„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe“, so lautet der Amtseid, den Bundespräsident, Bundeskanzler sowie Minister vor Antritt bei Amtsantritt leisten. Der abzulegende Eid lautet immer gleich, lediglich die religiöse Formel darf je nach Gusto ersetzt oder weggelassen werden. Was nun jeder so still und heimlich denkt, während er diese Worte spricht, wissen wir nicht. Noch nie unterbreitete jemand den Vorschlag, Minister oder gar Bundeskanzler an einen Lügendetektor anzuschließen, während sie diese ernste und würdige Absichtserklärung tätigen. Und das ist auch gut so, denn die Gedanken sind bekanntlich frei. Wer will das auch wirklich wissen? Lieber nicht.
Das Volk, dessen Nutzen gemehrt werden soll, muss keinen Eid ablegen. Im Großen und Ganzen besteht seine Aufgabe darin, die Steuern sowie die Strafzettel pünktlich zu bezahlen und ansonsten nicht weiter aufzufallen. Da keinerlei Freiwilligkeit existiert, wäre ein Eid auch geradezu lachhaft. Noch nie zerbrach sich jemand den Kopf darüber, was das Volk so denkt, während es die Steuererklärung abgibt oder die monatlichen Strafzettelbeträge überweist. Und das ist auch gut so. Viel Schaden wurde vom Volk dadurch bislang abgewendet.
Der reibungslose Ablauf dieses Vertrages zwischen Volk und denen, die seinen Nutzen mehren sollen, funktionierte bis vor ein paar Wochen mittels der gesellschaftlichen Tugend der Ignoranz. Ignoranz bedeutet, etwas absichtlich nicht kennen oder wissen zu wollen. Nur so ist eine friedliche Koexistenz in Paralleluniversen gewährleistet. Das Volk weiß nicht, was der Minister beim Ablegen des Amtseides so denkt und der Minister weiß nicht, was das Volk von morgens bis abends umtreibt. Das muss er auch nicht und soll er auch nicht. Denn das Volk ist von Natur aus völkisch. Und das ist nicht unbedingt gut.
Erste Aufgabe eines jeden gewählten Souveräns ist es daher, das Volk vor sich selbst zu schützen. Keimt so etwas wie ein Volkswille auf, muss dieser unter Aufbietung allen vorhandenen Ressourcen sofort im Keim erstickt werden. Alles andere wäre für das Volk und vor allen diejenigen, die seinen Nutzen mehren und auch diejenigen, die sich in diesem Fahrwasser wohl nähren, mehr als bedrohlich. Das betonte auch die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache. ‚“Schließt Euch denen nicht an, die da in Dresden demonstrieren, in deren Herzen ist nur Hass“, warnte sie eindringlich.
Die Kanzlerin ist nicht irgendwer. Noch demonstriert nicht das Volk. Lediglich einige Tausend Menschen, die “eine Schande für Deutschland” sind, weil sie nicht für “Umfairteilung”, das bedingungslose Grundeinkommen und den Frieden im Nahen Osten demonstrieren. Dabei kommt es nicht darauf an, was sie sagen, wichtig ist, was sie fühlen. Und das wissen nur die, die den Nutzen des Volkes mehren wollen und darauf einen Eid geleistet haben.
Was passiert aber, wenn aus den 17.000 plötzlich 30.000 werden? Oder 50.000? Vielleicht hilft der Rückgriff auf Altbewährtes? Die Wasserprobe böte sich an. Oder die Feuerprobe, eventuell auch die Nagelprobe. Um zu sehen, ob das Herz frei von Kälte, Hass und Häresie ist.