Gastautor / 26.06.2013 / 22:31 / 0 / Seite ausdrucken

Und wenn spätere Generationen die heutige Anti-Kernkraft-Obsession falsch finden?

Jan-Philipp Hein

Zu Beginn mal ein Szenario: Was wäre wohl los im Staate D, wenn rund um unsere Nuklearanlagen mehr Tiere sterben würden als anderswo? Die Prophezeiung ist schnell gemacht: Wir hätten es mit einer Massenhysterie zu tun. Ein Blick zurück ins Frühjahr 2011 reicht, um eine Ahnung zu bekommen: Weil japanische Reaktoren in der Nähe eines Meeres havarierten, kauften Deutsche keinen Fisch mehr, der Wochen und Monate zuvor gefangen wurde. Kann man das kindisch nennen? Sind wir eine Nation von Hysterikern? Das kann man wohl sagen. Beim Thema Atom brennen den Deutschen die Sicherungen schneller durch, als ein Reaktorkern ohne Kühlung schmelzen kann. Wer was auf sich hält, dokumentiert seine Angst und seinen Ausstiegswillen mit “Atomkraft — nein danke!”-Stickern und Anti-Castor-X.

Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber. Also lohnt es sich, die energiepolitischen Entscheidungen der Vergangenheit mal unter die Lupe zu nehmen. Sie sind nämlich im wesentlichen aus der Angst vor der Kernkraft gefällt worden.

Und wir sehen: Nicht die Erneuerbaren boomen, sondern die olle Kohle, also der dreckigste Energieträger, den es gibt. Sie denken jetzt, dass der schwafelnde Atomfreund den Mund zu voll nimmt? Nein, nein. Ich zitiere die “Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen”, die vor ein paar Tagen ihre Berechnungen zur Stromproduktion im ersten Quartal des Jahres präsentierte. Um 10,5 Prozent nahm danach der Verbrauch von Steinkohle zu. Auch der Erdgasverbrauch galoppierte mit einer neunprozentigen Steigerung. Flaute dagegen bei den Erneuerbaren: Dank der auch unter Ökos umstrittenen Biomasse ging es um dürftige zwei Prozent nach oben. Aber: “Die Beiträge der Windenergie und der Photovoltaik blieben witterungsbedingt deutlich unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums.” Das kommt davon, wenn man überstürzt aus der Atomkraft aussteigt und eine Technologie zum Hype macht, die bei Windstille und an dunklen Wintertagen einfach nicht funktioniert. Das Ergebnis der “Energiewende” ist also derzeit ein Anstieg der fossilen Energieträger im Energiemix. Das ist der klassische Fall von gut gemeint ist nicht gut gemacht.

Im Gegensatz zur Atomkraft hat die Kohle in Deutschland übrigens reichlich Menschenleben gekostet und ganze Landstriche zerstört. Das kann man der Atomkraft nicht nachsagen. Auch im weltweiten Maßstab schneidet die Kernenergie gut ab. Das Wissenschaftsmagazin “New Scientist” berichtete bereits vor zwei Jahren, dass Stromerzeugung mittels Atomkraft weit weniger Tote verursache als Strom aus Kohle, Gas oder Wasserkraft. Aus Angst und Panik vor den bösen Atomen interessiert das nur keinen und Argumente werden in dieser Debatte sowieso schon seit vielen Jahren nicht mehr ausgetauscht. Die Hysteriker setzen auf unsere Emotionen und das Unterbewusste, die wenigen Befürworter sind dagegen völlig verstummt. So sprach Claudia Roth neulich von 16.000 Todesopfern in Fukushima. Kaum vorstellbar, dass die Grünen-Chefin nicht wusste, dass die Toten ausschließlich dem Tsunami zum Opfer fielen. Ganz offensichtlich spekulierte Roth, dass die atomhysterischen Deutschen gute Adressaten dieser demagogischen Message seien. Oder glaubt sie wirklich, dass die Kernschmelze in Fukushima die Flutwelle und diese wiederum das Erdbeben auslöste?

