Thilo Spahl, Gastautor / 13.05.2020 / 14:30 / Foto: Pixabay / 9 / Seite ausdrucken

Umfrage: Wissenschaftler fürchten um Meinungsfreiheit

Die Ergebnisse einer Experten-Umfrage zeigen, dass die Behauptung vermessen ist, die Politik folge mit den Corona-Maßnahmen der Wissenschaft. 

Die Politik sagt, wir müssen auf die Wissenschaft hören. Das klingt vernünftig. Aber wie bekommt man heraus, was die Wissenschaft sagt? Nun, bekanntlich gibt es DIE Wissenschaft nicht. Wissenschaft ist eine Methode zum immer besseren Verstehen der Welt. Sie produziert permanent neue Erkenntnisse, aber keine Wahrheiten.

Tatsächlich gibt es aber zu einem bestimmten Zeitpunkt eine verbreitete wissenschaftliche Meinung, sozusagen eine Momentaufnahme, was Wissenschaftler eines gewissen Fachgebiets glauben. Es gibt Sachen, wo sie sich recht sicher sind, die sie also als Fakten betrachten. Es gibt Sachen, wo sie sich relativ einig sind. Es gibt aber auch Sachen, bei denen sie sich einig sind, dass sie es nicht so genau wissen. Oft überwiegen die letzteren.

Aktuelles Meinungsbild zur Corona-Krise

Wo Wissenschaft zur Legitimierung von konkreten politischen Maßnahmen dienen soll, ist es immer gefährlich, nur Einzelmeinungen zu hören. Wer sich auf einige wenige Berater stützt, sollte daher zusätzlich auch immer ein breiteres Meinungsbild einholen.

Wissenschaftler der Universitätsklinika Tübingen und Hamburg-Eppendorf haben genau das versucht. Sie haben mit Unterstützung der Gesellschaft für Virologie (GfV), der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) eine Umfrage gemacht, um zu erfahren, was Kollegen vom Fach zu den Corona-Maßnahmen meinen.

Es geht hier tatsächlich um Meinung. Die Befragten mussten nicht begründen, warum sie etwas glauben. Sie müssen keine Beweise erbringen. Aber man kann davon ausgehen, dass hinter ihrer Meinung eine ganze Menge Wissen steckt. Denn es wurden nur Experten auf den Gebieten der Virologie, Mikrobiologie, Hygiene, Tropenmedizin, Immunologie sowie der Inneren Medizin/Intensivmedizin befragt. 178 haben geantwortet. Und zwar anonym. Das ist wichtig. Es heißt, dass sie sich nicht sorgen mussten, dass ihre Meinung von anderen bewertet und vielleicht als falsch angesehen würde. Wir können also davon ausgehen, dass sie sagten, was sie denken.

Das waren die Ergebnisse:

  • Mehr als 70 Prozent befürworten die Abstandsregel von zwei Metern sowie das Verbot von Großveranstaltungen als potenzielle Maßnahme zur Kontrolle und Eindämmung von SARS-CoV-2.
     
  • Weniger als 5 Prozent sehen Kita- und Schulschließungen als wichtige Maßnahme an.
     
  • Harte wissenschaftliche Belege für die Schutzwirkung von Masken, ob professioneller Mund-Nasen-Schutz oder selbst hergestellte („Alltags-“)Atemmasken, sind den wenigsten Experten bekannt. Über 70 Prozent sehen hingegen Risiken durch falsche Handhabung der Masken.
     
  • Dennoch befürworten die meisten das Tragen der Masken, zum Beispiel im ÖPNV. (Der Leiter der Umfrage, der Virologe Professor Michael Schindler kommentierte das so: „Auch Wissenschaftler sind nur Menschen und scheinen bei einigen Themen eher ihrem Bauchgefühl zu vertrauen.“)
     
  • 62,9 Prozent sprechen sich dafür aus, das öffentliche und wirtschaftliche Leben wiederherzustellen, im Alltag jedoch weitestgehend Atemmasken zu nutzen.
     
  • 50,1 Prozent stimmen den von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen zu.
     
  • 82,6 Prozent vermissen eine ausgewogene Berichterstattung in den Medien. 62,9 Prozent sagen, es fehle konstruktive Fachdiskussion mit unterschiedlichen Positionen der Experten.
     
  • Ein Drittel aller Expertinnen und Experten sieht die freie Meinungsäußerung in der Wissenschaft als bedroht an.

Es gibt zwar eine (äußerste knappe) Mehrheit, die die Maßnahmen der Politik generell befürwortet. Für zentrale Maßnahmen, die Kita- und Schulschließungen, gibt es aber extrem wenig Rückhalt. Und selbst Maßnahmen, auf die man sich mehrheitlich einigt, werden teilweise aus einem Bauchgefühl heraus befürwortet, werden also von Wissenschaftlern empfohlen, können aber nicht als wissenschaftlich begründet bezeichnet werden.

Auffällig ist auch die große Unzufriedenheit mit den Medien. Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden. Da aber mehr Ausgewogenheit angemahnt wird, liegt nahe, dass hier eine Einseitigkeit der Berichterstattung bemängelt wird. Dazu passt auch die Sorge um die Meinungsfreiheit der Wissenschaft.

Politik und Wissenschaft

Kein Politiker folgt der Wissenschaft. Dafür ist Wissenschaft viel zu komplex und unübersichtlich, ein ständiger Wettbewerb von Ideen, eine ständige Abfolge von Behauptung und Widerlegung. Wenn die Politik behauptet, DER Wissenschaft zu folgen, dann karikiert sie Wissenschaft und missbraucht sie, um selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen.

