Getränk die Königin dazu bringen will, mit ihm zu schlafen.)  

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