Die Friedensdiplomatie zur Ukraine steht an einem kritischen Punkt. Während Donald Trump Optimismus verbreitet, vermuten die Europäer eine russische Finte. Doch wie ernst meint es der Kreml mit der Verhandlungsbereitschaft?
Wie schnell Scheinverhandlungen in eine Katastrophe münden können, zeigt die Julikrise von 1914. Drei Wochen nach dem Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand stellte Österreich-Ungarn Serbien ein Ultimatum – mit Forderungen, die eine Ablehnung unausweichlich machten. So sollte Belgrad Ermittlern der Doppelmonarchie gestatten, auf serbischem Boden zu agieren. Wien wollte den Anschein wahren, keine Eskalation zu suchen – tatsächlich ging es darum, Serbien zu demütigen und mit einem schnellen Militärschlag in die Schranken zu weisen.
Auch Wladimir Putin steht im Verdacht, die Verhandlungen nicht ernsthaft zu führen, sondern sie als taktisches Mittel zu nutzen – sei es, um Zeit zu gewinnen oder Kiew politisch unter Druck zu setzen. Doch trifft das zu? Und warum wertet Washington die russische Reaktion dennoch als außenpolitischen Erfolg?
Antworten liefert eine Pressekonferenz im Kreml am 13. März mit Alexander Lukaschenko. Dort erklärte Putin zur in Riad vereinbarten 30-tägigen Waffenruhe: „Wir stimmen den Vorschlägen zur Einstellung der Kampfhandlungen zu. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass diese Einstellung langfristigen Frieden schaffen und die ursprünglichen Ursachen der Krise beseitigen muss.“ Seine Zustimmung war also an Bedingungen geknüpft – ein Zeichen für Kalkül, nicht zwangsläufig für Unaufrichtigkeit.
Putin bewertete die Lage offen: „Das amerikanisch-ukrainische Treffen in Saudi-Arabien mag äußerlich wie eine unter US-Druck getroffene Entscheidung der Ukraine wirken. Tatsächlich bin ich jedoch überzeugt, dass Kiew selbst die Amerikaner nachdrücklich darum bitten musste.“
Er spielte damit auf die Lage in der Region Kursk an. Nach siebeneinhalb Monaten erbitterter Kämpfe steht die russische Armee dort kurz vor dem Sieg – zu einem hohen Preis. Laut dem ukrainischen Generalstabschef Syrskyj verlor Moskau 48.000 Soldaten, darunter 20.000 Gefallene. Der Kreml widerspricht: Demnach habe die Ukraine 67.630 Mann sowie 3.939 Panzer und 2.437 Fahrzeuge verloren.
Sieg beruht auf numerischer und materieller Überlegenheit
Zwar lassen sich diese Angaben nicht verifizieren, doch eines steht fest: Kiews Operation auf russischem Boden hat den Kreml sowohl politisch als auch militärisch herausgefordert. Russlands absehbarer Sieg beruht auf numerischer und materieller Überlegenheit. Kiews Kalkül, die Region dauerhaft zu halten, scheiterte. Der massive Drohnenbeschuss Moskaus vor einer Woche dürfte als Reaktion auf das Scheitern der Kursk-Operation zu werten sein – eine Offensive, die eigentlich als Verhandlungsfaustpfand dienen sollte.
Mittlerweile kontrolliert die Ukraine in der Region nur noch vier Dörfer. Putins Aussagen zur Lage dort sorgen allerdings für Verwirrung: Er behauptet, die ukrainischen Einheiten seien vollständig eingeschlossen. „Die Gruppierung, die in unser Territorium eingedrungen ist, befindet sich in vollständiger Isolation. Es handelt sich um eine Einkesselung unter unserer umfassenden Feuerkontrolle“, betonte er.
Der Kreml knüpft das Schicksal dieser Soldaten nun an eine klare Bedingung: Kapitulation oder Vernichtung. Zudem ließ Putin aufhorchen, indem er alle in der Oblast Kursk eingesetzten ukrainischen Soldaten pauschal als Terroristen einstufte. Ein Signal für eine weitere Eskalation? Oder nur ein weiteres taktisches Manöver im Verhandlungspoker?
Diese Position bekräftigte der russische Präsident bereits am Vortag in Kursk – in Militärkleidung, flankiert von Generalstabschef Gerassimow und hochrangigen Offizieren. Die Inszenierung war eine Machtdemonstration des Kremls nach den Verhandlungen in Riad. Indem sich Putin bei einer militärischen Lagebesprechung präsentierte, signalisierte er, dass eine Fortsetzung der Kämpfe für Russland nicht nur realistisch, sondern möglicherweise sogar bevorzugt ist.
