Peter Grimm / 05.02.2020 / 14:23 / Foto: Pixabay / 282 / Seite ausdrucken

Ungeplanter Machtwechsel wider Willen

Wahrscheinlich gab es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nie einen Ministerpräsidenten, der von seiner eigenen Wahl so überrascht war, wie der neue Ministerpräsident des Freistaats Thüringen. Thomas Kemmerich schien beinahe noch unter Schock zu stehen, als er die Frage der Landtagspräsidentin, ob er die Wahl annehme, mit „Ja“ beantwortete. Er nahm die Glückwünsche der Abgeordneten entgegen, aber war in keiner Weise darauf vorbereitet, eine Antrittsrede zu halten. Stattdessen musste er in der mittäglichen Sitzungspause schauen, wie er ein Kabinett zusammenbekommt, das er am Nachmittag dem Landtag zu präsentieren hatte.

Wann ist ein politisches Ereignis der Regie der Partei-Polit-Strategen schon einmal so entglitten? Die bürgerlichen Parteivertreter im kleinsten Freistaat wollten doch gar nicht an die Macht, weil das doch mit den Stimmen der AfD geschehen würde und nun auch geschehen ist. Lieber hätten sie eine linke Minderheitsregierung geduldet, ohne offiziell die Duldung auszurufen.

Kemmerichs für den dritten Wahlgang angekündigte Kandidatur war auch so angelegt, dass er eigentlich nur ein Zählkandidat sein wollte, um pro forma Präsenz zu zeigen. Schließlich hatte er seine Kandidatur mit der Bedingung verknüpft, dass er nur antrete, wenn es neben Ramelow auch noch einen AfD-Kandidaten gäbe. Den gab es. Offenbar hatte er nicht ernsthaft damit gerechnet, dass die AfD-Abgeordneten dennoch geschlossen und diszipliniert taktisch abstimmen und ihn wählen würden.

Nun ist es passiert. Die AfD hat erstmals direkt für einen Regierungswechsel gesorgt. Welche Folgen das bundespolitisch hat, darüber wird nun allenthalben spekuliert. Insbesondere in der CDU wird man sich jetzt fragen, warum man dieses Ergebnis nicht besser mit einem eigenen Ministerpräsidenten aktiv gestaltet hätte, als nun in einer Nebenrolle ins Regieren hineinzustolpern. Stattdessen gibt es einen FDP-Ministerpräsidenten. Es ist zwar nicht der erste FDP-Ministerpräsident der Bundesrepublik – Anfang der fünfziger Jahre war Reinhold Maier ein gutes Jahr lang der erste Ministerpräsident des damals neu zusammengefügten Südwestlandes Baden-Württemberg – aber der erste Ministerpräsident einer Partei, die nur mit knapper Not in den Landtag kam.

Der Thüringer CDU-Chef Mohring hatte nicht den Mut

Die CDU sollte nach dem Willen der Berliner CDU-Führung nicht mit einem eigenen Kandidaten antreten. Der Thüringer CDU-Chef Mohring hatte nicht den Mut, dies gegen den Willen aus Berlin zu tun. Selbst als sich CDU-Politiker anboten, in den Ring zu steigen, lehnte Mohring ab.

Kemmerich hatte seine Kandidatur damit begründet, dass im dritten Wahlgang, in dem eine relative Mehrheit reicht, niemandem zugemutet werden solle, nur zwischen Rechtsaußen und Linksaußen wählen zu können. Wenn man sich der greifbaren Macht schon verweigerte, dann sollte wenigstens ein bürgerliches Fähnchen gezeigt werden.

Offenbar hatte niemand die Gefahr gesehen, dass die AfD-Mandatsträger, trotz eines eigenen Kandidaten geschlossen für Kemmerich stimmen oder die Parteiführer von CDU und FDP glaubten, es würden sich hinreichend eigene Mandatsträger der Stimme enthalten. Doch die wollten – im Gegensatz zu den Funktionären – offenbar lieber eine bürgerliche als eine linke Minderheitsregierung haben und stimmten – bis auf einen – ebenfalls alle für Kemmerich.

