Wolfgang Röhl / 04.04.2008 / 13:27 / 0 / Seite ausdrucken

Unser Kampf. Ein Hammermörder-Syndrom.

„Es existiert“, schrieb der Autor Fred Breinersdorfer vor über 20 Jahren, „kaum ein Kapitalverbrechen, zu dem nicht miteinander völlig unvereinbare Aussagen aufgenommen werden und jeder der Zeugen, trotz Vorhalt der Protokolle über die Berichte des anderen, felsenfest auf der Richtigkeit seiner Erinnerung beharrt.“ Breinersdorfer, Autor und Jurist, hatte mit seinem dokumentarischen Roman „Der Hammermörder“ (später kongenial für das Fernsehen verfilmt) den authentischen Fall eines mordenden und Banken überfallenden Polizisten nachgezeichnet, welcher der Polizei mehrfach durchs Fahndungsraster glitt – unter anderem deshalb, weil Tatzeugen ihn völlig falsch beschrieben hatten. Jeder angehende Jurist, der Stationen bei den Justizorganen macht, erlebt staunend dieses Phänomen: Zeugen beschwören Sachverhalte, die sich so nie und nimmer zugetragen haben. Schwarze Autos werden in ihrer Erinnerung weiß, korpulente Täter gertenschlank, Bartträger erscheinen ihnen im Nachhinein als glatt rasiert.
Eine kollektive, überaus wohlige Erinnerungsdissonanz kosten derzeit viele ´68er aus, kleinere und größere Lichter der „Bewegung“…

..Die meisten haben pünktlich zum Heldengedenkjahr Bücher verzapft, mit denen sie durch Talkshows tingeln. Andere bewerfen die Gazetten mit apologetischen Aufsätzen, manche traktieren nur ihre Söhne und Enkel mit Nahkampf-Anekdoten (sofern sie nicht Reißaus nehmen). Obwohl jüngere Historiker und ehemalige, weniger schönfärberische Mitstreiter die Mythen der 68er längst geknackt haben – Götz Aly ist ja beileibe nicht der erste - spulen die Apo-Opas ihre Lebenslügen unbeirrt ab. Klar, sie und keine anderen haben uns die Augen über die Naziverbrechen geöffnet (von den Nachgeborenen mit ein paar Google-Klicks zu widerlegen). Logisch, sie allein wollten mehr Demokratie wagen (und zwar unter Führung von erklärten Gegnern der parlamentarischen Demokratie, wie Rudi Dutschke). Aber hallo, sie haben damals erstmals das Unrecht in der Welt angeprangert, Vietnam und so (und gleichzeitig den Massenmörder Mao und seine entsetzliche Kulturrevolution angehimmelt). Einzig beim Thema Mao wird mancher Veteran denn doch mal etwas kleinlaut. Um sich aber sogleich der Ausrede der „Nazi-Väter“ zu bedienen. Man habe ja nicht wissen können, was da im fernen China…

Auch das, übrigens, hat Aly widerlegt.

Dass man von APO-Randfiguren wie Reinhard Kahl, 1967 Gründer einer kabarettreifen Jünglingstruppe namens „Aktionszentrum unabhängiger und sozialistischer Schüler“, keine späte Einsichten erwarten kann, versteht sich. Der fährt immer noch auf der linken Erziehungsschiene und kann sich seine Idiotien von einst schwerlich eingestehen. Bahman Nirumand, ein Salonsozialist wie aus einem Roman von Tom Wolfe - was kann von dem kommen außer einem „Rückblick mit leichtem Stolz und ein wenig Trauer“ (so sein Beitrag im Nostalgie-Reader „1968. Die Revolte“, Fischer-Verlag)? Gerd Koenen, nacheinander bei SDS, KBW und Pflasterstrand – was soll so einer sagen über ´68, außer dem üblichen Geschwurbel („beim Absingen proletarischer Kampflieder (war) meistens ein bisschen ironische Brechung mit im Spiel“)? Aber auch Peter Schneider, eine der prominenteren APO-Figuren, wahrlich kein Dummer, beurteilt den kurzen Sommer des Größenwahns ungefähr so, wie die heutige KP Chinas das Wirken des Vorsitzenden Mao: 70 Prozent waren gut, 30 Prozent nicht so gut. Gänzlich unklar bleibt, was einen klugen Kopf wie Reinhard Mohr dazu treibt, den ´68ern „eine Liebeserklärung“ ins Körbchen zu werfen. Mohr, Jahrgang 1955, hatte definitiv nichts mit der APO zu tun. Aber vielleicht ist genau das sein Grund, die entgangenen Freuden der Krawallmacherei zu idealisieren („Mit Molotow-Cocktails, beinahe liebevoll Mollies genannt…“).

Es stimmt, Zeugenaussagen muss man mit der Kneifzange anfassen. Was fehlt, ist eine große Tonne. Um den ganzen Mist da rein zu treten.

 

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