Vera Lengsfeld / 28.02.2021 / 16:00 / Foto: Thomas Schmidt / 14 / Seite ausdrucken

Über Filme und Freunde

In der DDR entstanden jede Menge guter Filme. Nicht alle wurden verboten, obwohl sie keineswegs staatsnah waren. Gute Kunst setzt sich auch unter nicht optimalen Verhältnissen durch, weil sie mehr Qualitäten aufweist als das, was heute „Haltung“ genannt wird und damals Propaganda war.

Viele DDR-Schauspieler zählten und zählen im vereinten Deutschland zur ersten Reihe, einige schafften es sogar nach Hollywood, wie der großartige Armin Mueller-Stahl. Aber auch unsere guten Regisseure drehten nach Ende des Arbeiter- und Bauernstaates weiter – mit Erfolg. Frank Beyer, dessen Film „Jakob der Lügner“ das Hollywood-Remake um Klassen übertrifft, gelang mit der „Nikolaikirche“ (1998) nicht nur ein weiterer Klassiker, sondern auch ein Quotenhit. Dann die Dresens, Vater und Sohn. Während Adolf Dresen als Theater- und Opernregisseur bekannter geworden ist als für seine guten Filme, ist sein Sohn Andreas einer der besten Filmemacher, die es bei uns gibt. Auch „Sommer vorm Balkon“ mit der wunderbaren Nadja Uhl in ihrer besten Rolle und „Als wir träumten“ wurden regelrecht gefeiert

Weniger im Rampenlicht, aber entscheidend an diesen Erfolgen beteiligt, ist der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der schon zu Lebzeiten für Filmleute eine Legende geworden ist. Mit der Neuauflage seines Buches „Um die Ecke in die Welt“ legt der Eulenspiegel-Verlag eine Art Kulturgeschichte des DDR-Films vor. Die ist sehr spannend, auch jenseits der Verbotsgeschichte von „Kaninchenfilmen“, wie die unter Verschluss gehaltenen Streifen nach dem Film „Das Kaninchen bin ich“ genannt wurden.

Seit 1953 schreibt Kohlhaase Drehbücher. Darunter bis heute viele Hits. In der Fachwelt bekannt wurde er spätestens seit 1957 mit „Berlin – Ecke Schönhauser“, einem Film über die Nachkriegsjugend, der 1995 unter die wichtigsten 100 deutschen Filme gewählt wurde. Im Schicksalsjahr 1968 hatte „Ich war neunzehn“ Premiere, ein Meisterwerk des viel zu früh verstorbenen Konrad Wolf, der auch am Drehbuch beteiligt war.

Überwältigender Erfolg beim Publikum

Ich habe als 16-Jährige die Wirkung dieses Films unmittelbar erlebt. Ich war mindestens ein dutzend Mal im Kino und bin mit einer Freundin sogar nach Bernau gefahren, um die Drehorte des Filmfinales aufzusuchen. Der Film hat starke autobiografische Bezüge zu Wolf. Er schildert seine Erlebnisse als Leutnant einer Propagandaeinheit der Roten Armee. Die zentrale Frage des Films, wie eine Kulturnation wie Deutschland, die einen Johann Sebastian Bach hervorgebracht, dem Nationalsozialismus anheimfallen konnte, beschäftigt uns noch immer. Nur ist dieses Werk wesentlich tiefgründiger als die platten Antifa-Debatten von heute.

Wieder fast zehn Jahre später kam „Solo Sunny“, erneut eine gemeinsame Arbeit von Wolf und Kohlhaase, der einen überwältigenden Erfolg beim Publikum hatte, von dem die Macher überrascht wurden. Die Geschichte der Außenseiterin Sunny, die das Leben der Sängerin Sanije Torka, Tochter von krimtatarischen Vertragsarbeitern, nachbildet, traf nicht nur den Nerv der DDR-Bewohner. Nach der Premiere im Januar 1980 startete der Film bereits im April in der BRD. Auf der Berlinale in diesem Jahr erhielt Hauptdarstellerin Renate Krößner einen Silbernen Bären, Kohlhaase bekam auf dem Chicagoer Filmfestival die Goldene Plakette für das beste Drehbuch.

Es war Konrad Wolfs letzter Film. Im Band sind zwei Nachrufe von Kohlhaase auf Wolf nachzulesen, denen die starke Erschütterung, die Wolfs Tod ausgelöst hat, in jeder Zeile anzumerken ist.

Klassiker, von denen jungen Drehbuchautoren lernen können.

