Während Russland mit BRICS neue Allianzen schmiedet, steht der Ukraine-Konflikt durch die drohende Einmischung Nordkoreas kurz davor, die Natur dieses Krieges grundlegend zu verändern.
„Russland ist nicht isoliert und gestaltet aktiv eine multilaterale Weltordnung mit.“ Mit dieser Botschaft richtete Russland am 22. Oktober den international beachteten BRICS-Gipfel in Kasan aus. Es war das größte internationale Ereignis seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Auch UN-Generalsekretär António Guterres war vor Ort – ein Besuch, der im Westen auf scharfe Kritik stieß.
Russland zählt zu den Gründungsmitgliedern des BRICS-Bündnisses, das 2010 durch den Beitritt Südafrikas seine heutige Gestalt erhielt. In letzter Zeit haben sich auch Länder wie der Iran, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Äthiopien dem Block angeschlossen. Die Türkei und Aserbaidschan haben bereits Beitrittsanträge gestellt. Das Staatenbund ist mächtig und gewinnt an Einfluss. Im Jahr 2022 erwirtschafteten seine Mitglieder 35,2 Prozent des weltweiten BIP, während der Anteil der G7-Länder auf nur noch 29,3 Prozent sank.
Der BRICS-Gipfel in Kasan bot einen seltenen Einblick in die internen Dynamiken des Bündnisses. Russland positioniert sich darin zunehmend als Treiber einer antiwestlichen Agenda und versucht, BRICS von einem wirtschaftlich aufstrebenden Netzwerk zu einer gegen den Westen gerichteten Fraktion umzuwandeln.
Der Kreml nutzt die Plattform geschickt, um sein Narrativ zum Ukraine-Krieg zu fördern – mit Erfolg. Zahlreiche Länder des Globalen Südens scheinen den Konflikt als regionales Problem zu sehen, nicht als globale Bedrohung, wie es westliche Staaten darstellen. Die Anreise von Staats- und Regierungschefs aus Indien, China, dem Iran und Südafrika nach Kasan war ein deutliches Zeichen der Unterstützung – ein Schulterschluss mit dem Kreml und dessen Kurs.
Möglichkeit, eine alternative Weltordnung zu fördern
Dabei geht es vor allem um China, dessen Beziehungen zu Russland enger geworden sind, seit sich die wirtschaftliche Abhängigkeit Russlands von China infolge der westlichen Sanktionen verstärkt hat. Präsident Xi Jinping bezeichnet Putin als „lieben Freund“. Er sieht in der BRICS-Zusammenarbeit die Möglichkeit, eine alternative Weltordnung zu fördern, die staatliche Souveränität über Menschenrechte stellt. Trotz der engen wirtschaftlichen Kooperation zögert China jedoch, sich militärisch auf die Seite Russlands zu stellen, und hat auf Druck der USA den Export von Waren mit doppeltem Verwendungszweck nach Russland eingeschränkt.
Auch Indien nutzt den BRICS-Gipfel, um seine geopolitische Position zu stärken. Premierminister Narendra Modi führte Gespräche mit Xi Jinping und strebt an, die Spannungen entlang der langen und umstrittenen Grenze in den Himalaya-Bergen zu entschärfen. Gleichzeitig bringt sich das bevölkerungsreichste Land der Welt als Friedensvermittler im Ukraine-Konflikt ins Spiel, nachdem Modi sowohl mit Putin als auch mit Selenskyj gesprochen und seine Vermittlung angeboten hatte. Russland wiederum ist bestrebt, dabei die Spannungen zwischen China und Indien zu entschärfen.
Die Teilnahme weiterer Länder wie Ägypten und Äthiopien zeigt, dass BRICS weiterhin wächst. Der Block bietet aufstrebenden Volkswirtschaften eine Möglichkeit, sich gegen die westlich dominierte internationale Ordnung zu positionieren und gleichzeitig neue wirtschaftliche Möglichkeiten zu erschließen. Diese Entwicklung ist besonders für die Türkei von Interesse. Zwar hat Präsident Erdogan die Außenpolitik seines Landes darauf ausgerichtet, ein Gleichgewicht zwischen westlichen und östlichen Allianzen zu bewahren. Dennoch hat er die Bemühungen um einen EU-Beitritt längst aufgegeben.
