Archi W. Bechlenberg / 24.05.2017 / 14:46 / Foto: Emmanuel Eslava / 11 / Seite ausdrucken

Ahnungslosigkeit? Unfähigkeit? Verantwortungslosigkeit? Weltfremdheit?

Der Abend des 22. Mai war milde, wir haben nach dem Abendessen den Gartenkamin angemacht und bei einem Wein dem Feuer zugesehen, und die Katze legte sich auf mich, und irgendwann bin ich auf der Bank eingeschlafen, und als ich wach wurde, war das Feuer runter gebrannt und es war 23.20 Uhr, und ich bin ins Haus gegangen und die Katze auf ihre nächtliche Tour.

Zu etwa dieser Zeit explodierte die Bombe des islamischen Terroristen in Manchester und tötete, verletzte und zerstörte die Seelen tausender, zumeist junger Menschen im Namen Allahs.  Wieder einmal ist das eingetreten, was ich jeden Morgen, wenn ich die Medien einschalte, angstvoll erwarte. Das, was mit absoluter Gewissheit wieder und wieder geschieht und sich nur in seinen Dimensionen sowie dem Ort unterscheidet.

Die Kanzlerin in Berlin fand für das Attentat den Begriff „unbegreiflich“. Kann man seine Ahnungslosigkeit, Unfähigkeit, Verantwortungslosigkeit, Weltfremdheit, kurz, sein völliges politisches, geistiges und moralisches Versagen besser unter Beweis stellen, als durch das Wort „unbegreiflich“? Nicht begreifen kann man eine solche Tat doch nur noch, wenn man nicht die geringste Vorstellung davon hat, was in den Köpfen derjenigen vorgeht, die sich in einem Krieg gegen uns, unsere Kultur, unsere Freiheiten und Werte befinden. Wenn man immer noch glaubt, es seien nur die Taten einiger weniger Verwirrter, die den Islam nicht verstanden hätten. Wenn man immer noch nicht begriffen hat, dass durch fatale politische Fehlentscheidungen diesem Krieg das Schlachtfeld erst verfügbar gemacht wurde. Wenn man immer noch glaubt, der Kampf gegen Gegner und Kritiker dieser Verblendung sei wichtiger als der Schutz des Landes und seiner Bevölkerung.

Ich gestehe, so schrecklich es war, Dienstagmorgen die ersten Nachrichten aus Manchester zu erfahren, ich reagierte zunächst mit betäubtem Fatalismus. Aha, da war es also, das nächste Ereignis, mit dem man ja schon gerechnet hatte. So richtig unter die Haut gingen mir die Meldungen erst, als britische Medien den Todesopfern, darunter ein achtjähriges Mädchen, ihre Gesichter gaben; etwas, das man hierzulande den Opfern vom Breitscheidplatz verweigerte; nicht aus Pietät, sondern weil man in Berlin genau weiß, dass die Mordfahrt des „Flüchtlings“ A. A. dadurch in der Erinnerung der Öffentlichkeit eine viel tiefere Wunde hinterlassen hätte. Stattdessen wird wie immer ranziger Quark breitgetreten: Alles Einzelfälle, die nichts mit dem Islam zu tun haben und wegen derer wir unsere Lebensweise nicht verändern dürfen. Schließlich wird man eher vom Blitz erschlagen als überfahren, erstochen oder in die Luft gesprengt. So was gehört zum normalen Lebensrisiko dazu. „Wir sollten jetzt erst recht auf die Straße gehen, tanzen, in den Cafés sitzen und Fußballspiele nicht absagen“, so Margot Käßmann im vergangenen Jahr.

Generalverdacht beim Abschließen der Haustür

Wenn mir etwas unbegreiflich ist, dann, dass Menschen noch immer so etwas im vollen Ernst verkünden und vertreten. Wenn es unterbelichtete Relativierer ohne jede Funktion sind („Die IRA hat mehr gebombt“, „Das Kind hätte auch bei einem Unfall umkommen können“, „Man muss schon fragen, was machen achtjährige Kinder abends auf einem Konzert?“), die so etwas ablaichen, ist mir das weitgehend egal, auch wenn es nicht gerade schön ist zu wissen, dass man von derartigen Gedanken umgeben ist.  Nicht egal ist mir hingegen, dass Personen, die qua Amt und Eid dazu verpflichtet sind, Schaden vom deutschen Volk abzuhalten, erschreckend eindeutig in einem Paralleluniversum unterwegs sind, das mit unserer täglichen Realität kaum noch etwas zu tun hat. Einer alles andere als entspannten Realität, die ja nicht nur aus spektakulären Attentaten besteht, sondern sich im Alltäglichen längst verfestigt hat. Morde, Vergewaltigungen, Körperverletzungen, Sachdelikte – die Kriminalstatistik spricht eine unverständliche Sprache. Zu vermuten, dass diese bei aller Drastik noch geschönt ist, dürfte nicht weit hergeholt sein. Das alles findet im Paralleluniversum zwischen Maas und Merkel aber nicht statt. Unbegreiflich? Vielleicht auch nicht.