Gleichzeitig sollte der Besuch der Öffentlichkeit demonstrieren, dass die Region wieder unter russischer Kontrolle steht – ein Ziel von persönlicher Bedeutung für Putin. Seit 1945 hatte keine fremde Armee mehr russisches Staatsgebiet betreten. Der Bruch dieser Traditionslinie wird untrennbar mit seinem Vermächtnis verbunden bleiben.
Soldaten als Terroristen?
Während dies vor allem symbolische Bedeutung hat, offenbart die Einstufung ukrainischer Soldaten als Terroristen eine fragwürdige Rechtsauffassung. Gegen sie laufen bereits Ermittlungen der russischen Generalstaatsanwaltschaft – ein klarer Bruch des Völkerrechts. Dass Putin sich dabei auf die Genfer Konvention beruft, wirkt paradox.
Die dritte Fassung der Konvention von 1949 bezieht sich auf Partisanen und Aufständische, denen der Kriegsgefangenenstatus nur unter bestimmten Bedingungen zugebilligt wird: Sie müssen einer verantwortlichen Führung unterstehen, ein festes Abzeichen tragen, ihre Waffen offen führen und die Kriegsgesetze einhalten. Erst wenn diese Kriterien nicht erfüllt sind, können sie als illegale Kombattanten behandelt und strafrechtlich verfolgt werden.
Diese Voraussetzungen treffen auf die ukrainischen Soldaten nicht zu. Sie führten eine reguläre Militäroperation im Rahmen eines Krieges durch und begingen, anders als von Putin behauptet, keine systematischen Verbrechen an Zivilisten. Nur im August 2024 kamen sie überhaupt mit der Zivilbevölkerung in Kontakt, bevor die Regionalverwaltung eine Evakuierung durchführte. Folgte man Putins Logik, müsste auch jeder russische Soldat in der Ukraine als Terrorist gelten.
Putins Verweis auf internationales Vertragswerk wirkt fadenscheinig, da der russische Einmarsch am 24. Februar 2022 ohne vorherige Kriegserklärung erfolgte – ein klarer Verstoß gegen die III. Haager Konvention von 1907, die Feindseligkeiten erst nach einer formellen Erklärung oder einem Ultimatum erlaubt. Russland hat das Abkommen unterzeichnet und ratifiziert. Dass Moskau trotzdem eine solche Drohkulisse aufbaut, könnte daran liegen, dass es ukrainische Gefangene als Verhandlungspfand einsetzen will.
Hat das Rohstoffabkommen den Kreml überrascht?
Im Zuge seiner Bewertung der in Riad erzielten Vereinbarung lenkte Putin den Fokus auf die Umsetzung des Waffenstillstands und stellte skeptische Fragen: „Soll die Zwangsmobilisierung in der Ukraine weitergehen? Sollen Waffenlieferungen erfolgen? Soll die Ausbildung neu mobilisierter Einheiten fortgesetzt werden? Oder wird all das unterbunden?“ Solange diese Aspekte ungeklärt blieben, sei der Waffenstillstand riskant.
Aus militärischer Perspektive ist diese Haltung nachvollziehbar: Ein geschwächter Gegner wird in der Regel nicht geschont, da dies die eigenen Anstrengungen untergräbt. Doch Russland befindet sich nicht in einer Position der uneingeschränkten Dominanz. Zwar scheint die Einnahme der Oblast Kursk nur noch eine Frage von Tagen, doch an der restlichen Front herrscht weitgehend Stillstand. Die jüngsten russischen Geländegewinne waren minimal.
Auch der Einwand, dass die Ukraine eine Feuerpause nutzen könnte, um sich neu aufzustellen und Truppen an die Front zu verlegen, ist nicht von der Hand zu weisen. Tatsächlich konnte Russland während der kurzen Phase, in der Kiew keine Geheimdienstinformationen aus den USA erhielt, seine Zerstörungskapazitäten erheblich steigern. Zudem wurden nahezu alle ukrainischen Präzisionswaffen unbrauchbar. Ein Waffenstillstand käme Kiew daher entgegen. Dies gilt umso mehr, als Russland zuletzt gezielt strategische Ziele im ganzen Land angegriffen hat.
