Alles hat bekanntlich zwei Seiten. Wäre es nicht ein Wunder, wenn man der Coronazeit nicht auch Gutes abgewönne? Man kennt die Phrasen: Wir denken jetzt erst über vieles nach, was in der Zeit des tötenden Kapitalismus, der immer mehr und immer höher und immer schneller auf seine Fahne geschrieben hat, aus dem Blick geraten ist. Aber da gibt es auch Gefahren, auf die nur Feminist:/*Innen hinweisen.
Angesagt ist: Zur Ruhe kommen, endlich einmal sich auf sich selbst besinnen können, wieder mal ein Buch lesen, Musik hören, die Natur schätzen lernen… Die Neue Zürcher Zeitung erwartet im Morgenbriefing vom 21. Dezember sogar Gutes von Corona für die Europäische Union und legt nahe, dass sie zum „Katalysator für ein neues, eigenständigeres europäisches Selbstbewusstsein“ werden könnte.
Jakob Strobel y Serra, Chefgourmet bei der FAZ, addiert eine weitere Hoffnung, verursacht durch Corona: ein erwachender Sinn für gesundes, gutes Essen zu Hause, die „gemeinsame Mahlzeit am heimischen Tisch“. Und weil seine Leser, allesamt Genießer, nicht zu den Geringverdienern zählen, setzt er noch Moral drauf: Corona sorge für ein einsetzendes „Nachdenken über vernünftige Ernährung“, für das Aus des „Irrglauben(s)“, es gäbe ein „Menschenrecht auf unser täglich Industriebilligfleisch“.
Die Gefahr von „rechts“
Alles schön und gut. Doch darf dies kein Anlass sein, kein waches Auge auf gefährliche gesellschaftliche Folgen zu richten. Nein, nicht etwa die von Pessimisten angemahnte Zunahme an Einsamkeit, Depressionen und Suiziden, ausgelöst von der schimmelfarbenen Decke, die sich immer dichter wie Dauernebel über den Alltag gelegt hat. Es geht um Gefährlicheres: den Rückfall in die Vergangenheit der spießigen Familie.
Als nicht zu überschätzender Kollateralschaden der Epidemie für unsere Gesellschaft im Zuge des Lockdowns droht das Wiedererwachen eines verstaubten, reaktionären Familienbildes, dessen verkrustete, Frauen diskriminierende Rollenzuweisungen längst im Mülleimer der Geschichte entsorgt waren. Könnte dieses Szenario womöglich Wirklichkeit werden?
Aus der „Hochschule“ Fulda kommt eine neue, wahrscheinlich aber nicht die letzte Idee zu Corona. Ja, Corona, auch wenn man den Horrorbegriff schon nicht mehr hören mag, birgt die erschreckende Gefahr, dass wir in eine Zeit zurückfallen, die reaktionär, wenn nicht sogar „nazi“ war.
Flashback: Es ist die Zeit, als anno dunnemals die Frau und Mutter am Herd stand und für die Familie gekocht hat. Der männliche Boss der Familie ließ sich bedienen, wie auch die Kinder, und nach dem Essen zogen sich alle zurück, während das Heimchen am Herd abspülte. Das Wort Emanzipation stand damals vielleicht in einer Ausgabe des Duden, in der Wirklichkeit hatte es keine Bedeutung. Die Familie minus Mutter war der Tyrann, die Mutter der Sklave, sorry, die Sklavin.
High Noon für den Feminismus
Von den Wärtern gesellschaftlichen Fortschritts hören wir, es sei fünf vor zwölf, es müsse verhindert werden, im Rahmen des Corona-Lockdowns auf die traditionelle Familie zurückzufallen und damit verbundene spießige Rollenbilder auferstehen zu lassen.
Damit dies nicht passiert, bewahrt uns die Ernährungs-Soziologin Prof. Jana Rückert-John von der Hochschule Fulda davor, falsche Haltungen zu akzeptieren oder sogar zu verinnerlichen.
Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, hat ergeben, dass circa 30 Prozent der Deutschen wegen Corona jetzt häufiger gemeinsam Mahlzeiten einnehmen, und etwa 20 Prozent häufiger gemeinsam kochen. Klöckner sieht darin eine „gute Entwicklung“.
Der Dissens lässt nicht lange auf sich warten. Jana Rückert-John hält nicht hinterm Berg, was sie von dieser Meinung hält. Im linken Publikationsforum „Kursbuch“ hatte sie schon mal vor Fleischkonsum gewarnt. Der sei nämlich eine „Gefahr für die Zukunft“. Jetzt veröffentlichte sie eine Schrift zum Thema „Über das Essen in Coronazeiten“. Dort, so lässt uns Strobel y Serra wissen, macht sie ihren feministischen Ängsten Luft. Die „gute Entwicklung“ á la Klöckner bedeute ein Zurückgreifen auf ein „ideologisiertes Bild“ von Familie: „Die Mutter steht wieder am Herd und kümmert sich auch noch um den Abwasch, während sich der Herr des Hauses bestenfalls als Grill-Guru gefällt.“
Dies sei eine „Retraditionalisierung“ der Familie und der damit verbundenen „Geschlechterrollen“. Grund genug für die Fachfrau in Ernährung, sich davor zu „grausen“.
Wissenschaft über den Wolken
Ich frage ganz simpel: Hat die Soziologin Jana Rückert-John lebensgesättigte Erfahrung – jenseits des Schreibtisches – mit Kindern am Herd gemacht? Hat sie schon mal gesehen, welche Freude es (Entschuldigung!) vor allem Mädchen macht, „Mama“ oder „Oma“ dabei zu helfen, gemeinsam zu kochen? Oder, zu Weihnachten, Plätzchen zu backen?
Ich habe keinen Eintrag gefunden, ob und wie viele Kinder die Professorin hat. Man kann vermuten, dass ihr die Wissenschaft keine Zeit zum Kinderkriegen außerhalb eines einzigen Prototyps ließ und lässt, ihre Zeit großzügig an Nachwuchs, ob Kinder oder Enkel, in der Küche zu „verschwenden“.
Beinahe vergessen. Meine Mutter hatte soviel Freude daran, zu sehen, wie uns schmeckte, was sie auf den Tisch brachte. Sie kochte Glück. Und wenn es an den Abwasch ging (weil wir keine Spülmaschine hatten), bestand sie darauf, dies alleine zu machen, weil sie es „besser konnte“. Und sie war glücklich dabei.
Was für ein Dummerchen meine Mutter war! Sie war das typische „Opfer“ des politisch verpönten Rollenbildes, das „Heimchen am Herd“. Dass ihr die Opferrolle dieser Diskriminierung nicht bewusst wurde, lag wohl an ihrem beschränkten Verstand. Und daran, dass sie von lebenserleuchtenden Erkenntnissen, wie sie uns die ideologiefreie Wissenschaft „Küchen-Soziologie“ vermittelt, keine Ahnung hatte.