Mein erster Kubaner war ein fideler kleiner Bursche mit einem großen Schnäuzer unter der Nase. Er war an der kubanischen Botschaft tätig, die damals noch in Bad Godesberg untergebracht war. Was er da genau machte, weiß ich nicht, irgendwas mit „Kulturaustausch“ vermutlich. Wir trafen uns häufiger bei Zigarren-Events. Enrico, so will ich ihn einmal nennen, hatte dabei stets ein Glas mit Mojito in der Hand. Seine Zigarre – von der ich lange vermutete, dass er nur die eine hatte – sah so aus wie ein Stück Schiffstau, das man einem sehr beißkräftigen Hund zum Zerkauen gegeben hatte.
Wir redeten wenig, meist prosteten wir uns freundlich zu, sahen gegenseitig unsere Zigarren mit wohlwollenden Blicken an und bewegten uns nur ab und zu von der Stelle, dorthin, wo der Mojito ausgeschenkt wurde. Lange ist das her, und ich hoffe, es geht ihm gut.
Ich habe auch die andere Sorte Kubaner kennengelernt, Apparatschiks von der Sorte, denen man tunlichst nicht in ihrem eigenen Sprengel begegnen sollte. Es gab einige von ihnen hierzulande, sie bekleideten wichtige Posten bei der staatlichen Habanos S.A., die den Handel mit den kubanischen Zigarren organisierte. Da ich Raucher und Journalist und kein Händler war, hatte ich mit diesen Leuten nur sehr peripher zu tun. Das reichte mir aber auch. Mitte der 2000er Jahre bereiste der greise Alejandro Robaina, Kubas berühmtester Tabakpflanzer, für einige Wochen Europa, so auch die deutschsprachigen Länder. Alle seine Besuche bei Veranstaltungen und privater Art waren stramm organisiert und standen stets unter der Aufsicht der Botschaft und der Habanos. Robaina litt an einer Augenkrankheit, und ein deutscher Arzt hatte sich angeboten, ihn kostenlos zu operieren.
Weltweit Empörung wegen des schlechten Tabaks
Die kubanischen Offiziellen wollten davon nichts wissen, Robaina müsse mit Ablauf seines Programms zurück nach Kuba, eine Verlängerung um zwei Monate sei nicht möglich. Es gab eine Reihe von Gesprächen und schriftlichen Gesuchen (damals mittels eines „Fax“ genannten elektronischen Gerätes), aber vergeblich. Auch ich hatte mich eingebracht und sprach mit einem Habanos-Offiziellen, in der Hoffnung, dort ein Herz für Robaina zu öffnen. Wohl niemals zuvor und danach hat mich jemand am Telefon derartig abgebürstet und zusammengefaltet, und ich war heilfroh, dass der Mann a) ein paar hundert Kilometer entfernt war und b) ich mich nicht auf Kuba befand.
Auch Diskussionen über die nachlassende Qualität der kubanischen Puros in den 2000er Jahren habe ich mehr als lebhaft in Erinnerung. Während weltweit Empörung wegen des schlechten Tabaks und der miesen Fertigung der Zigarren – zunächst murrend, dann immer lauter werdend – aufkam, stritten die Habanos-Verantwortlichen diese unübersehbaren Mängel schlichtweg ab. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Erst nach Jahren, als die Raucher vermehrt nach Alternativen aus anderen Ländern griffen – Marken, die von Exilkubanern kreiert wurden und entsprechende Qualität boten – lenkte man ein und versuchte, den Schaden wiedergutzumachen. Was auch gelang, da inzwischen Spanier, Franzosen und später auch Briten bei der Habanos das Sagen hatten.