Wenn es um die Erneuerbaren geht, ist auch gerne von “Sanfter Energie” die Rede. Wie sanft die Erlöser von der Atomkraft wirklich sind, erfuhr ich ausgerechnet auf einem Seminar des Bundesverband Windenergie. Ich saß dort zu Recherchezwecken undercover und staunte gewaltig, als ich einem Windkraftfachmann zuhörte, der erzählte, was die Windräder neben der Stromproduktion noch draufhaben: “Ganz im Gegensatz zu Großvögeln werden Fledermäuse nicht erschlagen, sondern durch den hohen Luftdruckunterschied des schwingenden Rades implodieren deren Lungen.” Von “sogenannten Naturschützern” hielt der Mann freilich nicht viel. Deren Einwände nerven nur. Die Frage sei doch nur: “Zerstört Windkraft die Landschaft tatsächlich, oder kann man das zugunsten einer grünen Stromwirtschaft in Kauf nehmen.” Zynisch und geschmacklos fand das nur ich, musste aber inmitten der Branchenvertreter ruhig bleiben.

Die Frage nach den Auswirkungen der Erneuerbaren Energien stellt sich nicht nur an Land. So bedrohen Windparks Schweinswale, die in der Ostsee bereits vom Aussterben bedroht sind. Die Mühlen werden mit tonnenschweren Hämmern in den Meeresboden geschlagen. Die sensiblen Tiere verlieren dabei ihr Gehör, wenn sie wenige hundert Meter von der Baustelle entfernt sind. Ist das wirklich “Sanfte Energie”?

Und ist es wirklich nur ein sanfter Eingriff in die Natur, wenn wir ganze Landschaften mit Windparks dichtbauen und zur Biogaserzeugung Landwirte gigantische Mais-Monokulturen betreiben — mal davon ab, dass auf diesen Flächen keine Lebensmittel mehr entstehen?

Derartige großflächige Verheerungen hat die Atomkraft nie angerichtet. Aber allein diese nüchterne Feststellung führt sofort dazu, dass Sie zum Hassobjekt bei jeder Party werden. Denn die Angst siegt. Und mit ihr kommen die Tabus.

So sorgt sie nicht nur dafür, dass eine abweichende Haltung zur Kernenergie quasi geächtet ist, sondern auch dafür, dass wir nur noch hören wollen, was die Angst bedient. Das UNO-Komitee für die Folgen von Strahlung (Unscear) fand jetzt heraus, dass der Unfall von Fukushima weder zu einer erhöhten Krebsrate führen werde, geschweige denn zu Todesfällen. Vor dem Hintergrund, dass wir die japanische Region seit etwas mehr als zwei Jahren als apokalyptischen Schauplatz kennen, eine sensationelle und positive Nachricht. Nur hat sie sich glatt versendet. Es interessiert die in Energiefragen infantile deutsche Öffentlichkeit so wenig wie die toten Vögel in der Nähe von Windkraftanlagen. Jede verstorbene Fliege mit ungeklärter Todesurache in der Nähe eines Atomkraftwerks würde hingegen eine Massendemonstration nach sich ziehen und gewaltigen politischen Druck aufbauen.

Die sogenannte Energiewende ist eine Utopie: Ihre Mütter und Väter wollen uns von einem vermeintlichen Dämon befreien — koste es, was es wolle. Wir nehmen hin, dass die Energiepreise durch die Decke gehen, wir akzeptieren massive Eingriffe in Ökosysteme und wir subventionieren mit unserem Erneuerbare-Energien-Gesetz faktisch chinesische Solaranlagen, deren Rohstoffe unter ökologisch fragwürdigen Bedingungen gewonnen werden und die unter miesen Bedingungen produziert werden. Zugleich laden wir diesen Vorgang (wie wendet man eigentlich Energie?) hochmoralisch auf. Angeblich würden unsere Kinder irgendwann einmal die Frage stellen, warum wir es versäumten, die Kernkraft obsolet zu machen.

Vermutlich wird es anders kommen, und wir werden uns von unseren Kindern die Fragen danach gefallen lassen müssen, wie wir Natur- und Artenschutz fast völlig ignorieren konnten, um einer zeitgeistigen Hysterie Rechnung zu tragen. Die Energiewende ist kein Projekt für unsere Nachfahren. Es geht uns nur im die heutige Form der weltberühmten German Angst. Hoffentlich werden unsere Kinder uns verzeihen.

Am 23.6.13 erschienen im Flensburger Tageblatt und in der Schweriner Volkszeitung

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