Wladimir Putin nutzte die Gelegenheit, um sich in Kasan erstmals öffentlich zur Entsendung nordkoreanischer Soldaten zu äußern. Auf der abschließenden Pressekonferenz stellte ein amerikanischer Journalist Putin die Frage, ob Berichte und Satellitenbilder zutreffen, die nordkoreanische Soldaten in Russland zeigen. Der Journalist fragte: „Was machen sie hier? Bedeutet das nicht eine erhebliche Eskalation des Konflikts?“
Putins Antwort fiel vehement aus: „Fotos sind keine belanglose Sache; wenn sie existieren, dann zeigen sie etwas Wesentliches. Ich möchte betonen, dass nicht Russlands Handlungen die Eskalation in der Ukraine ausgelöst haben, sondern der Staatsstreich von 2014, der maßgeblich von den USA unterstützt wurde. […] Danach wurden wir acht Jahre lang getäuscht, indem behauptet wurde, den Ukraine-Konflikt auf friedlichem Weg durch die Minsker Vereinbarungen lösen zu wollen.“, sagte der russische Präsident.
Partnerschaftsabkommen mit Nordkorea
Der 24. Oktober 2024 markiert nicht nur durch Putins Erklärung einen wichtigen Tag. Zeitgleich ratifizierte die russische Staatsduma ein umfassendes strategisches Partnerschaftsabkommen mit Nordkorea, das Putin im Sommer während seines Besuchs in Pjöngjang unterzeichnet hatte. Das Abkommen sieht gegenseitige militärische Unterstützung im Falle eines Angriffs auf einen der Vertragspartner vor. „Artikel 4 des Abkommens legt fest, dass die Vertragsparteien im Falle eines bewaffneten Angriffs auf die jeweils andere Seite militärische Unterstützung leisten“, erklärte Putin.
Er betonte, dass Nordkorea die Vereinbarungen sehr ernst nehme. Gleichzeitig fügte er hinzu: „Was wir im Rahmen dieses Artikels tun, unsere Sache.“ Nähere Details über die Aufgaben der nordkoreanischen Soldaten in Russland gab er nicht. Putin ergänzte, dass die Ukraine seit Beginn des Krieges Unterstützung von internationalen Partnern erhalte, und folgerte daraus, dass auch Russland ein entsprechendes Recht auf Beistand habe.
Berichte über die Entsendung nordkoreanischer Soldaten nach Russland kursierten bereits seit Oktober und wurden von südkoreanischen, ukrainischen und US-amerikanischen Quellen bestätigt (Achgut berichtete). Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte, das Pentagon habe Beweise für die Anwesenheit nordkoreanischer Soldaten in Russland. „Es gibt Hinweise, dass nordkoreanische Soldaten in Russland sind“, sagte Austin. „Wir müssen herausfinden, was sie dort tun.“
Das „Wall Street Journal“ berichtete, dass die Entsendung der Soldaten Teil eines geheimen Zusatzabkommens zum Beistandspakt zwischen Moskau und Pjöngjang sei, das der nordkoreanischen Armee die Möglichkeit geben soll, im Ukraine-Konflikt Kampferfahrung zu sammeln. NATO-Generalsekretär Mark Rutte äußerte, dass eine Beteiligung Nordkoreas an den Kämpfen in der Ukraine eine „bedeutende Eskalation“ des Konflikts darstellen würde. Dieser Ansicht ist auch Alexander Lukaschenko, der allerdings nicht an die Entsendung glauben wollte.
Die Rekrutierung neuer Soldaten stockt
Laut dem ukrainischen Verteidigungsministerium wurden erste Einheiten nordkoreanischer Soldaten bereits in die russische Region Kursk verlegt. Der Kreml hatte derartige Berichte zuvor zurückgewiesen. Der Sprecher des Präsidenten, Dmitrij Peskow, bezeichnete sie als „unbegründete Gerüchte“. Maria Sacharowa, Vertreterin des russischen Außenministeriums, betonte, dass die Zusammenarbeit Russlands mit Nordkorea völkerrechtskonform sei und keine Bedrohung für Südkorea darstelle.
Die Wahl von Kursk als Einsatzort erscheint strategisch nachvollziehbar: Seit Wochen bemüht sich die russische Armee vergeblich, die von Kiew kontrollierten Gebiete in der Region zurückzuerobern. Die eingesetzten Truppen verfügen über eine unzureichende Kampfkraft, um signifikante Fortschritte zu erzielen. Hinzu kommt, dass die Rekrutierung neuer Soldaten zunehmend stockt, da das Potenzial an Männern, die sich gegen Entlohnung für den Kriegseinsatz verpflichten, nahezu ausgeschöpft ist.
