Von Roger Schelske.
Vox populi – vox dei, hieß es bei den alten Römern. Man muss dem Volk aufs Maul schauen, sagte Luther. Und bei Rousseau wurde „Volkes Wille“ – die volonté générale – zur politischen Letztinstanz. Heute wird die öffentliche Meinung, an der sich politisches Handeln orientiert, mittels Umfragen erschlossen – und manipuliert.
Umfragen sind die Allzweckwaffe im politischen Meinungskampf, denn an Volkes Wille ist nicht zu rütteln. So zumindest hatte Markus Söder sich das gedacht und so erleben wir es Tag für Tag beim Blick in die Nachrichten. Soll ein bestimmtes Anliegen durchgesetzt werden, kann man darauf warten, dass eine entsprechende Umfrage zur Bestätigung herangezogen wird.
Klimaschutz? Für die Bürgerinnen und Bürger ein ganz wichtiges Anliegen. Elektroautos? Findet eine Mehrheit super. Und sogar die Erhöhung des Rundfunkbeitrags fand in Sachsen-Anhalt mehrheitlich Zustimmung. Auftraggeber der Studie: die ARD. Offenbar ist das mit Umfragen so eine Sache, denn irgendwie schafft es jeder, das gewünschte Ergebnis zutage zu fördern. Der Grund dafür liegt darin, dass Umfragen eben nicht Spiegel des reinen, unverfälschten Volkswillens sind, sondern manipulative Instrumente zur Beeinflussung desselben. Zwei Gründe sind dafür maßgeblich.
Wer fragt, bestimmt die Antwort
Zum einen hängt das Ergebnis von Umfragen ganz wesentlich von der Formulierung der Frage ab. Wenn man nach der Beliebtheit von Politikern fragt, steht Merkel an der Spitze. Und bei der Frage nach dem Grad der Abneigung führt ebenfalls: Merkel. Die Psychologen Daniel Kahnemann und Amos Tversky haben in ihren klassischen Studien zu kognitiven Verzerrungen gezeigt, dass man auf die identische Frage sehr unterschiedliche Antworten bekommt, abhängig davon, wie man sie formuliert. Das gilt auch für die meisten Umfragen. Bei der Frage: „Ist ein möglichst schneller Kohleausstieg sehr wichtig, wichtig, nicht so wichtig oder gar nicht wichtig?“ lag der Anteil der Antworten „sehr wichtig“ und „wichtig“ zu Beginn des Jahres 2019 bei nahezu drei Vierteln. Hätte man in dieser Frage die Kosten von 80 Mrd. Euro genannt, wäre das Ergebnis sicherlich ganz anders ausgefallen. Und hätte man zusätzlich noch erwähnt, dass dieselbe CO2–Reduktion mit anderen Maßnahmen für weniger als ein Zehntel dieser Kosten zu erreichen wäre, wie hätten die Antworten dann wohl ausgesehen? Ob die Umfrage dann immer noch von linken Medien – Zeit, Spiegel – groß aufgehängt worden wäre? Ganz offensichtlich ist es oft nur ein sehr schmaler Grat zwischen unsauberer Methodik und bewusster Manipulation.
Aber damit nicht genug, es gibt noch einen weiteren, schwerwiegenderen Punkt, der Umfragen so problematisch macht. Die Ergebnisse der Meinungsforschung sind nämlich nicht nur sehr manipulationsanfällig, sondern sie vermitteln ein grundsätzlich falsches Bild vom Zusammenhang zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung. Wenn Journalisten, speziell linke und öffentlich-rechtliche (wobei das weitgehend gleichbedeutend ist) uns Umfragen präsentieren, dann versuchen sie damit nicht selten, ihre Regierungshörigkeit und ihre ideologische Schlagseite zu rechtfertigen. Schaut her, Merkel ist eben sehr beliebt, die Leute finden den Klimaschutz eben wichtig, ein verschärfter Lockdown entspricht eben der Mehrheitsmeinung. Wir liegen da voll im Meinungstrend, auch wenn es euch Rechten nicht gefällt.
Medien machen Meinungen, Meinungen machen Karrieren
Nur, vielfach ist es genau andersherum: Erst kommt die veröffentlichte Meinung, dann folgt die öffentliche. Der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger hat das in einer Studie über die Einstellungen gegenüber der Kernenergie gezeigt. In den frühen 1970er Jahren war die allgemeine Haltung gegenüber der Kernenergie noch sehr positiv – man hielt sie für eine Zukunftstechnologie und sah in den Kraftwerken Monumente des Fortschritts. Ab Mitte des Jahrzehnts kippte die Stimmung aber vollständig und blieb bis heute negativ. Das Interessante dabei: Die Tendenz in der medialen Berichterstattung, speziell in den linken Leitmedien Stern, Spiegel und Frankfurter Rundschau, lief der öffentlichen Meinung um etwa zwei Jahre voraus. Erst änderte sich die mediale Einschätzung der Kernenergie, dann die öffentliche Meinung, nicht umgekehrt, wie das gerne behauptet wird. Die Medien bildeten in diesem Fall also nicht die öffentliche Meinung ab, sondern sie erzeugten (bzw. manipulierten) sie – um sich anschließend auf entsprechende Umfragen zu berufen. So ist das bei vielen Themen, deren Wahrnehmung vor allem durch die Medien geprägt wird.