Mit der Zustimmung zum umstrittenen Rohstoffdeal kann die Ukraine auf eine Wiederaufnahme der amerikanischen Unterstützung hoffen – eine Entwicklung, die Russlands militärische Überlegenheit gefährden könnte. Das ist dem Kreml bewusst. Regierungssprecher Peskow äußerte sich daher am 12. März ausweichend zu den Ergebnissen von Riad und erklärte, Moskau benötige weitere Informationen aus Washington. Russische Insider berichteten zudem, dass der Vorschlag den Kreml überrascht habe. Moskau sei davon ausgegangen, dass Washington es zuvor vertraulich konsultiert, um eine abgestimmte Reaktion vorzubereiten.
Sind ukrainische Truppen eingekesselt?
Für eine umfassende Bewertung der russischen Haltung ist vor allem Putins Abschlusserklärung entscheidend, die seine einleitende Position bestätigt: „Ich denke, wir sollten darüber mit unseren amerikanischen Kollegen und Partnern sprechen – vielleicht sogar in einem Telefonat mit Präsident Trump. Grundsätzlich unterstützen wir die Idee, diesen Konflikt auf friedlichem Wege zu beenden.“
Donald Trump kann diese Reaktion als außenpolitischen Erfolg verbuchen. Innerhalb weniger Wochen brachte er die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch – eine Herausforderung, an der Joe Biden und die europäische Diplomatie drei Jahre lang scheiterten, da sie diese Option kategorisch ausschlossen. Putin hatte über Jahre hinweg Gesprächsbereitschaft signalisiert, was im Westen stets als Täuschungsmanöver gewertet wurde – eine Haltung, die sich auch jetzt in den Reaktionen der Europäer spiegelt.
Welchen Einfluss Trumps Sondergesandter Steve Witkoff hatte, bleibt unklar – zumal sein Mandat eigentlich den Mittleren Osten betrifft. Der US-Präsident zeigte sich jedenfalls zufrieden und schrieb auf Truth Social: „Es gibt eine sehr gute Chance, dass dieser schreckliche, blutige Krieg endlich endet.“ Er forderte Putin zudem auf, das Leben „Tausender ukrainischer Soldaten“ zu verschonen, die laut Putin von russischen Truppen eingekesselt sind.
Dass diese Darstellung offenbar unzutreffend ist, belegen Berichte russischer Militärblogger. Demnach zog sich das ukrainische Militär taktisch zurück und ließ größere Mengen Kriegsgerät zurück, ohne jedoch eingekesselt zu werden. Auch vom ISW-Institut ausgewertete Satellitenbilder liefern keine Hinweise auf eine Umfassung ukrainischer Verbände durch russische Truppen.
Russland akzeptiert Trump als Vermittler
Ob Trump und Putin direkt über dieses Thema sprachen, war zunächst unklar. Doch am 14. März informierte Putin den Föderalen Sicherheitsrat über ein Telefonat mit Trump und ging dabei auf dessen Bitte ein, die eingeschlossenen ukrainischen Soldaten zu verschonen:
„Wir haben die heutige Erklärung von US-Präsident Trump zur Kenntnis genommen, in der er dazu aufruft, das Leben der ukrainischen Soldaten zu schonen, die in der von den ukrainischen Streitkräften besetzten Zone der Oblast Kursk von russischen Truppen eingekesselt wurden.
In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass ukrainische Kämpfer zahlreiche Verbrechen an Zivilisten begangen haben. Diese Taten werden, wie bereits erwähnt, von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation als Terrorismus eingestuft.
Gleichzeitig verstehen wir den humanitären Appell von Präsident Trump. Ich betone daher: Bei Niederlegung der Waffen und Kapitulation wird ihr Leben garantiert und sie werden gemäß internationalem Recht und den Gesetzen der Russischen Föderation würdig behandelt.“
Noch bedeutender war jedoch Putins Eröffnung in der Sitzung, die als Signal der Annäherung an das Weiße Haus zu werten ist. Er lobte ausdrücklich Trumps Bemühungen, „zumindest einen Teil dessen wiederherzustellen, was die vorherige Administration nahezu vollständig zerstört hat.“
Damit ist klar: Russland unterstützt Trumps außenpolitische Linie und akzeptiert ihn als Vermittler – eine bemerkenswerte Haltung angesichts der umfassenden US-Waffenlieferungen unter Joe Biden sowie des Abbruchs sämtlicher diplomatischer Beziehungen. Hinzu kommt, dass Putin erst im November 2024 betont hatte, dass Russland alle Staaten, deren Technologie Kiew für Angriffe auf russisches Kernland nutzt, als Kriegsparteien betrachtet.