Die Befreiung der Oblast Kursk soll deswegen von nordkoreanischen Eliteeinheiten übernommen werden. Zwar ist wenig über ihre tatsächliche Kampfkraft bekannt, doch lässt sich vermuten, dass ihre Moral hoch ist. Im Bewusstsein, unter genauer Beobachtung der nordkoreanischen Führung zu stehen, dürften sie besondere Anstrengungen unternehmen. Informierte Quellen berichten, dass bis zum 28. Oktober mindestens 5.000 Nordkoreaner in der Region Kursk stationiert sein werden. Sollte ihre Mission erfolgreich verlaufen, ist davon auszugehen, dass sie umgehend in die Ukraine verlegt werden.
Auch südkoreanische Medien berichteten seit Wochen über die Entsendung nordkoreanischer Soldaten. Infolgedessen hat Seoul angekündigt, seine militärische Unterstützung für die Ukraine zu überdenken. Zudem plant Südkorea, Beobachter nach Kiew zu entsenden, um die Aktivitäten der nordkoreanischen Soldaten zu überwachen. Falls sich die nordkoreanischen Truppen in den Konflikt einschalten, plant Seoul, Waffenlieferungen an Kiew zu genehmigen.
Militärexperte bezeichnete den Deal als Sklavenhandel
Auch wenn der konkrete militärische Nutzen nordkoreanischer Truppen noch ungewiss ist, steht eines fest: Ihr Einsatz würde die Natur des Krieges grundlegend verändern. Zum ersten Mal würde ein dritter Staat aktiv mit Kampftruppen eingreifen – eine Eskalation, die sowohl Moskau als auch Pjöngjang in die Karten spielt. Russland erhielte damit nicht nur dringend benötigte militärische Unterstützung, sondern könnte Nordkorea auch stärker in seinen Einflussbereich integrieren.
Für das isolierte, schwer sanktionierte Nordkorea eröffnet der Auslandseinsatz eine seltene Chance, international politisch mitzumischen und wertvolle Kampferfahrung für die Armee der Volksrepublik zu sammeln. Gelingen den entsandten Truppen militärische Erfolge, würde das der Staatspropaganda zusätzlichen Auftrieb verleihen. Sollten nordkoreanische Soldaten in großer Zahl getötet werden, könnte Kim Jong-Un mit der Entsendung weiterer Truppen reagieren.
Am bedeutendsten dürfte jedoch sein, dass Moskau Pjöngjang dringend benötigte Devisen verschafft. Der Militärexperte Gustav Gressel bezeichnete diesen Deal als Sklavenhandel. Russland benötigt dringend neue Kämpfer, die Nordkorea im Übermaß liefern kann. Für Pjöngjang sei der Zugang zu Devisen weitaus wichtiger als der mögliche Tod tausender eigener Soldaten.
Kaum bekannt ist, dass Nordkorea eine lange Geschichte der militärischen Unterstützung für seine Verbündeten hat. Bereits im Vietnamkrieg der 1960er-Jahre lieferte das Regime Waffen und entsandte Kampfpiloten zur Unterstützung der vietnamesischen Kommunisten gegen die USA. Auch im Nahen Osten zeigte Nordkorea Präsenz: In den 1970er-Jahren stellte es MiG-Piloten und Spezialisten für Ägypten und Syrien im Konflikt mit Israel bereit. Später baute Pjöngjang enge Beziehungen zum Iran auf, lieferte Raketen und entsandte Berater während des Iran-Irak-Kriegs.
In Afrika unterstützte Nordkorea in den 1970er- und 1980er-Jahren sowohl separatistische Bewegungen als auch die Regierungen von Äquatorialguinea und Uganda mit Waffen und militärischem Know-how. Diese langjährigen Allianzen zeugen von Nordkoreas geopolitischen Ambitionen und seiner Bereitschaft, auch weit entfernte Verbündete in Konflikten zu unterstützen – eine Strategie, die nun offenbar auch auf den Ukraine-Konflikt angewendet wird.
Schwere Verluste durch die russischen Angriffe
Unterdessen gerät die Ukraine im Donbass zunehmend unter Druck. So hat die russische Armee in der Stadt Siedlowskoje, etwa 20 Kilometer von Pokrowsk entfernt, erste taktische Erfolge erzielt. Nachdem es den russischen Truppen gelungen war, die ukrainischen Verteidigungsanlagen südlich und nördlich der Stadt zu umgehen, meldeten pro-russische Quellen am 24. Oktober den Beginn der Erstürmung.
Der Telegram-Kanal „Dwa Majora“ berichtete von einem Durchbruch ins Stadtzentrum und der Kontrolle über den südlichen Teil der Stadt. Andere Kanäle veröffentlichten Videos, die die russische Flagge auf Hochhäusern in Siedlowskoje zeigen. Auch ukrainische Quellen bestätigen den kritischen Stand der Kämpfe und die schweren Verluste durch die russischen Angriffe.
