Rainer Bonhorst / 24.11.2019 / 06:23 / Foto: Pixabay / 24 / Seite ausdrucken

Unser Paradies der falschen Vögel

In grauer Vorzeit, in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, hat der heute wenig gelesene Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer einen kleinen, aber feinen Roman geschrieben, der heißt: „Paradies der falschen Vögel“. Wie ich nach über 60 Jahren wieder darauf komme? Weil mir das Buch, das ich damals schmunzelnd gelesen habe, in der Rückschau geradezu visionär erscheint: Seine Geschichte hätte in der realen Welt von heute genauso Platz. 

Hildesheimer beschreibt einen Fälscher namens Robert Guiscard, der selbst geschaffene Bilder eines „Meisters des Barock“ unter die Leute bringt. Aber nicht nur das: Der Mann schuf auch den alten Meister gleich selber. Und da zu einem, wenn auch fiktiven, Giganten der Kunst ein Biograf gehört, „entdeckt“ Guiscard auch die bisher unbekannte Biografie seines alten Meisters. Guiscard ist also Fälscher zweier Gefälschter. 

Damit übertrifft er neuere Meister wie Konrad Kujau, den Erschaffer der Hitler-Tagebücher, Wolfgang Beltracchi, den schaffensfrohen Imitator von fast allem, was in der Welt der Malerei Rang und Namen hat, und Lothar Malskat, die Nummer zwei der großen deutschen Bilder-Nachschöpfer. Alle drei griffen auf vorhandene Meister zurück. An die Doppel- beziehungsweise Dreifachfälschung von Bildern eines nicht existenten Malers und seines fiktiven Biografen haben sie sich nicht herangewagt.

Das Visionäre in Hildesheimers Roman ist für mich aber nicht das Fälscherwesen selber, sondern die Bereitschaft der Fachwelt und der sie umgebenden Szene, die Fälschungen mit offenen Armen zu empfangen. Diese Bereitschaft ist in der heutigen Wirklichkeit wie in der damaligen Fantasie des Autors der Nährboden, auf dem die Fälscherei gedeiht. Die eigentlichen falschen Vögel sind nicht die Fälscher, es sind die vielen Mitspieler.

Politisch dankbare Journalisten-Szene

Sie spielen aus unterschiedlichen Gründen mit. Ganz sicher aus Sensationslust, einer Lust, die ich als Journalist sehr gut kenne. Ich würde trotz fortgeschrittenen Alters freudig zupacken, wenn mir noch eine Sensation über den Weg liefe. Das Alter schützt vor Torheit, aber nicht aus Weisheit, sondern aus Mangel an Gelegenheit.

Ehrgeiz ist ein anderes Motiv: Der Genuss, Teil einer großen kulturellen Entdeckung zu sein – was kann es Befriedigenderes geben für einen Angehörigen des Kultur- oder Wissenschaftsbetriebs! Da schaut man schon mal etwas weniger genau hin.

Gelegentlich gibt es auch ein politisches Motiv. Dieses Feld hat in neuerer Zeit kein Maler, sondern ein Journalist beackert. Der Reportagen-Fälscher Claas Relotius, nicht der einzige, aber der eindrucksvollste seiner Zunft, verdankte einer coolen und politisch dankbaren Journalisten-Szene viele gemütliche Fälschungsjahre. Auch er ist ein falscher Vogel, umgeben und getragen von einem Schwarm falscher Vögel. 

Was all die Fälscher auszeichnet, ist die – ungewollte – Enttarnung ganzer Heere von Riesenzwergen, die oben schwimmen, bewundert und bestimmend, im sicheren Besitz des besseren Wissens. Und dann kommt einer daher, sticht hinein in die Blase und mit einem hässlichen Geräusch flutscht die Luft raus. Und sichtbar werden lauter falsche Vögel.