Ich habe immer den Eindruck gehabt, Castro und sein Regime werden hierzulande nie wirklich ernst genommen. Das mag an der Entwicklung seiner Machtübernahme gelegen haben; Castro war anfangs nicht als Kommunist in Erscheinung getreten und wurde sogar aus den USA unterstützt. Von daher entwickelte sich seine Diktatur in kleineren Etappen. Ich vermute aber auch, es lag an seinem Namen. „Fidel“, das klang eher nach einem der „Drei Kleinen Schweinchen“ als nach einem blutrünstigen Diktator, der mit Hilfe weiterer Hardliner wie Che Guevara ein repressives Regime nach Stalinart etablierte. Die Deutschen schätzen bei Tyrannen Namen wie Adolfo. Aber Fidel?
Im Osten „Arbeiterparadies mit Palmen“
Ich las viel über Kuba. Belletristik von Leonardo Padura und Zoé Valdés und die „Schmutzige Havanna Trilogie“ von Pedro Juan Gutiérrez sowie die Bücher von Guillermo Cabrera Infante, einem ehemaligen kubanischen Kulturfunktionär, der später zu einem der wortstärksten Kritiker Castros im Ausland wurde und in seinen Büchern wie „Drei Traurige Tiger“ und vor allem „Mea Cuba“ das Leben im kubanischen Kommunismus schonungslos beschrieb. Für Cabrera Infante war Kuba „ein einziger Kerker“ geworden. Kein Wunder, dass Kuba dank dieser „Qualität“ in der östlichen Hälfte Deutschlands als so eine Art „Arbeiterparadies mit Palmen“ angesehen wurde.
Auch las ich alles, was an Biografien über Fidel und Che zu bekommen war. Gerade diese Bücher lassen in ihrer Unterschiedlichkeit erkennen, wie weit die Meinungen über den „Kubanischen Weg“ und dessen Protagonisten auseinander klaffen. Bis heute.
Und jetzt habe ich wieder einmal ein Buch über Kuba gelesen. Geschrieben hat es Klaus Leciejewski, der Achse-Lesern durch seine Berichte von der Insel bekannt sein dürfte. Klaus Leciejewski hat an deutschen Hochschulen Wirtschaft gelehrt, er war Unternehmensberater und ist Autor mehrerer Sachbücher. Über Kuba hat er unter anderem in der "Welt", der "FAZ" und der "Neuen Zürcher Zeitung" publiziert. Er ist mit einer Kubanerin verheiratet und lebt einen großen Teil des Jahres auf Kuba, worüber er – kubanisch unregelmäßig – auch auf Achgut berichtet.
"111 Gründe, Kuba zu lieben" heißt das Buch. Diese Mode mit dem „100 (99, 111,) Gründe“ hat in den letzten Jahren im Verlagswesen eine für meine Begriffe übermäßige Präsenz entwickelt. Als mein Belgienbuch vor drei Jahren erschien, musste ich heftig dafür streiten, dass eine solche Formulierung nicht auf den Titel kam. Dem Autor Klaus Leciejewski darf man das nicht anlasten, bei Buchtiteln hat das Marketing das Sagen und nicht der Autor. Und der Verlag, in dem 111 Gründe erschienen ist, führt nun einmal eine Reihe, die unter diesem Motto steht, so dass Sie dort auch 111 Gründe für Schwaben, Japan, die ganze Welt und sogar das Ruhrgebiet finden können.
Auch auf Kuba gibt es den politischen Witz
Klaus Leciejewskis Buch habe ich auf nahezu einen Sitz gelesen, und das mit großem Vergnügen. Vor allem eins ermöglicht das: Die in zwölf thematische Hauptkategorien wie „Sonne und Meer“, „Kunst und Musik“, „Geheimnisse und Kuriositäten“ oder auch „Rum und Tabak“ einsortierten Unterkapitel – die eigentlichen 111 Gründe – lassen sich unabhängig von den anderen lesen. Man kann also entweder aus dem Inhaltsverzeichnis ein Kapitel auswählen, das einen von der Überschrift her interessiert und dann dort mit dem Lesen beginnen, oder man kann das Buch an einer beliebigen Stelle zwischen den insgesamt 360 Seiten aufschlagen und ist sofort mittendrin. Und eher als vermutet hat man es zu Ende gelesen.
