Für die Greifswalder Universität war es gar nicht so einfach, den Namen Ernst Moritz Arndt loszuwerden, den sie über fast neun Jahrzehnte geführt hatte. Aber, wenn sogar honorige Geschichtsprofessoren wie Heinrich August Winkler von dem vor 200 Jahren populären und wirkmächtigen Schriftsteller und Dichter als einem „Klassiker des deutschen Nationalismus“ sprechen, ist Wechsel angesagt. Noch 2010 stimmte sowohl eine Mehrheit der Studenten als auch des Akademischen Senats für die Beibehaltung des Namens. Allerdings trat beim Senat ein Sinneswandel ein, Anfang 2017 war er für die Umbenennung in „Universität Greifswald“. Die Studenten hatte man sicherheitshalber zunächst nicht noch einmal um ihre Meinung gebeten. Das Schweriner Bildungsministerium verweigerte aus formalen Gründen die Zustimmung. Ende 2017 wurden alle Universitätsmitglieder befragt, abermals sprach sich eine Mehrheit gegen Änderungen aus. Das hielt den Akademischen Senat nicht davon ab, im Januar 2018 noch einmal die Umbenennung zu beschließen. Zugeständnis: Unter bestimmten Bedingungen ist der Namenszusatz weiterhin möglich – allerdings sind diese so eng gefasst, dass er in der Praxis als abgeschafft angesehen werden kann. Nun gab es auch den ministeriellen Segen. Beifall spendete etwa die „Zeit“, den „Nazi-Namen“ habe die Universität „endlich“ aufgegeben.
Arndt, so die ehemals nach ihm benannte Universität, habe die „Idee der nationalen Einheit“ durch die „Betonung kultureller und sprachlicher Besonderheiten“ konsolidieren wollen. Gefahren habe er in einem „indifferenten, ‚gleichmacherischen‘ Kosmopolitismus“ gesehen und diesen mit „völkischen Abgrenzungsszenarien“ beantwortet. Nationen habe er „vor allem durch Sprache und Abstammung“ definiert. Über „außereuropäische Völker“ habe er sich „abwertend“ geäußert. So erstaunt auch nicht das Verdikt der Universität: „Diese Vorstellungen gehören restlos der Vergangenheit an“. Bei so viel Böstum konnte auch die Berliner „Ernst-Moritz-Arndt-Gemeinde“ nicht nachstehen. Im Mai dieses Jahres trennte man sich vom bisherigen Namenspatron. Erstaunlicherweise ist in evangelischen Kirchengesangbüchern Arndt mitunter noch als Textdichter aufgeführt, beispielsweise mit „Ich weiß, woran ich glaube“. Aber das lässt sich ja sicher in der nächsten Ausgabe bereinigen. Die Arndtstraße in Leipzig erfreut sich bereits entsprechender Aufmerksamkeit.
Der Dichter mit dem „Nazi-Namen“ wurde heute vor 250 Jahren auf der Insel Rügen geboren. Seine Heimat Pommern gehörte zu dieser Zeit zu Schweden und fiel erst 1815 an Preußen. Arndt, der lange zwischen Schweden, dessen Staatsbürger er war und wo er auch mehrere Jahre lebte, und dem damals zersplitterten Deutschland, welches er als seine Heimat betrachtete, geschwankt hatte, entwickelte sich vor allem unter dem Eindruck der napoleonischen Fremdherrschaft zum publizistischen und persönlich sehr konsequenten Vorkämpfer für die deutsche Einheit. „Was ist des Deutschen Vaterland?“ mit der am Ende mehrfach wiederholten Textzeile „Das ganze Deutschland soll es sein!“ dürfte, neben anderem, auch heute noch hinlänglich bekannt sein. Studiert und gelehrt hat er in Greifswald, 1818 wurde er an die Universität Bonn berufen. Im Zuge der Karlsbader Beschlüsse erhielt der Unbequeme mit dem „Nazi-Namen“ gleich mal für 20 Jahre Vorlesungsverbot. Wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag, den er unter großer öffentlicher Anteilnahme beging, reichlich 10 Jahre vor der Reichseinigung von 1871, ist Arndt gestorben.
Würdigung jenseits einer Heldenverehrung
Nein, nicht alle, die sich später auf ihn berufen haben, wirkten zum Segen der Menschheit. Und ja, nicht jeden Satz, den der Dichter mit dem „Nazi-Namen“ vor 200 Jahren gesagt und geschrieben hat, würde man heute gutheißen wollen. Damals galt er als Demokrat, nach heutigem Verständnis wäre er es nicht. In der Formulierung des Historikers Johannes Paul, der 1971 eine kleine Biographie über Arndt vorgelegt hat: „Gerecht werden kann ihm nur, wer sich bemüht, ihn ganz aus seiner Zeit heraus zu verstehen und wer seinen schweren inneren Kämpfen um den richtigen politischen Standpunkt folgt, statt in seinem umfangreichen, weithin zeitbedingten Schrifttum nach Beweisen für die Richtigkeit der eigenen politischen Ideologie zu suchen.“
Die große historische Bedeutung Arndts dürfte kaum zu bestreiten sein. Kein vernünftiger Mensch wird unkritische Heldenanbetung einfordern. Man kann sich mit den Dingen beschäftigen (lohnt sich!), man kann abwägen, man kann sich um eine Gesamtsicht bemühen und man kann sich an Taten oder – wie im Falle Arndts – Worten von Persönlichkeiten zurückliegender Epochen auch reiben. Dies alles gehört eben nicht „restlos der Vergangenheit“ an, sondern ist für Zustandekommen und Verständnis der Gegenwart unabdingbar, Tradition wäre hier ein Stichwort. Lernen kann man übrigens auch dabei. Das erfordert allerdings zumindest geringfügige geistige Spannkraft, einen etwas größeren Leseaufwand, und es garantiert nicht immer die Wohlfühl-Komfortzone.
In einer Ära offensichtlichen kulturellen Niedergangs – große Worte, die angebracht erscheinen – liegen die Maßstäbe tiefer. Gegenwart und Zeitgeist, etwa auf dem Niveau eines Erwachsenen, der sich über Disproportionen einer Kinderzeichnung belustigt. Kopf ab geht nicht mehr – dann wenigstens Name weg. Das kannte man auch schon zu anderen Zeiten, was allerdings kaum ein Trost sein dürfte. Noch weniger als die Tatsache, dass Arndt nicht der erste ist und, wie es momentan aussieht, bei weitem nicht der letzte sein wird, den dies in unseren Tagen trifft.