Der nächste Film „Der Aufenthalt“ (1982), diesmal in Zusammenarbeit mit Frank Beyer, war als Beitrag für die Berlinale vorgesehen. Wieder ist die schwierige deutsche Geschichte das Thema. In einem polnischen Gefängnis sitzt der junge Mark Niebuhr, Sylvester Groth in seiner ersten großen Rolle, dem Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, die er nicht begangen hat. Sein Zellengefährte und Altersgenosse, der ebenfalls behauptet, verwechselt zu werden, hat tatsächlich LKWs gefahren, in denen Menschen vergast wurden. Der Film geht der Frage nach, wie schuldig auch die Unschuldigen sind. Weil Polen wegen angeblicher „antipolnischer Tendenzen“ Einspruch einlegte, wurde der Film zurückgezogen. Es spricht für die außerordentliche Qualität dieses Werks, dass es bei der Berlinale 2010 doch noch aufgeführt wurde und den Goldenen Ehrenbären verliehen bekommen hat.

Auch Kohlhaases letzter Film, diesmal mit Regisseur Matti Geschonneck, auch ein DDR-Gewächs, behandelt ein Geschichtsthema: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ zeigt die Familiengeschichte von Eugen Ruge, dessen Vater Wolfgang, ein renommierter Historiker, als Jugendlicher vor den Nazis in die Sowjetunion flüchtete und dort im Gulag landete. Es ist wieder ein großartiger Film geworden, der sein Publikum fand. Matti Geschonneck befürchtete in einem Interview, dass die Zeit für solche Stoffe in der schnelllebigen Kinolandschaft vorbei sein könnte.

Wer sich die Endlos-Krimiproduktionen anschaut, die am Fließband produziert werden und bei denen höchstens noch die Kameraführung sehenswert ist, muss diese Befürchtung teilen. Kohlhaases Drehbücher sind Klassiker, von denen jungen Drehbuchautoren lernen können.

Wolfgang Kohlhaase: Um die Ecke in die Welt – Über Filme und Freunde, Eulenspiegel Verlagsgruppe, 20 Euro

Foto: Thomas Schmidt CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Heinz Thomas / 28.02.2021

Zum Film “Ich war Neunzehn” wurden wir während des Schulunterrichts ins Kino befohlen. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, den Film nach künstlerischen Gesichtspunkten zu bewerten. Für alle Zwangssehenden war klar: Propaganda, und nur Propaganda. Dies war meiner Meinung nach auch der Hauptzweck des Films. Ansonsten war bei diesem Film das Kino leer. Wir wussten als damals Jugendliche von der Erlebnisgeneration, was sich beim Einmarsch der Russen tatsächlich abgespielt hatte. Und diese Erzählungen waren durchaus sehr differenziert. Ob der Film trotz allem ein Kunstwerk war, kann ich nicht beurteilen. Das scheint trotz propagandistischer Absicht nicht ausgeschlossen. Aber vielleicht traf das auch auf das üble Machwerk “Jud Süß” zu.

FriedrichLuft / 28.02.2021

Es staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich ... ja, in der DDR war halt doch nicht alles schlecht. Vielleicht haben wir ja bald wieder eine ähnlich funkelnde Filmszene. Der Rest der Lebensumstände ist ja schon auf dem besten Weg. Frau Lengsfeld, es würgt mich im Halse!

Walter H. Behr / 28.02.2021

Verehrte Frau Lengsfeld, Dank dafür, dass Sie mit Ihren Beiträgen die Kultur nicht vernachlässigen und uns Leser an ihr teilhaben lassen. Die Leere, die einem bewusst wird, wenn man die allgegenwärtigen Fließbandproduktionen (Krimi, Talkshow, Quiz, Kochen) angekündigt bekommt, ist leichter zu ertragen, wenn man an gute Produktionen denkt und erinnert wird an das , was war und möglich ist, besonders im Kino.

Wolfgang Heinrich Scharff / 28.02.2021

So kenne ich Vera Lengsfeld nicht: In dem Artikel feiert sie nicht nur die Verfilmung eines Romans des stalinistischen Romanpropagandisten Kant, sondern auch den Sohn des stalinistischen Agitprop-Dramatikers Friedrich Wolf. Ist die Achse jetzt auf den kulturmarxistischen Zeitgeistzug aufgesprungen? Vae victis!

Jörg Plath / 28.02.2021

Die Eulenspiegel-Verlagsgruppe zeichnet sich vor allem durch ihre Linksradikalität aus…

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