Walter Krämer / 05.02.2019 / 12:00 / 25 / Seite ausdrucken

Unstatistik des Monats: „Todesfalle Landwirtschaft“

Schweine sind gefährlicher als Diesel-Autos: Rund 50.000 Menschen sterben vorzeitig Jahr für Jahr in Deutschland an den Emissionen der Landwirtschaft (insbesondere der Massentierhaltung) errechnet das Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie. Das seien 45 Prozent und damit der größte Teil der jährlich knapp 120.000 vorzeitigen Todesfälle durch Feinstaub – doppelt so viele wie bisher angenommen. Für die Tagesschau ist damit klar, dass Feinstaub ebenso gefährlich ist wie Rauchen.

Doch das Konzept der „Anzahl vorzeitiger Todesfälle“ ist ein Musterbeispiel einer Unstatistik. Zunächst stirbt in Deutschland kein einziger Mensch an Feinstaub, sondern an Erkrankungen, die durch Feinstaub (mit)verursacht sein können, es aber nicht sein müssen. Das Max-Planck-Institut untersucht auch gar nicht, ob Feinstaub die Gesundheit von Menschen beeinflusst, sondern setzt voraus, dass dies der Fall ist und darüber hinaus sogar quantifiziert werden kann. Dabei handelt es sich aber nicht um gemessene Fakten, sondern um Modellergebnisse, die auf Annahmen beruhen und eine hohe Unsicherheit von mindestens +/- 50 Prozent aufweisen. Warum ist das so?

Der Grund ist, dass man nicht weiß, wie viele Menschen vorzeitig verstorben sind, sondern nur, um wieviel kürzer sie im Schnitt gelebt haben. Man kann lediglich versuchen, die Anzahl der vorzeitig Verstorbenen herzuleiten. Hierzu sucht man eine Formel, die ein plausibles Ergebnis für den beobachteten Unterschied der Lebensdauer liefert.  

Wir wissen nicht, warum ein Mensch früher stirbt

Diese Formel ist die „Attributable Fraktion“. Sie wird oft verwendet, sieht kompliziert aus und mag in manchen Situationen auch zu den Daten passen. Nur – niemand weiß, ob sie tatsächlich stimmt. Die Datenbasis solcher epidemiologischen Studien sind zusammenfassende Statistiken über Gruppen von Menschen, die zeigen, dass (manche, nicht alle) Gruppen mit hoher Feinstaub-Exposition im Durchschnitt kürzer gelebt haben als (manche, nicht alle) Gruppen mit niedriger Exposition. Selbst wenn diese Gruppen in allen anderen Merkmalen identisch wären, so wie Zwillinge, gibt es immer noch verschiedene Möglichkeiten, wie der Unterschied zustande kommen kann.

Stirbt jeder Mensch in der belasteten Gruppe um ein Jahr früher, so lebt die belastete Gruppe auch im Durchschnitt ein Jahr kürzer. Nehmen wir beispielsweise drei Zwillingspärchen: Zwillingspaar eins stirbt mit 79 beziehungsweise 78 Jahren, Paar zwei mit 80 beziehungsweise 79 Jahren und Paar drei mit 81 beziehungsweise 80 Jahren. Drei Personen leben kürzer und im Durchschnitt lebt die belastete Gruppe ein Jahr kürzer. Nehmen wir nun alternativ an, dass die belasteten und unbelasteten Zwillinge der Paare eins und zwei exakt gleich lang leben. Nur Paar drei unterscheidet sich: Einer stirbt mit 81 Jahren, der andere mit 78. Dann gibt es nicht drei vorzeitige Todesfälle, sondern nur einen, aber im Durchschnitt lebt die belastete Gruppe ebenfalls ein Jahr kürzer. Bei tausenden oder gar Millionen von Menschen steigt die Zahl möglicher Kombinationen massiv an.

Deshalb ist zwar eine Aussage über die durchschnittliche Zahl verlorener Lebensjahre pro Person vernünftig, aber eine Aussage über die Zahl vorzeitiger Todesfälle durch Feinstaub ist es nicht. Denn letztere kann viel kleiner sein oder auch viel größer, als uns diese Unstatistik glauben macht. Wer wie die Tagesschau suggeriert, das Max-Planck-Institut hätte nun durch präzise Berechnungen widerlegt, was man zuvor nur angenommen hat, der handelt mindestens grob fahrlässig.

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. In diesem Monat hat Gastautorin Katharina Schüller, Geschäftsleiterin und Gründerin von STAT-UP, die „Unstatistik“ verfasst. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de.

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Leserpost

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Karl Schmidt / 05.02.2019

Es handelt sich nicht um grobe Fahrlässigkeit, sondern um grobe Täuschung: Es geht nur darum, begründet lügen zu können. Dafür braucht man ein Schuss mangelnde Präzision, ein bisschen Willen zur Nichtaufklärung und erhält ganz viel Verwirrung auf die man die immer selben Narrative setzt. Das immer gleiche Ergebnis unterscheidet diese Art “Berichterstattung” übrigens vom Irrtum, denn der kennt keine (politische) Richtung.

