Friedrich Merz hat sich einen soliden Ruf als Umfaller und Tiger, der regelmäßig als Bettvorleger endet, erarbeitet. Kurz vor den Wahlen ist es lohnend, einige Höhepunkte der Merz'schen Glanzstücke Revue passieren zu lassen.
Friedrich Merz wird von manchen Konservativen als Rettung Deutschlands gefeiert, andere sehen in ihm einen unverbesserlichen CDUler, der rechts blinkt, um dann doch wieder links abzubiegen. Tatsächlich hat sich der Kanzlerkandidat der Union mittlerweile einen soliden Ruf als Umfaller, als hauptamtlicher „Sich-von-sich-selber-Distanzierer“ und Tiger, der regelmäßig als Bettvorleger endet, erarbeitet. Kurz vor den Wahlen ist es lohnend, einige Höhepunkte der Merz'schen „Umfalleritis“ Revue passieren zu lassen. Achgut hat regelmäßig über derartige Glanzstücke des designierten Kanzlers berichtet. Stellvertretend möchte ich an dieser Stelle aus einem Beitrag von Claudio Casula vom 28.09.2023 zitieren:
„2022 sagt Friedrich Merz seine Teilnahme an einer Veranstaltung mit dem US-Senator Lindsey Graham in der Baden-Württembergischen Landesvertretung zunächst zu. Außer Graham nehmen aber unter anderem auch Henryk M. Broder und Joachim Steinhöfel an der Veranstaltung teil. Shitstorm. Einknicken. Merz sagt wieder ab. (…)
(Später schließt) er eine Zusammenarbeit seiner Partei mit der AfD auf Landes- oder Bundesebene zwar aus (…), (hält) auf lokaler Ebene Kontakte jedoch für möglich (wie es ja auch längst Praxis ist, nicht nur bei der CDU). Das ist zu viel des Pragmatismus. Shitstorm. Einknicken. ‚Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.‘ Die Brandmauer darf keine Risse bekommen, hier wird noch immer scharf geschossen, und Merz wäre nicht Merz, würde er sich nicht sogleich wegducken.“
„Sozialtourismus“ und „kleine Paschas“
Ähnlich biegsam zeigte sich Merz im Herbst 2022, als er einigen ukrainischen Flüchtlingen „Sozialtourismus“ vorgeworfen hatte, da diese zwischen ihrer Heimat und Deutschland hin und her pendelten. Kaum kam der erwartbare mediale Aufschrei, entschuldigte sich Merz und nahm seine Aussage zurück. „Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung“, postete er damals auf Twitter. Sein Hinweis habe laut Merz „ausschließlich der mangelnden Registrierung der Flüchtlinge (gegolten). Mir lag und liegt es fern, die Flüchtlinge aus der Ukraine, die mit einem harten Schicksal konfrontiert sind, zu kritisieren.“
„Es ist das Muster Merz. Provozieren, Grenzen verschieben, zurückrudern“, schloss Ende 2023 zdf.de messerscharf. „Halbiert man so die AfD?“, überlegt das ZDF weiter. Selbst in der CDU frage man sich, ob das eine erfolgversprechende Strategie sein könne. Natürlich unterstellt der öffentlich-rechtliche Sender hier, dass Merz es mit der Redefreiheit ziemlich übertreibe – und nicht etwa regelmäßig mangelndes Rückgrat beweist. Möglicherweise konnte der Union-Kanzlerkandidat von seinen feigen Rückziehern etwas ablenken, als er angesichts zweier „gewagter“ Aussagen einmal nicht den Schwanz einzog:
Nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht 2022/2023 beschrieb Merz die Täter mit größtenteils orientalischem Hintergrund als „kleine Paschas“. Und blieb nach der erwartbaren Kritik überraschend standhaft. Im September 2023 äußerte Merz beim Fernsehsender der WELT in Bezug auf abgelehnte Asylbewerber: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ Auch hier verteidigte er in der Folge seine Aussage.
