Wolfgang Röhl / 16.08.2018 / 06:25 / Foto: Pixabay / 58 / Seite ausdrucken

Unsere Hofnarren. In Sachen Fleischhauer, Martenstein et al.

Der Lyriker, Essayist und gelegentliche Volksredner Peter Rühmkorf (1929 – 2008) empfand sich zeitlebens als Linker, wenn auch als ein sehr freischwebendes Teilchen dieser Kraft. Das hinderte den Künstler – chronischer Fremdgeher in jeder Beziehung – keineswegs an publizistischen Auftritten in anderen Beritten. So schrieb er, immerhin Mitgründer und langjähriger Autor des linken Politmagazins „Konkret“, ab 1974 immer wieder für die FAZ, unter Linken weiland als Flaggschiff der Reaktion verschrien. Dessen Feuilletonchef Marcel Reich-Ranicki hatte an Rühmkorf einen Narren gefressen. 

Einen Hofnarren, wie manche von Rühmkorfs Freunden und Bewunderern irritiert befanden. Was war einer wie Rühmkorf im Frankfurter Kapitalistenpflichtanzeiger denn anderes als ein rotes Feigenblättchen? Seine dort für ihn reservierte Bütt, war sie nicht bloß eine Spielart der repressiven Toleranz, gegen die schon der Philosoph Herbert Marcuse die Studentenbewegung impfen wollte? Diente ein Rühmkorf-Stück in der FAZ nicht objektiv bloß dazu, Herrschaftsstrukturen zu verschleiern, Verblendungszusammenhänge aufrechtzuerhalten? 

Rühmkorf selber scherten derlei Vorbehalte wenig. Es nütze nichts, immer nur in der eigenen Kirche zu predigen, pflegte er leichthin zu verkünden. Wer die Möglichkeit habe, die andere Seite argumentativ zu erreichen, solle, ja müsse das tun. Nebenbei verhielt es sich natürlich auch so, dass die FAZ generöse Honorare zahlte, im Gegensatz zu der in linken Kreisen angesagten „Frankfurter Rundschau“. Etwas Geld konnte ein einkommensschwacher Poet ganz gut gebrauchen. Denn nicht nur Galilei aß gern gut.

Die verblichene Debatte um publizistische Seitensprünge eines großartigen linken Dichters, dem es erfreulicherweise immer an Linientreue gebrach, erinnert ein wenig an aktuelle, allerdings seitenverkehrte Diskussionen. In konservativen Stammrunden kommt öfters die Frage auf, welche Redakteure und Autoren der etablierten Medien nicht oder wenigstens nicht völlig auf Mainstreamkurs fahren. Wen kann man noch lesen, hören, sehen, ohne Kopfschmerzen zu bekommen? Gibt es Oasen in der Wüste linkspopulistischen Geschrammels? Dissonanzen im Chor der gleichgestimmten Haltungsjournos?

Das letzte konservative Polit-Magazin wurde 1988 beerdigt 

Der Cast, stellt sich rasch heraus, ist überschaubar. Geheimtipps sind rar. Der riesige Bereich der öffentlich-rechtlichen Sender ist für regierungskritische Geister praktisch ein Totalausfall, die Beschreibung als Staatsfunk hochverdient. Das letzte konservative Polit-Magazin (Gerhard Löwenthals zweiwöchentlich ausgestrahltes „ZDF-Magazin“) wurde anno 1988 beerdigt. 

In Reportagen, Features und sogenannten Nachrichtenjournalen werden die großen, das Land auf unabsehbare Zeit prägenden Komplexe wie Migration, Europapolitik und „Energiewende“ nie grundsätzlich in Frage gestellt. Kritische Töne und Einwendungen sind von der Art, mit welcher frühe Autotester ihren Affirmationen einen Hauch von professioneller Strenge verliehen: Eigentlich ein toller Wagen, nur der Aschenbecher an der Fahrerseite ist ungünstig platziert.

