Kolumne von Maxeiner & Miersch erschienen in DIE WELT vom 13.10.06
Seit gestern läuft Al Gore’s Film „Eine unbequeme Wahrheit“ (An Inconvenient Truth) in deutschen Kinos. Es ist eine Symbiose aus Volkserziehung und Klimaschutz, in der kalbende Gletscher und wütende Hurrikane die Botschaft vom frevelhaften Tun des Menschen untermalen. Nun kalben Gletscher nicht erst seit der Erfindung des Verbrennungsmotors und auch Gore’s Mission („Kehret um!“) hat ein biblisches Alter. Aber wir wollen nicht kleinlich sein. Nur eine Frage beschäftigt uns stark: Was ist eigentlich das „Unbequeme“ an diesem Film?
Alle sind doch ganz begeistert: Enthusiastische Kritiken, ein moralisch verzücktes Publikum, freudetrunkene Umweltverbände. Kurz: Beifall von allen Seiten. Noch nie war eine „unbequeme Wahrheit“ so bequem wie diese. Eine von Zivilisationsekel befallene Wohlstandsgesellschaft nimmt die Kunde vom dräuenden Weltuntergang geradezu wollüstig auf. Ungemütlich wird es höchstens für den, der den Katastrophenkonsens in Frage stellt. Das kann nur ein „Leugner“ sein, ein Irrer oder ein von Exxon gekaufter Finsterling.
Abweichende Erkenntnisse, die nicht zur Litanei der vom Menschen verursachten Katastrophe passen, gelangen meist gar nicht erst in die Öffentlichkeit. Oder allenfalls in Fachmedien. So wie gerade in den „Proceedings A“ der Royal Society. Dort stellt das dänische „National Space Center“ ein neues Ergebnis der Klimaforschung vor, das eine erhebliche Tragweite besitzt. Erstmals ist es gelungen experimentell nachzuweisen, wie die kosmischen Strahlung Wolken bildet. Dieses Experiment gilt als fehlender Baustein („missing link“) in einer langen Kausalkette, in deren Verlauf Vorgänge im All unser Klima verändern. Ein auffälliger statistischer Zusammenhang zwischen kosmischer Strahlung und Wolkenbildung war bislang schon bekannt. Doch wurde er vom offiziellen UN-Klimagremium IPCC nicht für relevant befunden, weil der Nachweis eines Mechanismus ungenügend sei. Diese Position ist jetzt nicht mehr haltbar.
Die kosmische Strahlung stammt von explodierenden Sternen im All und enthält winzige Partikel, die beim Auftreffen auf die Erdatmosphäre Kondensationskerne und in der Folge Wolken bilden. Man muss sich das wie einen unsichtbaren Sandsturm vorstellen. Je stärker das Magnetfeld der Sonne nun ist, desto mehr schirmt sie die Erde gegen den kosmischen Partikelsturm ab. Nun hat sich das Magnetfeld der Sonne im 20. Jahrhundert verdoppelt (!). Weil die Erde dadurch besser abgeschirmt wird, bilden sich in den unteren Schichten weniger kühlende Wolken: Es wird wärmer.
Die Überzeugung vom vorherrschenden Klimaeinfluss des Kohlendioxids erfolgt nicht zuletzt ex negativo - man hatte bislang schlichtweg keine belastbare andere Hypothese. Jetzt gibt es neben der Wirkung von Kohlendioxid einen zweiten nachgewiesenen Mechanismus, der den ersteren nicht ausschließt, aber die Diskussion um einen großen natürlichen Anteil an der Erwärmung neu entfachen wird. Davon ist in Al Gore’s Film natürlich nicht die Rede. Statt dessen gilt die Parole „Science is settled“ - die Wissenschaft erlaube keine Zweifel mehr.
Richtig müsste es heißen: Einige Wissenschaftler erlauben keine Zweifel mehr. Wer am Dogma kratzt, für den wird es wirklich unbequem. Da braust kein Applaus, sondern kollektive Verärgerung auf. Das erfuhren beispielsweise Jan Veizer (Universität Bochum) und Nir Shahiv (Universität Jerusalem) , beides hochseriöse und preisgekrönte Wissenschaftler, die 2003 in einer Studie der Klimawirksamkeit der kosmischen Strahlung ein größeres Gewicht einräumten als bislang zugestanden. Eine Riege deutscher Klima-Professoren betätigte sich sogleich als wissenschaftliche Linienpolizisten und warf den Kollegen in einer Pressemitteilung “äußest fragwürdige Methoden” , “spekulative Daten” und “unhaltbare Schlüsse” vor.
Und jetzt viel Spaß mit „Eine unbequeme Wahrheit“.