Hannes Stein / 02.04.2007 / 10:58 / 0 / Seite ausdrucken

Um eine koreanische Invasion von innen bittend

Endlich! Meine Enzyklopädie der Alltagsqualen wird in eine Weltsprache übersetzt: ins Koreanische—wie übrigens schon der Vorgänger, Endlich Nichtdenker.

Der koreanische Verlag bat mich, ein Vorwort zu schreiben. Damit das nicht nur mein wachsender asiatischer Fanclub lesen kann, sei es hier dokumentiert:

Vorwort für die koreanische Ausgabe meiner „Enzyklopädie der Alltagsqualen“

Als zum ersten Mal ein Buch von mir auf koreanisch erschien („Endlich Nichtdenker!“), war ich schon misstrauisch. Endgültig wurde mein Verdacht aber geweckt, als jetzt auch noch ein zweites Buch von mir ins Koreanische übersetzt wurde: die „Enzyklopädie der Alltagsqualen“, die Sie in den Händen halten. Denn in der Zwischenzeit hatte ich Ihr wunderschönes Land bereist. Ich hatte mir meinen Europäerbauch mit Kimchi und Bulgogi und phantastischen Mengen Knoblauch vollgeschlagen, war durch die Straßen von Seoul geschlendert, hatte mir DVDs mit Filmen von Kim Ki-Duk gekauft, mich dem Lieblingssport Asiens hingegeben: dem Austausch von Visitenkarten – sogar in die hochprozentigen Mysterien des „bomb drinks“ war ich von Freunden eingeweiht worden. (Ich wache heute noch mit Kopfschmerzen auf.) Ja, und ich war mit Aufzügen in die oberen Etagen verschiedener Firmenhochhäuser geflitzt und hatte mir dort immer wieder das Gleiche vorführen lassen: In einem bescheidenen Ausstellungsraum wurde gezeigt, was die Firma früher hergestellt hatte. Es waren Gegenstände, wie wir sie auch in Europa in den fünfziger Jahren in Gebrauch hatten – Waschmittel oder altmodische Radios oder Schwarzweißfernseher. Dann aber öffneten sich die Türen zu einer glitzernden Halle, und ich fand mich jedes Mal im Science-fiction-Land wieder: Die meisten koreanischen Firmen stellen heute Dinge her, für die wir in Europa noch nicht einmal Namen haben. (Händies, mit denen man den Blutzucker messen kann. Kleiderschränke, die einem sagen, welche Bluse zu den Bluejeans passt. Armbanduhren, deren Zweck offenbar die intergalaktische Kommunikation ist.)
Seit ich all dies gesehen habe, ist mir natürlich klar, warum meine Bücher ins Koreanische übersetzt werden: Ihr Koreaner plant, Europa zu übernehmen. Und wie alle ordentlichen Invasoren bereitet Ihr Euch planmäßig auf diese Aufgabe vor. Methodisch bringt Ihr erst einmal so viel wie möglich über den Kontinent, den Ihr beherrschen wollt, in Erfahrung. Voilà, Ihr seid rettungslos durchschaut!
Doch keine Sorge, meine lieben koreanischen Leser. Bei mir ist Ihr kleines Geheimnis sicher, ich werde schweigen wie ein Friseur. Wissen Sie auch, warum? Weil ich fest glaube: Von der Republik Korea kolonisiert zu werden, ist eigentlich das Beste, was Europa passieren kann. Jedenfalls ist es besser, als sich zwischen den rauchenden Trümmern des Wohlfahrtsstaates in einem Bürgerkrieg zwischen irren bärtiogen Islamisten und dumpfen kahlgeschorenen Nazis wiederzufinden (Europas Zukunft circa nach dem Jahr 2035). Seid uns also von Herzen willkommen, liebe, bewundernswerte Südkoreaner! Ich werde am Straßenrand stehen und euch Rosen auf den Weg streuen, wenn Ihr endlich einmarschiert. Solltet Ihr aber planen, uns still, heimlich und diskret zu unterwandern, werde ich Euch wenigstens im Geiste mit Kusshänden bedenken. Nie in der Geschichte der Menschheit ist eine Invasion willkommener gewesen.
Was Deutschland betrifft, kann dieses Buch Euch bei der Vorbereitung Eurer militärischen Kampagne unschätzbare Dienste leisten. Dabei ist ganz egal, ob Ihr nun auf Laserkanonenpanzern von Hyundai einreitet oder ob Ihr uns mit Telepathenflachbildschirmen von LG einer subtilen Gedankenkontrolle unterwerft.