Auch der „Deutschlandfunk“, lange die einzige Möglichkeit, auch mal ausgeruhte, nicht komplett voreingenommene Politikberichterstattung zu vernehmen, ist nur mehr schwer erträglich. Einer wie Christoph Heinemann, der Interviewpartner regelrecht grillte, auch scheinbare Lichtgestalten keineswegs schonend: nicht mehr oft auf Sendung. Jetzt brabbelt es staatstragend aus den meisten DLF-Formaten. Und ein Tag, an dem Donald T. dort nicht fünfmal mit der Latte auf die Platte gehauen wird, muss sich erst noch einstellen.

Letzteres gilt selbstredend auch für die Druck- und Interneterzeugnisse der privaten Mainstreammedienwelt. Hier gibt es aber immerhin noch ein paar Querschläger, sogar in weithin von Fundamentalkritik ausgenommenen Themenfeldern wie Klimaforschung oder Energiepolitik. Daniel Wetzel von der „Welt“ oder Axel Bojanowski vom „Spiegel“ paddeln immer wieder beherzt gegen die Konsensfluten an. Jasper von Altenbockum leitartikelt öfters mal so, wie es in der FAZ Standard war, bevor Frank Schirrmacher sie auf zeitgeisty trimmte. Auch dem selbstverliebten Alan Posener („Welt“) fällt ab und an ein Gedanke zu, den die Kollegenherde nicht bereits wiedergekäut hat.

Eher geht ein Prantl durch ein Nadelöhr 

Klar, in der „Süddeutschen Zeitung“ harren keine Überraschungen auf den Leser. Eher geht ein Prantl durch ein Nadelöhr. 

Aber was ist mit Jan Fleischhauer („Spiegel“) und Harald Martenstein („Zeit“, „Tagesspiegel“)? Das Dissidenten-Doppelpack wärmte schon manch wertkonservative Seele mit hübschen Kolumnen, welche zu beweisen schienen: Ein bisschen Ketzertum ist machbar, Herr Nachbar. Mein Eindruck aus Gesprächen ist nun, dass manchen der Fans ganz allmählich die Freudepuste an fein gesponnenem Abweichlergarn ausgeht. 

Die Rede ist hier von Konservativen, nicht von radikalen Rechten. Bei „Politically incorrect“ & Konsorten gelten beide Schreiber längst als „Meinungsmimen“. Mit reichlich Kohle bestallt, um „linksgrün versiffte“ Strukturen in den „Medienkartellen“ zu vertuschen. Meinungspluralität vorzugaukeln, die in Wahrheit ausgemerzt wurde. Das ist der Rühmkorf-Verdacht, den die heutige Hartrechte von der Altlinken gelernt hat. 

Nun könnte man ja mit Blick auf das Umfeld von Fleischhauer und Martenstein tatsächlich ein wenig argwöhnisch werden. „Fleischi“, wie ihn Anhänger und Verächter nennen (sie halten sich in Leserkommentaren auf „SpOn“ manchmal die Waage) und der „weiße alte Mann“ (Selbstbild Martenstein) schreiben für Medien, in denen immer mehr politische Borderliner unterwegs sind. 

Die Namen Sascha Lobo, Margarete Stokowski, Vanessa Vu oder Mely Kiyak stehen für eine Reihe anderer an Hamburgs Ericusspitze oder am Speersort. Wer es sich antun will, kann ihre Darbietungen googeln. Verlinken möchte ich exemplarisch den kürzlich erschienenen, nun ja, Artikel von Georg Diez, der aus dem eigentlich fest verschlossenen Inneren einer Gummizelle irgendwie geschleust worden sein könnte. 

Bitteschön, Fleischi! Hallo Martenstein! Wie fühlt man sich denn in so einer Gesellschaft?

Endlich die Reißleine ziehen?