Militäranalysten vermuten, dass die ukrainischen Einheiten bald gezwungen sein könnten, sich zurückzuziehen, um einer Einkesselung zu entgehen. Das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW) bestätigt den Vormarsch der russischen Armee und gibt an, dass die Eroberung der umliegenden Gebiete südlich und nördlich von Siedlowskoje die ukrainischen Truppen bald zum Rückzug zwingen könnte.
Um weitere Verluste zu vermeiden, arbeitet Wolodymyr Selenskyj an einem zusätzlichen Plan, der speziell auf die Ukraine ausgerichtet ist. Das als „interner Aktionsplan“ gehandelte Dokument soll bis Jahresende vorgestellt werden und Maßnahmen in den Bereichen Rüstungsindustrie, Verteidigung, Wirtschaft und Sozialpolitik enthalten. Ziel ist es, die Ukraine unabhängig von ausländischer Hilfe widerstandsfähiger gegen die Belastungen des Krieges zu machen. Ein Teammitglied Selenskyjs erklärte, es gehe darum, nationale Einheit zu bewahren und Fortschritte in zentralen Entwicklungsfeldern zu erzielen.
Zuvor hatte Selenskyj bereits seinen „Siegesplan“ vorgestellt, der eine NATO-Einladung und die Genehmigung für tiefgehende Angriffe auf russisches Territorium umfasst. Dieser Fünf-Punkte-Plan wurde westlichen Staats- und Regierungschefs sowie US-Präsidentschaftskandidaten präsentiert, stieß jedoch auf Skepsis (Achgut berichtete).
Aufbau einer Anti-West-Koalition
Nach zweieinhalb Jahren Krieg hat Russland außenpolitisch eine Position erreicht, die ihm erheblichen Handlungsspielraum verschafft. Das BRICS-Bündnis erweist sich dabei als wirksames Werkzeug für den Aufbau einer Anti-West-Koalition. Gelingt es dem Kreml, China und Indien dauerhaft auf diese Linie einzuschwören, könnte ein mächtiger Block entstehen, der die bestehende Weltordnung grundlegend erschüttern würde. Besorgniserregend ist, dass die BRICS-Staaten – trotz ihrer teils gegensätzlichen Eigeninteressen – in einem Punkt geeint sind: dem Bestreben, die westliche Dominanz zu beenden.
Der Westen unterstützte die Ukraine ursprünglich mit dem Ziel, die russische Aggression im Keim zu ersticken und Russland wirtschaftlich sowie politisch zu isolieren. Inzwischen ist jedoch offensichtlich, dass dieser Plan nicht aufgegangen ist. Stattdessen hat der Krieg alle beteiligten Akteure an einen Punkt geführt, den vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Der Gedanke, dass der Ukraine-Krieg zu einem Stellvertreterkonflikt der koreanischen Staaten werden könnte, ist von einer abwegigen Vorstellung zu einem ernstzunehmenden Szenario geworden. Ein Blick in die Geschichte – vom Spanischen Bürgerkrieg bis hin zu den Konflikten in Korea und Vietnam – zeigt, wie schnell regionale Kriege durch externe Interventionen in großangelegte Auseinandersetzungen münden können.
Die NATO muss ihre Reaktion daher wohlüberlegt gestalten. Würde sie tatsächlich Truppen in die Ukraine verlegen, wie Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und andere europäische Politiker es fordern, entstünde eine hochexplosive Situation. Die Schwelle zu einem möglichen Weltkrieg wäre so niedrig wie nie zuvor.
Die westliche Führung sollte sich bewusst sein, dass Wladimir Putin Entschlossenheit signalisiert, den Konflikt notfalls bis zum Ende fortzusetzen. Mit Kim Jong-Un steht ihm nun ein international isolierter Verbündeter zur Seite, dessen Führung die Bereitschaft zum Opfer für Partei und Staat betont. Allein die zurückhaltende Haltung Chinas lässt noch Hoffnung auf eine mögliche Deeskalation aufkeimen.
Es bleibt jedoch unklar, ob diese Entscheidung tatsächlich auf der Weisheit des chinesischen Strategen Sun Tzu beruht – „Es ist besser, ein Jahr zu verhandeln, als einen Tag lang Krieg zu führen“ – oder ob sie schlicht ein strategisches Kalkül darstellt, das darauf abzielt, den optimalen Zeitpunkt für den Beginn einer eigenen Intervention in Fernost abzuwarten.
Dr. Christian Osthold ist Historiker mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands. Seine Monographie über den russisch-tschetschenischen Konflikt ist in der Cambridge University Press rezensiert worden. Seit 2015 ist Osthold vielfach in den Medien aufgetreten.