Unterdessen hat auch die ukrainische Armeeführung Putins Behauptungen einer Einkesselung entschieden zurückgewiesen. „Unsere Einheiten haben sich auf strategisch vorteilhaftere Verteidigungsstellungen zurückgezogen und setzen ihre Kampfaufträge fort“, teilte der ukrainische Generalstab mit. In den vergangenen 24 Stunden habe es 13 Gefechte gegeben, eine Einkesselung bestehe nicht.
Putin hat keine endgültigen Forderungen gestellt
Präsident Selenskyj kritisierte Putin scharf und warf ihm vor, bewusst unrealistische Bedingungen zu stellen, um die Verhandlungen zu torpedieren. „Putin kann diesen Krieg nicht beenden, weil er dann mit leeren Händen dastehen würde. Deshalb stellt er von Anfang an unerfüllbare Bedingungen“, erklärte Selenskyj – ohne jedoch zu präzisieren, was genau unerfüllbar sei.
Tatsächlich hat Putin, anders als behauptet, keine endgültigen Forderungen gestellt, sondern lediglich Fragen formuliert, die er mit Trump klären will. Moskaus Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Ukraine eine Waffenruhe nicht zur militärischen, logistischen und strategischen Neuaufstellung nutzt – eine Option, die für den Kreml angesichts der hohen Verluste kaum akzeptabel wäre. Wie viele Soldaten Moskau bislang tatsächlich verloren hat, bleibt unklar. Eine Analyse des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) vom Januar 2025 schätzt die Zahl der Gefallenen auf 172.000 und die der Verwundeten auf 611.000, darunter 376.000 mit dauerhaften Behinderungen.
Eine vorschnelle Zustimmung zur Waffenruhe wäre für Putin riskant. Sollte sich seine Befürchtung bewahrheiten, dass die Ukraine die Feuerpause zur Stärkung ihrer Streitkräfte nutzt, wäre das ein schwerer Gesichtsverlust. Dies gilt umso mehr, als im russischen Geheimdienstapparat traditionell tiefes Misstrauen gegenüber den USA herrscht. Sergej Lawrow brachte es vergangene Woche auf den Punkt: Man habe sich im Umgang mit den Amerikanern schon oft die Finger verbrannt.
Chancen auf eine Konfliktlösung erheblich erhöht
Andererseits spielt Putin die veränderte Stimmungslage in Russland in die Karten. Laut aktuellen Umfragen des Forschungsprojekts „Chroniken“ ist die Unterstützung für einen Truppenabzug und Friedensverhandlungen ohne Erreichen der Kriegsziele in den vergangenen Monaten deutlich gesunken. Zwischen September 2024 und Februar 2025 fiel der Anteil der Befürworter eines sofortigen Kriegsendes von 50 auf 41 Prozent, während die Unterstützung für eine Fortsetzung der Kämpfe bis zur Erreichung der Kriegsziele von 31 auf 46 Prozent stieg.
Auf Selenskyjs Appell an die USA und ihre Partner, den Druck auf Russland zu erhöhen, reagierte Trump mit einer Warnung: Sollte der Kreml die Feuerpause ablehnen, drohten „vernichtende Sanktionen“. „Ich habe Maßnahmen in der Hand, die Russland finanziell äußerst schmerzen würden. Ich möchte das nicht tun, weil ich Frieden will“, erklärte der US-Präsident. Ob diese Drohung bindend ist, bleibt unklar. Allerdings hat sie nicht zu einer negativen Reaktion des Kremls geführt, dessen Tonalität weiterhin versöhnlich bleibt.
Trotz scharfer Kritik aus Europa lässt sich nicht leugnen, dass Washingtons außenpolitische Kehrtwende die Chancen auf eine Konfliktlösung erheblich erhöht hat. Erstmals seit drei Jahren signalisieren beide Parteien die Bereitschaft, die Gewalt zugunsten von Verhandlungen auszusetzen. Noch ist eine Prognose verfrüht, doch die Geschichte dieses Krieges zeigt, dass ungenutzte Friedenschancen katastrophale Folgen haben können – eine Erkenntnis, die mit Blick auf Istanbul kaum schwerer wiegen könnte.
Christian Osthold ist Historiker mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands. Seine Monographie über den russisch-tschetschenischen Konflikt ist in der Cambridge University Press rezensiert worden. Seit 2015 ist Osthold vielfach in den Medien aufgetreten.