In diesem Buch sind sämtliche Ärgernisse des Alltags aufgelistet – Dinge, die einen vom Aufstehen bis zum abendlichen Zähneputzen zur Weißglut treiben können. Zwischen die Einträge dieser Enzyklopädie habe ich mit leichter Hand fünf Essays gestreut, in denen immer wieder ein schrecklich unanständiges Wort vorkommt, das Wörtchen „ich“ – es handelt sich also um sehr subjektive Versuche, in denen die fünf Grundfarben der menschlichen Existenz abgehandelt werden: Hass, Rache, Glück, Neid und Liebe. Erst jetzt beim Durchblättern wird mir bewusst, was für ein deutsches Buch ich da aus Versehen geschrieben habe. Nehmen wir nur den Eintrag über den Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der in Südkorea, wie ich erstaunt zur Kenntnis nehmen musste, als Experte für die Wiedervereinigung gilt; bei uns in Deutschland ist er eher deswegen berühmt, weil er dagegen war. Wie auch immer: Als ich diesen Eintrag schrieb, war noch nicht bekannt, dass dieser schnauzbärtige Moralprediger und Friedensapostel im Zweiten Weltkrieg bei der Waffen-SS war. Weil wir gerade beim Thema sind: Bitte lesen Sie unbedingt – auch wenn Sie sonst nichts anderes lesen – den Eintrag über „Hitler“. Ich hoffe zuversichtlich, dass Sie nach Ihrer Invasion die ungezählten Hitler-Dokumentationen, die in Deutschland über die Mattscheiben flimmern, ausnahmslos durch Filme von Kim Ki-Duk ersetzen. Danke, dreimal Danke!
Neben Einträgen, die sich speziell mit der deutschen Situation befassen, werden sie in dieser Enzyklopädie freilich auch Beschreibungen von Alltagsqualen finden, die es überall auf der Welt gibt. Beispiele: Das mit den Männern und den Frauen ist in jedem Land kompliziert. Gefühle wirken in jeder Kultur und an jedem Ort ungeheuer störend. Flughäfen sind in Seoul genauso labyrinthisch und hässlich wie in London oder Moskau. Aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass sich auch in diesen allgemeingültigen Einträgen häufig Anspielungen auf Deutschland verbergen. Etwa: die vier Jahreszeiten. Eigentlich sollte man meinen, dass Frühling, Sommer, Herbst und Winter auf der koreanischen Halbinsel eine ebenso nervtötende Angelegenheit sind wie in Europa, aber weit gefehlt! In Deutschland wirken sie sich deutlich verheerender aus. „Am schlimmsten ist der Winter in Berlin“, heißt es in meinem Text (und ich übertreibe kein kleines bisschen). „Denn hier geben sich alle Scheußlichkeiten des Planeten ein Stelldichein: Der Winter ist also sowohl nass als auch eisig, schmutzig nicht weniger als hart, von Schnee und Regen gleichermaßen geprägt. Vor allem aber ist er dunkel.“ Außerdem kann es einem nur in Deutschland passieren, dass man vom Herbst an Gedichte des Kitschkunstriesen Rainer Maria Rilke erinnert wird. Ich baue fest darauf, dass Ihr Südkoreaner nach Eurem Einmarsch mit solchen Missständen aufräumen werdet.
Diese Enzyklopädie handelt von den Qualen des Alltags – trotzdem will sie keine schlechte Laune verbreiten. Im Gegenteil: Hat man sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt, dass der Mensch nicht für das Glück gemacht ist, kann man sich über die 1001 Plagen, die das Leben für uns Sterbliche bereit hält, königlich amüsieren. „Wenn dir etwas Schlechtes zustößt“, sagte mir einmal ein weiser Freund, „dann denke einfach daran, was für ein Vergnügen es dir bereiten wird, später davon zu erzählen.“
Vor allem aber stimmt mich die Aussicht beschwingt, dass Ihr Südkoreaner bald unser müdes, marodes Europa übernehmen werdet. Bitte nicht trödeln: Ich erwarte Euch mit großer Sehnsucht.

Hannes Stein
Berlin, im April 2007  

 

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