Politiker sollten wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen, wenn sie Entscheidungen treffen. Sie müssen diese Entscheidungen aber kontinuierlich im Lichte der Wissenschaft prüfen. Niemals dürfen sie behaupten, DER Wissenschaft zu folgen. Stattdessen sollten sie stets genau jene wissenschaftlichen Erkenntnisse konkret benennen, von denen sie glauben, dass sie geeignet sind, ihre jeweiligen Entscheidungen zu untermauern. Es reicht nicht, ein paar ausgewählte Wissenschaftler zu präsentieren und darauf zu setzen, dass alle von deren Autorität beeindruckt sind. Wenn es große Unsicherheiten gibt, dann müssen sie diese Unsicherheiten benennen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Volker Kleinophorst / 13.05.2020

Wissenschaft ist heute stark vom Staat also von seinen Bürgen mitfinanziert. Ohne diese Drittmittel geht es gar nicht mehr. Da MUSS man liefern, was bestellt wird, sonst “ene mene muh und raus bist du”.

Frank-Michael Goldmann, Dänemark / 13.05.2020

“Fürchten um Meinungsfreiheit.”  Welche Meinungsfreiheit? Pfiat Euch!

Roland Stolla-Besta / 13.05.2020

Die Rassenlehre der Nazis gerierte sich auch als “Wissenschaft”, übrigens nicht nur in Deutschland. Ähnlich ist es mit dem Dschender-Schwachsinn. Kaum eine*r kann der Versuchung widerstehen, für wichtig genommen zu werden.

Volker Kleinophorst / 13.05.2020

Wissenschaft braucht eigentlich keine Meinungsfreiheit. Denn da geht es um Ergebnisse und nicht um Meinungen. Insofern spricht die Sorge von Wissenschaftlern, ihre Ergebnisse frei veröffentlichen zu können, eine deutliche Sprache über den Zustand unserer Gesellschaft unter der „Wissenschaftlerkanzlerin“.

A. Ostrovsky / 13.05.2020

Die Interpretation von Spekulaitionen und wüsten Computersimulationen als Wissenschaft und die dann gnadenlose und restriktive Unterdrückung echter Wissenschaft ist Programm. Es ist doch nicht das erste Mal. Es ist doch nicht nur ein Versehen sondern das folgt doch dem Klima-Wahn, der angeblich von 99,9% aller Wissenschaftlr unterstützt wurde. Also von allen Sozialpädagogen, Politikwissenschaftlern, Lehrern, Juristen und dem Unterhaltungswissenschaftler von der Astrofront, sowie handverlesenen mehr administrativ wirkenden Einzel-Origialen wie Schellnhuber und Kameraden. Das ist doch nur die zeitgemäße Variante der “einzigen wissenschaftlichen Weltanschauung, des Marxismus-Leninismus”. Als Merkel Agit-Prop-Sekretärin der Akademie der Wissenschaften der DDR war, herrschte doch das gleiche Klima. Alle fachlich hochkarätigen Wissenschaftler mussten sich die Banalitäten der Lenischen und Stalinschn Theorien zum Statt oder zur Nationalitätenfrage unterorden und hätten zukünftig als Friedhofsgärtner gearbeitet, wenn sie die Wissenschaftlichkeit dieser Theorien angezweifelt hätten. Mit der Bräsigkeit und höhnischen Arroganz der Macht wurde jeder, der nicht mit gesenktem Haupt vor Stalin gekniet hat, als Feindlich-Negative-Kraft oder als Feind des Sozialismus verunglimpft. Das ist der Sinn uns Inhalt von DDR2.0. Ich verstehe nicht, wie man erst Merkel immer wieder wählen konnte und nun Angst um die Meinungsfreiheit hat. Das war doch vor 15 Jahren schon klar, wie das läuft.

Bernhard Idler / 13.05.2020

Mein Verständnis ist begrenzt. Dieselben Wissenschaftler widersprechen nicht oder machen sogar mit, wenn “Wissenschaft” als ideologischer “Konsens” daherkommt und Abweichler als “Leugner” beschimpft werden. Selbst jetzt in der Pandemie gibt es im Deutschen Ärzteblatt jeder Wissenschaft hohnsprechende Klimarettungsparolen. Und dann wundern sie sich über einseitige Berichterstattung und bedrohte freie Meinungsäußerung, wenn es mal um eine echte Gefahr geht?

E Ekat / 13.05.2020

Guter Artikel, jedoch sind die Wissenschaftler nicht unschuldig. Zu:  “Wenn die Politik behauptet, DER Wissenschaft zu folgen, dann karikiert sie Wissenschaft und missbraucht sie, um selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen.” Mein Eindruck: Wissenschaftler lassen sich zu gerne mißbrauchen, sie drängen sich geradezu auf. Ich nenne die Etablierung der Feinstaub-Regelung, die Klima-Klamotte oder die Wirtschafts-wissenschaftliche Bewertung anläßlich der Einführung des Euro. Mit dem Zerfall unserer Gesellschaft geht ein Zerfall der Achtung vor der Wissenschaft einher. Wissenschaftler tragen dafür selbstverständlich die volle Verantwortung. 

Daniel Kirchner / 13.05.2020

Wir müssen alle Masken im Supermarkt tragen, aber die Anzahl derjenigen, die sich dort infizieren, dürfte sehr gering sein. Auch normalerweise halten die Menschen Abstand in den Märkten und längere Konversationen gibt es kaum. Herr Prof. Streek aus Köln sieht das ähnlich. Erkenntnisse könnte man über Befragungen von Corona-Patienten gewinnen oder über die Arbeitgeber im Einzelhandel, wobei letztere vielleicht etwas beschwichtigen könnten. Streek ist auch Opfer von Meinungseingrenzung.

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