„Ethik“-Explosion in der Welt der Wirtschaft

Eine Variante dieses Paradieses der falschen Vögel ist das heute übliche verbale Aufblasen banalster Dinge. Das beginnt mit den grotesk pathetischen Werbe-Spots, die alle möglichen und unmöglichen Kinkerlitzchen anpreisen. Dazu gehören all die „Philosophien“, mit denen sich Fußballtrainer und sogar Autobahnraststättentoilettenhersteller höhere Weihen geben. Hinzu kommt eine wahre „Ethik“-Explosion in der Welt der Wirtschaft, deren verbale Höhenflüge die real existierende Realität tief unter sich zurücklassen. Aber über allem ertönt quasi als Leitmotiv das fantastische Wortgeklingel im modernen Kunstbetrieb.

Wer diese Welt des gehobenen Scheins vom Sockel holt, macht sich verdient um seine Heimat. Besonders genial gelingt das den großen Kunstfälschern, diesen hochbegabten Meistern ihres Fachs. In meinen Augen gebührt ihnen ein Hauch des Heldenhaften, auch wenn diese Entlarver gebrochene Helden sind. Sie verrichten ihr Werk der Enttarnung ja unfreiwillig und nicht aus hehren Motiven, sondern als schnöden Broterwerb, der ihnen durch Entdeckung abhanden kommt. Nicht ihre Motive zeichnen sie aus, sondern ihre Wirkung: die Entlarvung einer sich selbst überschätzenden Elite mit Geschmack prägendem Führungsanspruch. Diese wichtige, gesellschaftlich höchst relevante Nebenwirkung ihrer Arbeit kann den Fälschern niemand nehmen. Wir wären dümmer und gutgläubiger ohne sie. Darum hoffe ich auf viele weitere Fälscher auf all den Gebieten, auf denen der Schein wichtiger ist als das Sein. 

Wäre es nicht herrlich, wenn längst wieder ein großer Unentdeckter still und heimlich dabei wäre, dem Kunst- und Kulturmilieu seine Produkte unterzujubeln? Auf seine Enttarnung hoffe ich allerdings auch, denn erst sie würde ein neues reinigendes Gewitter bewirken. Wenn auch nur vorübergehend: Natürlich wird unser Paradies der falschen Vögel solche Gewitter wie bisher nahezu unbeschadet überleben. 

Weil das so ist, wird Wolfgang Hildesheimers 1953 erschienener Roman nie an Aktualität verlieren. Sein „Paradies der falschen Vögel“ gibt es inzwischen schön herausgegeben von der Edition Büchergilde, die den Text mit kongenialen Illustrationen von Monika Aichele bereichert. 

Foto: Pixabay

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Karla Kuhn / 24.11.2019

Markus Viktor, was Österreich betrifft stimme ich Ihnen zu:  in Österreich amtlich Otto Habsburg-Lothringen, in Deutschland durfte er das von weiter tragen. Deutschland hatte offensichtlich nicht den Schneid den Adel vollständig abzuschaffen. Am meisten amüsiere ich mich über die “Fürstin von Thurn und Taxis”, sie stammt aus der sächsischen Kleinstadt Glauchau. Wie diese ehemaligen Daxis zu ihren Adel und Namen gekommen sind,  ist eine herrliche Geschichte. Bernt   Engelmann und Günter Wallraff haben in ihrem Buch “Ihr da Oben, wir da unten ” die bundesdeutsche “Gesellschaft”  hervorragend entzaubert.

Andreas Rochow / 24.11.2019

Einfall: Merkel führt uns ins Zeitalter der Bambyisierung der Propaganda. Das ist politische Schönheit neuen Stils. Daran werden wir uns gewöhnen müssen.

Gerd Heinzelmann / 24.11.2019

“Jeder Augenblick ist von der Ewigkeit gleich weit entfernt.” Auch ein Satz/Zitat von Wolfgang Hildesheimer. “Falsche Vögel” verstehen den nicht.

Werner Brunner / 24.11.2019

Irgendwie habe ich den Eindruck , dass ” wir ” von diesen ” falschen Vögeln “ vollständig umzingelt sind ... Das gilt leider für nahezu alle Bereiche des Lebens ! In der Politik , in den Medien , in der Kunstszene , im Sport , in den Kirchen , im Gesundheitswesen , usw. ..... Das Problem ist nur : Wie wird man / frau dieses Gesindel wieder los ! Und zwar , ein für allemal !