„Wer einen Kurswechsel möchte, muss für die Union stimmen.“
Halbherzig und unentschlossen präsentierte er sich hingegen angesichts des Trump-Siegs im letzten Herbst. So hatte er noch Ende Oktober 2024 vor einem Sieg des polarisierenden Kandidaten der Republikaner gewarnt: „Was folgt denn daraus, wenn in Amerika ein Präsident zum zweiten Mal gewählt wird, der die Nato für obsolet erklärt, der nicht mehr bereit ist, Sicherheitsversprechen einzulösen?“, so Merz damals beim Deutschlandtag der Jungen Union in Halle. „Dann sind wir auf uns selbst gestellt. Damit meine ich nicht nur wir Deutschen, sondern dann sind es wir Europäer.“
Kaum hatte Trump am 5. November die Wahl gewonnen, gratulierte Merz ihm artig auf X und bezeichnete die USA als „wichtigsten Verbündeten Deutschlands außerhalb Europas“. Es liege nun „insbesondere auch in der Hand von uns Deutschen und Europäern, die Beziehungen zu unserem wichtigsten Verbündeten zu gestalten“. Sehr befremdlich wirkt an dieser Stelle, dass Merz die „lange demokratische Tradition“ der Amerikaner hervorhob: „Die freie Wahl einer Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk.“
Das verträgt sich natürlich überhaupt nicht mit der gebetsmühlenartig gepredigten Brandmauer des CDU-Vorsitzenden. Denn die Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der AfD dürfte jede echte konservative Politik schon im Vorhinein untergraben. Merz' Team zitierte ihn, basierend auf seinen Äußerungen beim Deutschlandtag der Jungen Union, am 26. Oktober 2024 auf Twitter mit: „Es gibt in Deutschland keine linke Mehrheit mehr, sondern eine theoretische Mehrheit rechts der Mitte. Aber wir sagen ganz klar: Mit der AfD werden wir nicht zusammenarbeiten. Wer einen Kurswechsel möchte, muss für CDU und CSU stimmen.“
Viel Merz um nichts
Demokratie ohne Mehrheit? Eine absolut unlogische Argumentation, aber für Friedrich Merz ganz normal. Da half auch seine Wahlkampfoffensive Ende Januar um den Antrag, der mit AfD-Stimmen durch den Bundestag kam sowie sein gescheitertes „Zustrombegrenzungsgesetz“ nichts. Am 7. Februar schrieben wir im Achgut-Newsletter:
„Das ‚Zustrombegrenzungsgesetz‘ der CDU/CSU sollte im vergangenen Herbst zur Abstimmung in den Bundestag gebracht werden. Die Union verhinderte dies jedoch selbst, um ‚Zufallsmehrheiten‘ mit der AfD aus dem Weg zu gehen. Stattdessen schlug Merz den Grünen und der SPD vor, nur Entscheidungen auf die Tagesordnung zu setzen, bei denen man sich vorher ‚in der Sache geeinigt‘ habe. (…) Am vergangenen Mittwoch lieferte er eine Kostprobe für den Wegfall der ‚Brandmauer‘: Ein CDU-Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik passierte mit AfD-Stimmen den Bundestag. Allerdings handelte es sich lediglich um eine Absichtserklärung ohne rechtliche Bindung. (…) Friedrich Merz bedauerte ‚gehorsamst‘ das Zustandekommen der Mehrheit mit AfD-Stimmen und wurde dafür wahlweise ausgelacht oder ausgebuht.“
Als am 31. Januar 2025 über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ im Bundestag abgestimmt wurde, erfreute es sich vor allem bei der AfD großer Beliebtheit, auch die Mehrheit vom BSW votierte dafür. Obwohl Union und FDP ebenfalls mehrheitlich dafür stimmten, besiegelten deren Abweichler beziehungsweise der Abstimmung Ferngebliebenen das Scheitern dieses Gesetzes.
„Auf absehbare Zeit die Hauptgegner in dieser Bundesregierung“
Sich selbst übertroffen hat der CDU-Kanzlerkandidat allerdings bei seinem nunmehr schon jahrelang währenden Eiertanz um die Frage einer Unions-Koalition mit den Grünen. Im Folgenden gebe ich diese chronique scandaleuse in all ihren dramatischen Facetten wider:
Im Mai 2021, vor seiner Wiederwahl zum Abgeordneten beziehungsweise seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden, bezeichnete er die damalige schwarz-grüne Koalition in Baden-Württemberg als „keine Vorlage“ für eine Regierung im Bund. „Bei den Grünen würden Abgeordnete in den Bundestag einziehen, die nicht bereit seien, das Wort Deutschland in den Mund zu nehmen. Die Grünen hätten ein massives Problem in klarer Abgrenzung nach links und hin zum Linksextremismus. Bei den Diskussionen in der grünen Partei werde ihm Angst und Bange“, so zitierte ihn damals die Zeit.
Im März 2023 – mittlerweile als CDU-Chef und Union-Fraktionsvorsitzender – berichtete die „Junge Freiheit“, dass Friedrich Merz „bei einer Mitgliederversammlung mit rund 1000 Teilnehmern am Wochenende in Münster ausdrücklich die Grünen und die Kooperation mit der von Ricarda Lang und Omid Nouripour geführten Regierungspartei gelobt“ habe. Dies könne man „als Anbahnung für ein schwarz-grünes Bündnis nach der nächsten Bundestagswahl“ werten.
Im Juni desselben Jahres berichtete Josef Kraus bei Tichys Einblick, „in welchem Maße Merz irrlichtert, ja sich gar zunehmend selbst filetiert“. Zunächst hatte Merz den CDU-Abgeordneten Klaus-Peter Willsch in einer Sitzung kritisiert, als dieser die Grünen als „vaterlandslose Gesellen“ bezeichnet hatte. Als wenige Tage später im thüringischen Landkreis Sonneberg der AfD-Politiker Robert Sesselmann zum Landrat gewählt wurde, vollführte Merz eine 180-Grad-Wende: Er gab den Grünen die Schuld und befand, diese seien „auf absehbare Zeit die Hauptgegner in dieser Bundesregierung“.