Kann es überhaupt ein richtiges Medienleben im falschen geben? Müssten die beiden „Quoten-Konservativen“, wie sie immer öfter veräppelt werden, nicht endlich die Reißleine ziehen? Ihren Auftraggebern bescheiden: 

Sorry, ich kann nicht länger mit meinem guten Namen für ein runtergerammeltes Magazin und seinen hysterisierten Online-Ableger einstehen, die statt Journalismus hauptsächlich Tendenzquark, linkes Strammstehen und apokalyptische Wahnvorstellungen in Umlauf bringen. 

Oder:

Tut mir leid, ich möchte nicht mehr für eine Wochenschrift launige Texte liefern, die ein Pro & Contra zur „Flüchtlingsrettung“ druckt, dann vor dem erwartbaren Fäkaliensturm aus der Bestmenschenszene einknickt und anschließend meiner Kollegin Mariam Lau auch noch öffentlich in den Wertesten tritt. 

Für diese Haltung hätte ich Verständnis. Finde trotzdem, dass sie falsch wäre. Erstens, weil die Möglichkeiten gering geworden sind, traditionelle Medienkonsumenten überhaupt noch mit Sichtweisen in Kontakt zu bringen, welche von der veröffentlichten Meinung abweichen. Ist nämlich so: Die verbliebenen Spiegel- und Zeit-Käufer lesen selten den „Cicero“, den „European“, „Novo Argumente“, „Tichys Einblick“ oder „Die Achse des Guten“, um nur ein paar Hausnummern zu nennen. 

Mag sich ändern. Kann aber dauern.

Den Staatsfunk, nach wie vor wirkungsvollster Einflüsterer der Republik, wird niemand reformieren. Eine Wende hin zur Aufklärung ist ausgeschlossen; sie könnte nicht einmal durch Konsumverzicht erzwungen werden. Selbst wenn kein Schwein mehr Tagesschau oder Heute Journal oder Monitor oder ttt guckte, es änderte sich nichts. In den Anstalten herrscht die Diktatur des Apparats. Sie ist sich, dank Zwangsalimentierung, selber vollkommen genug. 

Zweitens finde ich, dass ein Hofnarr unbedingt die Stellung zu halten hat, solange es eben geht. Lesen Sie mal Daniel Kehlmanns fabelhaften Roman „Tyll“. Da wird einem der Gaukler sui generis sympathisch. Und sei es nur als Chronist des zeitgenössischen Irrsinns. 

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P. Wedder / 16.08.2018

Ja, ich habe in Familie und Bekanntenkreis einige, die sich ausschließlich über die traditionelle Medien politisch auf dem Laufenden halten, weil sie nicht anders können oder wollen. Der politische Meinungsaustausch ist quasi zum Erliegen gekommen, da ich in dem Fall zu häufig mit Fakten argumentiere (z.B. BKA-Statistik, Zitate der „sympathischen Führungsspitze der Grünen“...), die der Gesprächspartner aufgrund der öffentlich-rechtlichen Medienpropaganda nicht wahrnehmen möchte.

Elena Nettelbeck / 16.08.2018

Hofnarren sind ja auch historisch diejenigen, die den Herrschenden die Wahrheit sagen dürfen, ohne dafür bestraft zu werden. Nicht umsonst ist der Hofnarr in den Dramen der Dichter oft deren Sprachrohr. Für alle anderen gilt ja leider allzu häufig die Aussage Voltaires: Wenn du wissen willst, wer dich beherrscht, musst du nur herausfinden, wen du nicht kritisieren darfst. Was dann ja mitunter etwas schmerzhaft werden kann…

Dr. W. Bär / 16.08.2018

Sie haben recht, Herr Röhl, die Hofnarren müssen ihre Stellungen halten. Mit dem Verweis auf eine köstliche Einschätzung von Georg Diez, die ‘aus dem eigentlich fest verschlossenen Inneren einer Gummizelle irgendwie geschleust worden sein könnte’, haben Sie mich zum Lachen gebracht.

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