Vor einigen Monaten schrieb ich für "Achgut" einen Text über den so genannten „Generalverdacht“. Die Überschrift damals lautete: „Generalverdacht, warum eigentlich nicht?“ Diese Frage erscheint mir heute naiv und an der täglichen Realität vorbei. Oder, um es mit der Kanzlerin zu sagen: Sie ist mir unbegreiflich. Es geht gar nicht ohne Generalverdacht! Wer sich heute noch ohne Generalverdacht bewegt, ist im höheren Maße gefährdet, als man es ohnehin im Europa des Jahres 2017 ist. Generalverdacht ist unabdingbar, allein schon, weil es daran nichts Schlimmes, Unmoralisches und Rassistisches zu finden gibt. Erst durch die Stigmatisierung und Nazifizierung einer ganz und gar notwendigen Haltung gegenüber möglichen Gefahren wurde etwas zu einem Übel erklärt, ohne das keine Spezies auf der Erde überleben könnte. Das war immer so und ist heute nicht anders und wird von niemandem infrage gestellt, außer, wenn es um Migranten, insbesondere muslimischen Glaubens, geht.

Ansonsten verhält sich jeder Mensch im Alltag gewohnt vorsichtig. Wer seine Haustür abschließt handelt ebenso generalverdächtigend wie derjenige, der sich nur in gepanzerten Fahrzeugen bewegt und nur umgeben von Personenschützern in der Öffentlichkeit bewegt. Mag sein, dass so jemand aufgrund seiner gesellschaftlichen Position gefährdeter ist als andere. Aber auch gefährdeter als Frauen, die sich allein abends oder nachts auf der Straße bewegen, auf dem Heimweg von einer Party oder einem Kneipenbummel? Gefährdeter als Männer, die lieber einen Bogen um eine Gruppe ihnen suspekter Gestalten macht, als ihnen „mit Liebe zu begegnen“? Gefährdeter als die Besucher eines Popkonzerts, also einer Art von Veranstaltung, über die von deutschen Muslimen – die den Koran natürlich „falsch verstanden“ haben - folgendes verbreitet wurde (Schreibfehler und Interpunktion von mir korrigiert): „Salam, Musik ist nach der Sunnah des Propheten Muhammad Saaws haram. Der Imam sagte, Musik ist der Leiter der Unzucht, und wer Musik hört, soll am Tag der Auferstehung heißes Blei in seine Ohrmuschel bekommen.“ Und an anderer Stelle:„Das Haus, in dem Musik gespielt wird, ist nicht sicher vor plötzlichen Katastrophen. Gebete an einem solchen Ort werden nicht beantwortet. Es wird keine Engel an diesem Ort geben.“  Lassen Sie sich diese Worte vor dem Hintergrund der Ereignisse in Manchester einmal etwas länger durch den Kopf gehen.

Hinter schützenden Mauern gegen den Bau von Mauern wettern

Ebenso wie die wirre Theologie einer Käßmann, eines Woelki, eines Bedford-Strohm oder eines Franziskus, der, hinter meterhohen Mauern im Vatikan residierend, das Errichten von Mauern verteufelt. Es ist der Humanismus, die Ersatzreligion der Moderne, der dabei ist, sich selber einschließlich uns allen ans Messer zu liefern, in dem Irrglauben, ein wirtschaftlicher, kultureller und moralischer Fortschritt sei der Tatsache überlegen, dass der Mensch nichts anderes als ein zweibeiniges Säugetier ist. Der Humanismus sieht sich als säkulares Gegenbild zum Gottesglauben. Dabei beruht seine Grundüberzeugung, die Geschichte der Menschheit sei eine Fortschrittsgeschichte, auf nichts als Aberglauben und ist noch weiter von der Wahrheit entfernt als jede Religion.