Besonders offensichtlich wird das bei der Bewertung von Personen. Die Achterbahnfahrt eines Jens Spahn in den Umfragen oder der kometenhafte Aufstieg eines Markus Söder folgten exakt dem vermittelten Bild in den Medien. Unter negativen Vorzeichen gilt das ebenso, etwa für Armin Laschet oder für Horst Seehofer, von einem Alexander Gauland ganz zu schweigen. Politiker wissen das – und Journalisten wissen es auch. Letztere genießen diese Macht und nutzen sie aus, immer mehr auch zur Förderung ihrer eigenen ideologischen Agenda. Woher kommt wohl das strahlende Image eines Robert Habeck, trotz erwiesener Ahnungslosigkeit? Ganz einfach, er genießt Narrenfreiheit und kann auf die uneingeschränkte Sympathie der maßgeblichen Medien zählen.
Das war nicht immer so. Es gab noch eine Zeit, als Journalisten grundsätzlich darauf aus waren, Politiker in die Pfanne zu hauen, unabhängig von ihrer politischen Färbung. Rudolf Scharping wurde sein Stigma des wirtschaftspolitischen Leichtgewichts nicht mehr los, nachdem er im Eifer des Gefechts einmal Brutto und Netto verwechselt hatte. Annalena Baerbock hingegen wird auch nach wiederholten Totalausfällen – selbst bei grünen Kernthemen! – in Hochglanz inszeniert. Denn die Leute stört ihre Inkompetenz ja offensichtlich nicht – schaut euch doch die Umfragen an!
It’s the journalists, stupid!
So läuft es inzwischen: Über politische Schicksale entscheidet eine vorwiegend linke Journalisten-Clique. Wer es dem linken journalistischen Mainstream recht macht, darf mit einem positiven Verstärkungseffekt rechnen. Medien machen Meinung, und die Meinung wirkt wiederum verstärkend auf das von den Medien vermittelte Bild zurück. Eine der ersten, die das erkannt haben, war Angela Merkel. Irgendwann, so um das Jahr 2011 herum, hat sie gemerkt, dass Politik sich nicht an der Wirtschaft orientieren muss (it’s not about the economy, stupid!) und auch nicht an gesellschaftlichen Kräften wie Kirchen, Verbänden oder bestimmten Berufsgruppen (it’s not about the people, stupid!), sondern an den Meinungsmachern in den Redaktionen.
Da sie Moskau gut kennt, hat sie sich vielleicht an die Erfahrungen in Russland in den 1990er Jahren erinnert. Dort merkte man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ziemlich schnell, dass es mit dem Ideal des frei entscheidenden, den demokratischen Willen artikulierenden Volkes nicht weit her war. Der Volkswille ließ sich nämlich fast nach Belieben steuern, womit die Oligarchen, die das Fernsehen kontrollierten, zu den zentralen Akteuren in Jelzins Herrschaftssystem wurden. Im Jahr 1996 konnte Jelzin, der in den Umfragen eigentlich uneinholbar zurücklag, dank seines Pakts mit den Oligarchen die Wahl noch drehen.
In Merkel-Deutschland funktioniert die Manipulation zwar nicht ganz so gut, aber doch gut genug, um Merkel über Jahre hinweg eine nahezu unangefochtene Position zu verschaffen. Was Jelzins Pakt mit den Oligarchen war, ist Merkels implizites Einvernehmen mit der linken und öffentlich-rechtlichen Hauptstadtpresse, deren ideologische Agenda sie nach Kräften unterstützt, um im Gegenzug als souveräne, rational entscheidende Überkanzlerin inszeniert zu werden. Wem diese These zu steil klingt, dem sei geraten, doch einfach einmal in den Archiven der öffentlich-rechtlichen Sender nach wirklich kritischen Berichten über Merkel zu suchen. In den letzten vier, fünf Jahren dürfte sich nichts dergleichen finden.
Und nun ist es also Annalena, die Merkels Erbe antritt. Sie muss sich noch nicht einmal verbiegen, um die gewünschte ideologische Linie zu finden, und an den Bildern muss man gar nicht mehr viel machen. Während Merkel noch der ein oder andere Lapsus mit Schweißflecken und zerzauster Frisur unterlief, ist Poster-Girl Annalena wie geschaffen für die Kameras. Es ist die reinste Freude für ihre linke Fan-Base in Presse und Fernsehen. Dort schafft man es kaum noch, die eigene Begeisterung irgendwie zu unterdrücken und professionelle Distanz zu heucheln. Aber wozu auch, die Umfragen geben ihnen ja recht.