Doch was nun? Im politischen Berlin – sonst überparteilich nie um schnelle Kommentare verlegen – herrschte zunächst beinahe Schockstarre. Für die FDP freute sich immerhin Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki über den Erfolg seiner Partei. Ansonsten muss man leider befürchten, dass die FDP auch diese Chance verspielt, sich endlich als liberale und demokratische Alternative zum Merkel-Mehltau zu profilieren, damit die AfD nicht die auf vielen Politik-Feldern einzige reale Oppositionspartei bleibt. Aber vielleicht sorgt ja der Überraschungs-Ministerpräsident noch für weitere Überraschungen, nachdem er seinen Schock verdaut hat.

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Volker Kleinophorst / 05.02.2020

@ A. Reichert Der Stinkefinger-Emoji geht so: ..I.. ;) . LG

Dirk Ahlbrecht / 05.02.2020

Heute ist ein Tag zum Feiern. Es ist der erste Tag des politischen Endes der bösen Frau.

Jörg Themlitz / 05.02.2020

Habe hier im Ausland im Hintergrund heut mal n-tv laufen. (Rest ist leider Geoblocking) Kannte ich vom Namen, nicht vom Inhalt her. Ich wusste ja nicht, dass sich links ! vom rot grünen GEZ finanzierten Deutschen Volkserziehungs Fernsehen noch ein Fernsehsender etabliert hat. Sachen gibt es.

Martin Lederer / 05.02.2020

Als Zusatz zu meinem vorherigen Kommentar:Man sehe sich nur einmal Trump an. Bei seiner Wahl haben Hundertausende (oder eine Million?) gegen seine Wahl demonstriert. Hat es ihn interessiert? Nein.Fast alle Medien sind gegen ihn. Interessiert es ihn? Nein. Hollywood ist gegen ihn. Die "Künstler" und Silicon Valley. Interessiert es ihn?In Deutschland bei CDU und FDP UNDENKBAR. KEINER von denen hält unschöne Bilder aus. KEINER.Die müssen den linken Medien ... kriechen.

Eberhardt Feldhahn / 05.02.2020

Da haben sich die Altpfeifen ja mal wieder zu Tode taktiert. Wie mich das freut, vermag ich kaum in Worte zu fassen. Welch taktisches Geschick der AfD. Chapeau!!

Horst Jungsbluth / 05.02.2020

Der Coup ist gelungen, das "politische" Deutschland in Schockstarre und bei der AfD reibt man sich die Hände, dass man einen Ministerpräsidenten installieren konnte, dessen eigene Partei mit Ach und Krach in den Landtag einzog. Angesichts der schlimmen Vergangenheit der "Linken" als SED verstehe ich sowieso nicht, warum man nun ausgerechnet bei der AfD, die keine derartige kriminelle Vergangenheit hat, Maßstäbe anlegt, die weder für die "Linke" noch für die "Grünen", die im ehemaligen Westberlin als AL voll auf SED-Kurs waren, gelten. Man hat sie mit dieser idiotischen "Taktik" nur stark gemacht, die eigenen Wähler vergrault und nun hat man den Salat. Endlich mal was los in Deutschland und ich bin gespannt, wie man aus dieser Nummer wieder rauskommt. Aber unseren Politikern fällt immer irgend etwas ein, nur leider selten das Richtige.

Gerhard Küster / 05.02.2020

Wundervoll! Man hat ja heutzutage als Konservativer wenig Grund zur Freude, um so mehr ist das "Geschehen" in Thüringen ein Anlass, zu dem man sich gepflegt und lächelnd einen ansaufen sollte. :)Die Erfahrung zeigt aber leider, dass die Links-Grünen nichts unversucht lassen werden, Herrn Kemmerich wieder loszuwerden, und zwar vereint mit den Mainstreammedien und mit aller Hinterhältigkeit, zu der man fähig ist. Jetzt wird jeder Stein umgedreht werden, an dem er jemals vorbeigelaufen ist. Eine Blaupause dazu findet man ja in den USA, wo sich die ach so demokratischen Demokraten niemals damit abfinden wollen, dass jemand außerhalb ihres Dunstkreises gewählt wurde.

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