Keine Absage an eine Koalition mit den Grünen
Anfang September 2023 titelte das Handelsblatt, dass Friedrich Merz eine Koalition mit den Grünen ablehne. „Diese Grünen können keine Koalitionspartner für die Union sein, wenn sie die Realität so verweigern, wie sie das auch und insbesondere in der Einwanderungspolitik und der Inneren Sicherheit in diesem Land tun“, sagte der CDU-Chef damals.
Wenig später, Ende Oktober desselben Jahres, relativierte Merz diese Aussage bereits ein wenig, wie zdf.de berichtete: Beim Treffen der Jungen Union in Braunschweig betonte er in Richtung Grüne: „Diesen Weg der sogenannten Transformation (...) mit ständiger Regulierung, mit Gängelung, mit Verboten, mit einer überbordenden Bürokratie und Gesetzgebung, diesen Weg gehen wir nicht mit.“ Aber: Es gebe keine grundsätzliche Absage von ihm an eine mögliche Zusammenarbeit mit den Grünen, denn die Parteien der politischen Mitte in Deutschland müssten koalitionsfähig bleiben.
Im Februar 2024 wollte Merz eine Koalition mit den Grünen nicht ausschließen – zum scheinbaren Schrecken einiger Parteikollegen. Der MDR interpretierte diese Äußerung des designierten nächsten Kanzlers als pragmatisches Zugeständnis an die Realität. Wenn die FDP schwächelt, muss halt mit jemand anders koaliert werden, nur nicht mit der AfD. Außerdem arbeitete die CDU zum damaligen Zeitpunkt bereits in fünf Bundesländern mit den Grünen zusammen.
Im September 2024 dann eine weitere 180-Grad-Wende Merz‘, als er verkündete, dass eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene „aus heutiger Sicht“ nicht gehe. Natürlich vergaß er nicht zu erwähnen: „Wenn es sich in den nächsten zwölf Monaten anders entwickelt, können wir schauen.“ Damals waren die vorgezogenen Neuwahlen noch nicht in Sicht.
Dann scheint ja Schwarz-Grün nichts mehr im Wege zu stehen
Nach dem Platzen der Ampel und mit der Gewissheit, mutmaßlich das beste Ergebnis einzufahren, sah Friedrich Merz Anfang Dezember plötzlich wieder Gemeinsamkeiten mit den Grünen. Auf die Frage, ob er nach einer erfolgreichen Wahl besser mit SPD oder Grünen zusammenarbeiten könnte, sagte er: „In der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es sicher mit den Grünen mehr Gemeinsamkeiten als mit der SPD.“ In Sachen Wirtschaftspolitik bräuchte es bei den Grünen allerdings „einen grundlegenden Kurswechsel“. Tatsächlich? Wenige Tage später schloss er bei Maischberger nicht aus, dass Robert Habeck Wirtschaftsminister bleibt: „Entscheidend sei, ‚was wir in einem möglichen Koalitionsvertrag aufschreiben. Und da brauchen wir gerade in der Wirtschaftspolitik einen Politikwechsel in Deutschland‘, sagte der Kanzlerkandidat der Union. ‚Mit Habeck oder ohne – das muss Habeck entscheiden, wenn er noch dabei ist‘, sagte Merz.“
Eine weitere Pirouette drehte er vor ein paar Tagen im Wahlkampfendspurt: Nun schloss der CDU-Vorsitzende einen Wirtschaftsminister Habeck aus, der in dieser Funktion „gescheitert“ sei. Dann schien er jedoch mit dem Hinweis, das Wirtschafts- vom Klima-Ministerium trennen zu wollen, einen möglichen Klima-Minister Habeck in den Raum zu stellen. Sowohl an der SPD als auch an den Grünen als möglichen Koalitionspartnern hielt er fest.
Auch im „Quadrell“ von RTL und ntv mit den vier Kanzlerkandidaten am vergangenen Sonntagabend bereitete Merz „seine Wähler auf Verhandlungen mit der SPD und den Grünen vor“, wie die FAZ schrieb. „Beide hätten verstanden, ‚dass sie so nicht weitermachen können‘.“ Bezogen auf die frühere Äußerung Söders, eine Koalition mit den Grünen auszuschließen, entgegnete Merz: ,,Herr Söder schreibt mir gar nichts vor.“ „In der Bewertung der Sachfragen“ sei man sich völlig einig. Dann scheint ja Schwarz-Grün nichts mehr im Wege zu stehen, oder?
Was zeigt das Merz’sche Sich-Drehen und Wenden, Wiegen und Ausweichen, Festlegen und Relativieren, Vorpreschen und Wieder-Zurückziehen? Politik ist ein Spiel und ein Ringen um Macht. Mehrheiten werden um jeden Preis gesucht, Inhalte gerne verraten. Politiker leben von vollmundigen Ankündigungen, öffentlichkeitswirksamen Schlagzeilen und dem kurzen Gedächtnis des Volkes. Mit diesen einfachen, aber wirksamen Zutaten scheint auch Friedrich Merz das Rennen zu machen. Wird er nach Merkel ein weiterer grüner Kanzler mit Union-Parteibuch?
Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.