Bernhard Freiling / 05.02.2019

“Der Grund ist, dass man nicht weiß, wie viele Menschen vorzeitig verstorben sind, sondern nur, um wieviel kürzer sie im Schnitt gelebt haben.” DAS interessiert nun wirklich Niemanden. Entscheidend ist nur die Zahl. Die kann gar nicht groß genug sein. 45.000 oder 100.000 oder Millionen. Das ergibt diesen angenehmen Gruseleffekt an dem sich Viele so richtig aufgeilen können. Vor 500 Jahren noch mußten die Alchemisten innerhalb angemessener Frist unter Beweis stellen, daß sie aus Dreck Gold fabrizieren können. Die damaligen Fürsten waren immerhin so clever, einen Beweis zu fordern. Wurde der nicht geliefert, jagte man den Alchemisten vom Hofe, sofern ihm nicht Schlimmeres widerfuhr. Die heutigen Alchemisten - die Epidemiologen, die “Klimawissenschaftler”, die “Genderisten” und die “Schadstoffgurus” - müssen heute Nichts mehr unter Beweis stellen. Die Verlautbarung von steilen Thesen, mit Inbrunst vorgetragen,  dazu angetan größtmögliche Panik zu verbreiten, ist völlig ausreichend. Dem Herrn Latif glaubte ich mal als er mir erzählte, ab dem Jahr 2000 gäbe es keine Winter mehr in Deutschland. Das hat mich einen Haufen Geld gekostet. Für all die eingegangenen Palmen, unter denen ich ab 2015 in meinem Garten meinen Ruhestand verbringen wollte. Hat’s Herrn Latif geschadet? Nicht wirklich. Der wendet ganz einfach die “reziproke Verdachtstheorie” an. Danach sind nicht nur lange, heiße und trockene Sommer ein Beweis für die Erderwärmung sondern erst recht auch kalte, schneereiche und lang anhaltende Winter. Die “heutigen Fürsten” und ihre “Untertanen” sind bereit jeden Sch…. zu glauben und zu finanzieren (natürlich nicht mit eigenem, sondern mit Ihrem und meinem Geld), sofern er nur mit ihrer vorgefaßten Meinung übereinstimmt.

Frank Volkmar / 05.02.2019

Jährlich sterben 150 Menschen durch herabfallende Kokosnüsse. Eine tödliche Gefahr. Deshalb mein Vorschlag : Verbot von Kokosnüssen und Kokosnusserzeugnissen in Deutschland, denn ein Missbrauch kann nicht ausgeschlossen werden ! Zusätzlich wäre ich für eine Helmpflicht für alle Fernreisenden, die an Urlaubsorte streben wo sie einer Gefährdung ausgesetzt sind. Es kann nicht sein, das der deutsche Steuerzahler und die deutschen Krankenversicherungen für die Folgeschäden von Unfällen mit Kokosnüssen aufkommen müssen !

Jürgen Becker / 05.02.2019

Im Mittelalter hieß es: “Mein Kind wurde krank, nachdem es am Haus der Hexe vorbeigegangen ist”, “Meine Kuh starb, nachdem die Hexe bei mir um eine milde Gabe gebettelt hatte”, “Meine Frau verlor ihr Kind, nachdem sie der Hexe zufällig im Wald begegnet war”. Und die Meute schrie: “Genau so war es bei uns auch !” Und schon brannte der Scheiterhaufen. Epidemiologen gab es also auch damals schon und deren tatsächliche Beweiskraft hat sich bis heute keinen Deut verbessert. Hätte man nach dem ersten, ach so suggestiven Verdacht, halbwegs vorurteilsfrei nach echter Kausalität gesucht, wäre den Menschen (“Hexen” aber auch den Anklägern) viel Leid erspart geblieben. Erschütternd, dass auch im 20./21. Jahrhundert die Menschen kein bisschen klüger als damals sind: Verdacht (=Korrelation) reicht, Beweis (=Kausalität) ist überflüssig oder man schreitet “vorsichtshalber” doch erst mal zur Exekution.

Rudolf George / 05.02.2019

Ich freue mich schon auf Claus Kleber, wenn er uns erklärt, dass wir nach der Zerstörung unserer Energieversorgung nun auch die Landwirtschaft abschaffen müssen. Denn: das Essen kommt vom Biomarkt, der Strom aus der Steckdose und die richtige Meinung von ARD/ZDF.

Andreas Rochow / 05.02.2019

Gut erklärt! Die attributable fraction als komplexes “Computermodell” einer mit Sicherheit imperfekten Annahme kann niemals - das gilt auch für das Weltklima! - valide harte Daten liefern! Die Interpretation der vom MPI gewonnenen Schweine-Daten hat doch verantwortungsvoll kritisch und mit wissenschaftlichem Zweifel zu erfolgen. Sonst verkommt Wissenschaft zu wohlfeiler Propaganda i.S. von Merkels “Großer Transformation”. Nebenbei war das nicht der Stil von Max Planck. Selbst “Künstliche Intelligenz”, von der jetzt inflationär geschwätzt wird, kann die Beschränktheit ihrer Erfinder (noch)  nicht überwinden.

Sabine Schönfelder / 05.02.2019

Die beliebteste Anwendung von Statistiken ist ihr Mißbrauch. ( Quadbeck-Seeger)

Steffen Schwarz / 05.02.2019

Im MPI gibt es durchaus schlaue Menschen, ich nehme mal an bei Naturwissenschaftler ist das objektive Denken ausgeprägter als bei Sozial-/Kultur/ - Medien-/ Psychologie-/und /oder Psychatrieinstituten. Ich gehe mal davon aus, das das MPI schon die Berücksichtigungen/ Einschränkungen mit angegeben hat, die TS aber das natürlich nicht ansatzweise verstanden hat, über was man berichtet. Man frage deshalb immer bei Prof, Krämer nach, dem immer meine höchste Wertschätzung gilt, wenn man nichts weiß.

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