Zwei Wochen bevor er endgültig aus dem Amt scheidet, entdecken nun einige Medien die lange Geschichte der Demenz von Joe Biden. Mutig, mutig! Dabei liegt Bidens Zustand seit 2020 auf der Hand, wie man auf Achgut.com seit vier Jahren regelmäßig lesen konnte.
Mutig, mutig! Wie fast jeden Morgen klang auch heute mein Frühstück langsam mit der Welt-Lektüre – in der Printversion – aus. Die Zustellung war also erfolgreich, was mitnichten selbstverständlich ist. Natürlich habe ich auch bei der Welt Lieblingsautoren, deren Beiträge regelhaft und von vorn bis hinten gelesen werden, während die Texte Anderer häufig nur überflogen werden. In diese letztgenannte Kategorie fallen meist auch die Artikel von Stefanie Bolzen, die seit 2023 nicht mehr aus London, sondern aus den USA berichtet. Heute überraschte sie die Leser mit einem halbseitigen Stück unter dem Titel: „Die drei großen Fehler Joe Bidens“. Der nämlich sei ein halbes Jahrhundert ein mächtiger Protagonist im mächtigsten Land der Welt gewesen, habe es aber – sein erster Fehler – unterlassen, rechtzeitig, also ab seinem zweiten Amtsjahr, einen Nachfolger aufzubauen.
„Kognitiver Verfall schon 2021“
Es folgt dann die doch etwas überraschende Mitteilung von Bolzen, dass „laut US-Journalisten, die seit Jahren über das Weiße Haus berichten, (…) Bidens kognitiver Verfall schon 2021 immer deutlicher (wurde).“ Warum diese „US-Journalisten“ ihr Wissen seinerzeit für sich behalten haben, wird nicht mitgeteilt oder auch nur als Problem markiert. Allerdings trifft das in dieser Ausschließlichkeit auch gar nicht zu, denn zum Beispiel Fox News hatte ja durchaus früh die entsprechende Fährte aufgenommen. Es war schlicht das den Demokraten verbundene, immer noch mächtige Medienspektrum in USA und Übersee, welches Bidens kognitiven Verfall nicht nur nicht wahrhaben wollte, sondern sogar aktiv leugnete, einschließlich der Schmähung von Abweichlern.
Bei solchen Themen ist sicherlich eine gewisse journalistische Zurückhaltung durchaus weiterhin geboten, auch wenn Mediziner und Psychologen in Trumps Amtszeit sich exzessiv an dessen Psyche abgearbeitet haben und damit das bis dahin in den USA geltende Schweigegebot in Bezug auf psychische Probleme oder Krankheiten von Politikern de facto aufgehoben haben.
Auch vor diesem Hintergrund wäre doch wohl ein erklärender oder vielleicht gar entschuldigender Satz von Bolzen für das damalige journalistische Totalversagen auch der Welt ebenso angemessen wie überfällig gewesen. Aber damit noch nicht genug: Wenn Bolzen rückblickend jetzt Ex-Präsident Biden vorhält, nicht rechtzeitig einen Nachfolger aufgebaut zu haben, verkennt sie die dem wahrscheinlich zugrunde liegende Ursache: fehlendes Krankheitsbewusstsein bei Joe Biden beziehungsweise eine krankheitsverzerrte, unrealistische Einschätzung seiner kognitiven Leistungsfähigkeit. Ein Problem, das im Übrigen die Mehrheit der Demenzkranken mit ihm teilt.
Ein kurzer Rückblick
Nach Lektüre des Bolzen-Artikels interessierte es mich dann doch, wann der Autor dieser Zeilen hier auf Achgut die korrekte Diagnose einer Demenz bei Joe Biden gestellt hatte: Der erste gravierende Verdacht wurde von mir im Juni 2020 formuliert und nach einem TV-Duell mit Trump im September 2020 noch einmal deutlich bekräftigt, bis im März 2021 die Diagnose einer Demenz aus fachlicher Perspektive sichergestellt werden konnte. Die damals getroffene Zuordnung zu einer Alzheimer Krankheit erfolgte allerdings etwas voreilig, denn im weiteren Krankheitsverlauf wurden parkinsonähnliche Symptome – vor allem sein Gangbild betreffend – immer deutlicher, so dass es sich wahrscheinlich um eine bestimmte, gefäßbedingte Demenzerkrankung handelt.
Jetzt stehen natürlich die Journalisten der einschlägigen Medien samt der ihnen verbundenen medizinischen und/oder psychologischen Experten bereits Gewehr bei Fuß, um in Bälde dem Volke jede auch noch so geringe Verhaltensauffälligkeit des künftigen US-Präsidenten en détail entweder als Ausdruck einer schweren Persönlichkeitsstörung oder auch beginnenden Demenz erklären zu wollen. Da wird der geneigte Welt-Leser sicherlich bald auch etwas Einschlägiges von Stefanie Bolzen lesen können.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im zivilrechtlichen Bereich.