Jedes Kapitelchen beschreibt eine Welt für sich. Wenn Klaus Leciejewski über die Natur erzählt, über das bei aller karibischen Gelassenheit sehr turbulente Wetter oder über Regionen, die vor allem deshalb so atemlos beeindruckend sind, weil man sie kaum mit anderen Touristen teilen muss, dann erzählt er zwar von Kuba, aber eben einem anderen Kuba als in den Kapiteln über die kubanische Wirtschaft, über die kubanische Mentalität voller Widersprüche oder über die „weltweit beste“ Kreolische Küche, obwohl Kühlhäuser auf Kuba lebensgefährlich sind, trotzdem es von Fidel ein Rezept für Langusten gibt, und weil es ein wunderbares (auch von mir geschätztes) rassistisches Gericht mit dem Namen Moros y Cristianos gibt.
Auch auf Kuba gibt es den politischen Witz; kein Wunder, in Diktaturen ist der Witz nun einmal ein notwendiges Ventil, um der alltäglichen Drangsaliererei ein wenig Opposition entgegenzustellen (sofern man den Witz nicht den falschen Leuten erzählt). So wie die Deutschen Merkelwitze haben – manche von denen sitzen sogar auf der Regierungsbank – so hat der Kubaner Castrowitze. Wie den, in dem Raúl Castro seinen verstorbenen Bruder in der Hölle besuchen will. Er steigt also hinab und fragt den Teufel, wo denn sein Bruder sei. „Ich bin nicht mehr der Teufel“ antwortet der Leibhaftige. „Das ist jetzt der alte Typ mit dem weißen Bart. Ich bin nur der Parteisekretär.“
Doch da die Kubaner vor allem lebensfreudige Menschen sind, erzählen sie lieber schweinöse Witze. Ein Mann findet seine Frau mit einem seiner Freunde im Bett und erschießt diesen. „Mach nur weiter so!“ schimpft die Frau. „Dann hast du bald keine Freunde mehr!“
Frauen können größere Machos als die Chicos sein
Auf Kuba können Tiere sprechen, werden von Brücken die Straßen herunter geklaut, werden großartige Schweine gezüchtet, an deren Schlachtung niemand Anstoß nimmt, können Frauen größere Machos als die Chicos sein... Und es gibt alte Mythen aus einer Zeit, in der nicht immer alles besser war, aber eigentlich doch und aus der heutigen Zeit, in der die Verehrung Fidels und Ches ungebrochen ist. Angeblich.
Ich wurde neidisch beim Lesen. Vieles aus und über Kuba kenne ich so oder ähnlich, aber niemals so intim und alltäglich wie Klaus Leciejewski. Wer könnte auch besser erzählen als er? Mit einer Kubanerin verheiratet zu sein, kubanische Nachbarn zu haben und einen so wachen, zugleich liebevollen wie ungetrübt kritischen Blick zu besitzen wie der Autor, das sind gleich mehrere Qualitäten auf einmal.
111 Gründe, Kuba zu lieben ist kein Reiseführer; das Buch enthält weder eine Karte noch einen Index und auch nicht die in Reiseführern unvermeidlichen praktischen Tipps, wann die Post aufmacht und an welchen Tagen die Museen geschlossen sind. 111 Gründe, Kuba zu lieben ist im besten Sinne ein Lesebuch, das auch praktische Tipps gibt, die zugleich immer auch etwas über die Geschichte und weitere Entwicklung Kubas mitteilen. „Besuchen Sie Varadero am besten noch vorher!“ schreibt Klaus Leciejewski. Vor was? Bevor Varadero, diese unvergleichliche Strandregion mit ihrem klaren, trotz sozialistischem Einfluss zuverlässig badewannenwarmen Wasser, „der Ballermann Nordamerikas“ wird. Wieso so etwas Schreckliches ansteht? Sie werden es in diesem ebenso unterhaltsamen wie informativen Buch lesen.
111 Gründe, Kuba zu lieben. Zum Buch gehts hier.