Markus Viktor / 24.11.2019

Eine aktuelle Fälschung ist die Darstellung der Tötung von Fritz Weizsäcker als das Verbrechen bloß eines geistig Verwirrten, trotz offenkundiger Motive von Linksaußen wie der Verbundenheit mit dem vietnamesischen Volk (bz-berlin.de 20.11.19 u.a.), also höchstwahrscheinlich den nordvietnamesischen Kommunisten. Wieso wird hier analog zum juden- und menschenfeindlichen Verbrechen von Halle nicht das gesamte Linksaußen als mitschuldig an dem Verbrechen an Fritz Weizsäcker unter Druck gesetzt? Was sind und waren die Kontakte des Verbrechers? Ho-Ho Ho Chi Minh!? PS: es heißt Otto Habsburg und nicht Otto von Habsburg, Ludwig Wittgenstein und nicht Ludwig von Wittgenstein.

Donald Adolf Murmelstein von der Böse / 24.11.2019

Herr Bonhorst, auf eine solche Person werden oder können Sie vergeblich warten. Wo ist die große Kunst (Literatur, Malerei, zeitgenössische Musik im Stile Richard Strauß, Hindemith oder Berg) aus der Generation der mitte- bis end-Achtziger Geborene des letzten Jahrhunderts? In Anbetracht der gesellschaftspolitischen, weltanschaulichen und wirtschaftlichen Veränderungen (Zerwürfnisse) der letzten drei Dekaden? – Man vergleiche die Generation ab 1880 bis 1930 in Deutschland, Süd- und Nordamerika und Europa. Sehen Sie auch, was ich sehe. Grüße Murmelstein von der Böse

Rainer Grell / 24.11.2019

Besonders kurios war auch der Fall des niederländischen Fälschers Han van Meegeren (1889-1947). Er fälschte alte Meister, insbesondere Jan Vermeer van Delft, so perfekt, dass selbst namhafte Experten sich für die Echtheit der Werke verbürgten. Die Bilder von Vermeer sind sehr selten, so dass sie zum nationalen Kunstbesitz der Niederlande erklärt wurden und deshalb nicht ins Ausland verkauft werden durften. Nach dem Krieg wurden dann Unterlagen gefunden, aus denen hervorging, dass der Kunstmaler Han van Meegeren während der deutschen Besatzungszeit in den Niederlanden einen echten “Vermeer” an den als Ankäufer Görings bekannten Alois Miedl verkauft hatte, und zwar das Bild “Christus und die Ehebrecherin”, für das Göring 1 650 000 Gulden bzw. 2 189 550 Reichsmark bezahlt hatte. Um der Verurteilung wegen Landesverrats zu entgehen, bekannte van Meegeren, das Bild selbst gemalt zu haben. Da dieses Geständnis nur mit Spott oder ungläubigem Lächeln aufgenommen wurde, bot er an, seine Kunst unter Beweis zu stellen und malte in der Haft von Juli bis September 1945 das “Vermeer”-Bild “Christus unter den Schriftgelehrten”. Dabei benutzte er alte Leinwand, alte Farben und alte, echte Dachshaarpinsel. Am Ende wurde er wegen Betrugs zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Christa Born / 24.11.2019

Was sind denn Fakten? Das Schwarze und das Farbige auf dem weissen Papier. Was ist ein Original? Was eine Fälschung? Alles ist ein Original. Was ist ein Künstler? Ein berühmter Künstler? Ist er an sich berühmt oder ist es seine Kunst? Was ist das Wahre? Sieht man es? Weiss man es? Meint man es? Gibt es etwas anderes als Meinung? Gibt es wahrere oder bessere Meinungen? Meint einer nur, wahrer oder besser zu meinen als die anderen? Ist der Künstler überhaupt er selbst? Was ist ein richtiger Künstler? Einer der richtige Kunst oder der Kunst richtig macht? Was ist falsche Kunst? Wer macht wem etwas vor und wer lässt sich etwas vormachen? Wieso malt einer hundertmal den selben Seerosenteich? Liegt der Unterschied im Werk oder im Kopf des Betrachters oder in denen anderer? Wer bestimmt was richtig und falsch ist?

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