Der Humanismus selber ist eine Religion, basierend auf der Vorstellung, im Gegensatz zu den Tieren seien wir frei, unser Leben nach unserem Ermessen selbst zu gestalten. Eine Vorstellung, die nicht naturwissenschaftlichen Ursprungs ist, sondern auf die christliche Religion zurückgeht. Also dem Weltbild, das gerade die Humanisten vehement ablehnen. Von eben diesem hat der Humanismus seine Vorstellung übernommen, wir könnten eine Welt errichten, die besser ist als jede, in der Menschen zuvor gelebt haben. Besser im ökologischen wie moralischen Sinn. Anders gesagt: Ziel der Humanisten ist es, die gesamte Menschheit zu emanzipieren. Noch anders gesagt: Generalverdacht war früher, heute sind wir weiterentwickelt.

Dabei ist die Welt eine grandios-erschreckende Freiluftausstellung gescheiterter politischer Utopien. Utopien, die stets aus dem Irrglauben entstanden, wir Menschen besäßen eine Kontrolle über unser Schicksal. Aber Menschen, so erkannte es Charles Darwin, ganz im Widerspruch zu der christlichen Kultur, der auch er entstammte, stehen nun einmal nicht über allen anderen Lebewesen. Selbst wenn unser Wissen und damit unsere Macht über die Erde weiter zunehmen wird, der Mensch bleibt trotzdem das, was er ist: ein fraglos kreatives Lebewesen, das zugleich auch eines der räuberischsten und zerstörerischsten ist. In dieser Natur gibt es keine Belohnung für Fernstenliebe und Humanismus. „Himmel und Erde sind nicht gnädig. Ihnen sind die Menschen wie stroherne Opferhunde.“ (Laotse)

Selbst wenn es in demokratisch geprägten, aufgeklärten Gesellschaften mit einem regen, kontroversen und vernunftgetragenen Weltbild möglich sein sollte, der angestrebten Emanzipation vom Säugetier zum Weltretter in Details näher zu kommen – sobald es zur Begegnung mit anderen Kulturen kommt, denen alle diese Vorstellungen und Ansprüche vollkommen fremd sind, reduziert sich die Basis der Konfrontation wieder auf das ewig gültige Survival of the fittest. Wenn Margot Käßmann auch islamischen Terroristen „mit Beten und Liebe begegnen“ will, zeigt das eindrucksvoll die Verblendung auf, mit der unsere „Vordenker“ und Politiker, ob aus religiöser oder säkularer Überzeugung, auf unbegreifliche Weise Gefahren ignorieren, die inzwischen unmittelbar demokratische Gesellschaften bedrohen. Käßmann kann sich offensichtlich nicht vorstellen, dass es Menschen, Gruppen und Völker gibt, denen es völlig fremd und egal ist, dass „Jesus unvergesslich wurde, weil er am Kreuz starb und nicht zum Schwert griff.“ Wie würde es der frommen Frau wohl ergehen, wenn sie mit derartigen Sprüchen zu einem Theologengespräch nach Raqqa, der Schlangengrube des Islamischen Staats, reist?

Während ich dies schreibe, höre ich die Nachbarkinder im Garten spielen. Eins von ihnen ist ein achtjähriges Mädchen, es ist liebenswürdig, spielt oft und gerne und voller Respekt mit unserer Katze und geht morgen zur Kinderkommunion, auf die es sich von Herzen freut. Auf wen und was mag sich das kleine Mädchen als Nächstes gefreut haben, das vorgestern Abend von der Bombe eines Menschen getötet wurde, dem wir mit all unserem Entgegenkommen, unserem Beten und Lieben nur eins sind: schwach und hilflos und wert, vernichtet zu werden, im Namen und Dienst seiner Religion.  

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Lars Bäcker / 25.05.2017

Großartiger Text, Herr Bechlenberg. In Zeiten wie diesen bedarf es mutiger Journalisten oder ganz allgemein, Menschen, die, jenseits der Mauern politischer Wolkenkuckucksheime, noch zu sachlicher Analyse fähig sind. Und vor allem, die sich trauen, das auch öffentlich kund zu tun. Vielen Dank dafür. Ihnen einen schönen Feiertag.

m. katharina / 25.05.2017

ach wie gut, dass es so klarseherdenkerfühler wie euch gibt. labsal für mainie.gequälte seelen, die nur in wenigen special portalen bestätigung + anregung + bereicherung erfahren. 1003 dank an euch.

T Pohl / 25.05.2017

Toller Text. Befürchte lediglich, daß weder Merkel, Käsemann, noch Bedford-Stromlos ihn jemals lesen, geschweige denn verstehen wollen. Denn die Konsequenzen würden ihre Stellung und Pfründe gefährden, weil sie sich gegen den linken Mainstream stellen müssten.

