“Gruselig ist oft auch das rurale Amerika mit seinen schäbigen Towns” also das geht wirklich zu weit. Die USA haben eine ganz andere Entwicklungsgeschichte der Orte und Städte, und natürlich sehen die aufgehübschten properen Kleinstädte in Europa attraktiver aus. Was mich angeht, ich schätze die kleinen “main streets all over America”, wo es meistens ein Cafe gibt, oder eben eine Tankstelle. Da kann man gut mit den Leuten reden. Ja, ältere Holzhäuser sehen vielleicht “schäbig” aus, aber da wohnen auch Leute drin, die sich ein styroporverpacktes Superhaus nicht leisten können. Und in diesen Towns finden Sie auch saubere Toiletten in den Tankstellen und Servicekräfte, die herauskommen und Behinderte am Auto bedienen. Ich empfehle dem Autor, sich ein Motorrad zu mieten und langsam an den Kleinstädten entlang zu reisen, dann erkennt er vielleicht, dass da doch etwas mehr ist.
Das Ruhrgebiet ist sicher das unterschätzeste Reiseziel in Deutschland. Dabei ist es die kulturelle Hauptstadt Europas. Nirgendwo gibt es viele Opernhäuser, Philharmonie, Sinfonieorchester. Und jeder, der hierhinkommt, ist erstaunt, wie grün es hier ist. Natürlich gibt es auch jede Menge Schmuddelecken, aber wo gibt es die nicht? Überigens, das Wort “annährend” gibt es nicht, es heißt “annähernd”
Ich gebe zu, ich höre mir gerne Reiseberichte von anderen an. Da ist in der Regel das Negative schon mal rausgefiltert. Dokumentationen sind auch sehr schön. Im Übrigen schätze ich Deutschland. Noch.
Für mich sind nur Individuen, die selbst über längere - besser noch lange - Zeit in einem “fremden” Land gelebt haben, die einzigen, die die speziellen, sich vom Herkunftsland unterscheidenden Gegebenheiten einigermaßen glaubhaft beschreiben und beurteilen können. Aus dem Blickwinkel eines Tage-, Wochen- oder auch Montas-Tourists in Urlaubslaune ist man zu einem überzeugenden Bericht über und zu einer Bewertung der Verhältnisse andernorts weder befähigt noch berechtigt. Erfahrungsgemäß vermittelt das touristisch Bereisen eines anderen Landes oder Kulturkreises dem Reisenden immer nur einen eher oberflächlichen Eindruck. Vielleicht wäre es von Vorteil, wenn eine der Grundvoraussetzungen für eine Karriere in der großen Politik darin bestünde, dass man über langjährige Lebenserfahrungen aus einem Deutschland möglichst unähnlichen Land verfügt.
Ach lieber Herr Röhl, kann es sein, dass sie den Witz und die Ironie eines Mark Twain (mal mit feiner Feder, mal mit der Brechstange) nie so richtig verstanden haben?
„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat haben“ Diese Erfahrung durfte ich tatsächlich machen und möchte ergänzend hinzufügen: was wir in der Heimat nicht bzw. nicht mehr haben.
Als langjähriger Verkehrspilot war ich inzwischen in mehr als einhundert Ländern und kann die Ausführungen hier größtenteils bestätigen. Schon vor Jahren habe ich deshalb die Marotte entwickelt, nicht Fotos von den Sehenswürdigkeiten (kennt eh jeder), sondern von den Sehenswürdigkeiten aus zu schiessen, was die Eindrücke mit einer 180 Grad Betrachtung doch wieder stark relativiert. Leider kann man resümieren, dass das Öffnen der Regionen für den Tourismus sowie die gleichzeitige Bevökerungsexplosionen, letztendlich nicht nur den Schleier der Geheimnisse für “magische” Orte trübt, sondern diese völlig zerstört. Inzwischen kann man dort alle zivilisatorischen Unsitten beobachten, mit denen wir uns hier auch herumschlagen müssen. Das Fremde ist keines mehr und daher kann man die meisten “Destinations” ohne Reue getrost streichen. Die ursprünglichen Kulturen änderten sich im Laufe der Geschichte natürlich immer wieder mal. Aber es entstand dann eine neue. Heute entseht nichts Neues, sondern nur noch ein getarnter Einheitsbrei. Schon deshalb halte ich die Globalisierung für eine schlimme Fehlentwicklung. Selbst ein Hannibal Lecter aus dem “Schweigen der Lämmer” kann hier schon als Erklärung herhalten. Auf die Frage “was begehren wir?”, kommt die einfache, wie schlüssige Antwort: “Was wir kennen ...). Kommunikation erreicht heute auch das letzte Bergdorf und Werbung (auch unbewusste) weckt Begehrlichkeiten.
Was der weitgereiste Autor mit seinem düsteren Potpourri den Lesern eigentlich sagen will, wird aus dem Artikel nicht so recht ersichtlich. Dass Mark Twain nichts unversucht ließ, um seine Vorurteile bestätigt zu finden? Und dass er damit “irgendwie” auch recht hatte? Ein neugieriger, kulturell interessierter, politisch wacher und eingermaßen kritischer (Fern)-Reisender wird die Welt wohl von Haus aus nicht durch eine rosarote Brille sehen. Als islamkritischer Beobachter habe ich mich, in Wien und Berlin lebend, in Molenbeek (also fast “zuhause”) , Wien-Favoriten oder Moabit zeitweise unbehaglicher gefühlt als in Istanbul oder selbst dem relig.Zentrum Tunesiens (Kairouan). Da ich nicht mehr der Jüngste bin, muss ich mich mit einem meiner Lebensziele (100 UNESCO-Weltkulturerbestätten) beeilen. Nein, reisen bildet, sofern man den Kopf zum Denken benutzt, Augen/Ohren offen hält und nicht erwartet/hofft, überall ein Abziehbild der eigenen vier Wände vorzufinden.
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