Jochen Brühl / 24.05.2017

Das Frau Merkel das alles unbegreiflich ist, ist mir völlig klar. Die kapiert ja auch nicht, dass die Bildung des Nationalstaats etwas mit Aufklärung, der Trennung von Staat und Religion, zu tun hat und das Volk eines Staates die Voraussetzung für die Keimzelle der Demokratie ist - der Wahl. Bei ihrem Verständnis von Staatsvolk (“die, die schon länger hier leben” und “das Volk, das sind wir alle”) sind die Verständnisprobleme einer Bundeskanzlerin Merkel aber auch kein Wunder mehr.

Julia Marton / 24.05.2017

Aufgrund der deutsche Vergangenheit trauen sich die Menschen heute nicht das zu sagen, was sie denken - denn dann ist man Nazi! Eine Volksentscheidung zu diesem Thema wäre meiner Meinung nach eindeutig. Aber dazu müsste es mutige und integre Politiker geben, aber die gibt es weit und breit nicht. Der letze ist vor Kurzen gestorben - Helmut Schmidt.

Alexander Till / 24.05.2017

Sehr geehrter Herr Bechlenberg, Begreiflich ist die Merkel schon. Das bekanntlich in seiner Hässlichkeit freundlichste Gesicht des “Humanismus”. Denn dieser Wahn als Superlativ des Christismus stellt sich ohne ein phantasiertes, höheres Wesen als Narzist an und für sich selbst ins Zentrum alles Seins. Selbst das Sapiens kratzt sich sich dieses nackteste aller denkbaren Wesen vom schon entfellten Seelenleib. Es kann sich solch eine freundliche Fratze, mithin der Übernarzist, nicht mal mehr in der Weltmeeren spiegeln. Daher ist solch ein Terrorangriff ein Angriff auf das “freundliche Gesicht” der Welt selbst aus der Welt selbst. Kurzum: “Humanismus” ist ein Wort dessen Bedeutung näher am Arsch als im Kopf enstanden sein muss. Und wird wohl der schändlichste Ausdruck der Menschheit bleiben. Uns “Deutschen” gebührt also schon wieder eine große Ehre: nach dem bösesten Gesicht das freundlichste Gesicht in die Geschichte zu setzen.  Der Sturz über diesen Mundwinkel wird unser letzter sein, Mit freundlichen Gruß at

Gregor Kühn / 24.05.2017

Lieber Herr Bechlenberg, sie haben mir aus der Seele geschrieben, was das Verhalten unserer “Elite” betrifft. Aber an einer Stelle irren sie : Das Christentum kennt an keiner Stelle die Botschaft, dass der Mensch eine Gesellschaft entwickeln könne, die besser als jede vorherige Gesellschaft ist. Das Christentum verneint radikal jede Möglichkeit der Selbsterlösung und Vervollkommnung, der Mensch ist absolut erlösungsbedürftig - deshalb die Erlösungstat Jesu am Kreuz. Das ist allerdings eine Botschaft, die man bei Frau Käßmann nicht hört. Dieser weltfremde und gesellschaftsgefährdente Pazifismus einer Frau Käßmann ist dem NT völlig fremd. Die Bergpredigt mit dem Liebesgebot gegenüber Feinden gilt Christen und ist keine (!) Handlungsanweisung für säkulare Gesellschaften.

Fritz Kolb / 24.05.2017

Das ist in Großbritannien nicht anders als bei uns: ein über viele Jahrzehnte entwickeltes Rechtssystem trifft nun auf Menschen, die zu uns kommen, oder auch schon als Migranten-Nachkommen hier leben, und die unsere Werte kategorisch ablehnen. Es stellt sich die Frage, wie viele unschuldige Menschen noch sterben müssen, damit der Druck auf die Politik ausreicht, um die Gesetzes- und Verfassungslage der neuen Zeit anzupassen. Es ist ja nichts in Stein gemeißelt. Am Ende steht sonst die Einschränkung der Religions- und Bewegungsfreiheit und ein 10 Meter hoher, stark bewachter Zaun um Europa. Principiis obsta hat schon der römische Dichter Ovid gewarnt, wehret den Anfängen. Die dafür notwendige strategische Kompetenz der Politiker sehe ich aber weder bei uns noch in der EU. Deshalb steht zu befürchten, daß noch lange solch schrecklichen Attentaten so aktionistisch wie hilflos hinterher gehechelt wird, gefangen im eigenen Moralkorsett.

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