Gastautor / 15.09.2015 / 16:34 / 6 / Seite ausdrucken

Über die gerechte Verteilung von Flüchtlingen

Von Eva Ziessler

“Die Innenminister haben sich bei ihrem Krisentreffen in Brüssel nur grundsätzlich auf die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen in der Europäischen Union verständigt.”

Und so reden die auch wirklich alle: Über die “Verteilung” von Menschen, als ginge es um Sandsäcke, Windkrafträder oder Genmais-Felder. Und es kommt ihnen allen ganz selbstverständlich vor.

Ja, und sie müssen nicht nur “verteilt”, sondern vor allem auch “gerecht” verteilt werden. Auf wen oder was bezieht sich das Adjektiv gerecht – auf das Substantiv, also die Verteilung? Wohl kaum. “Verteilen” ist kein transitives Verb, d.h. etwas oder jemand (das Subjekt, im Nominativ) wird an etwas oder an jemanden (Dativ) verteilt. Das Adjektiv oder Adverb “gerecht” zum Verb “verteilen” kann sich also immer nur auf das Objekt im Dativ beziehen. “Gerecht” soll es also zugehen in bezug auf den- oder diejenigen, an die die Verteilung erfolgt. Die anläßlich der Verteilung der Flüchtlinge geforderte Gerechtigkeit soll also also vor allem den einzelnen EU-Ländern dienen, nicht den Flüchtlingen.

Soll die Geburtstagstorte gerecht an die Gäste verteilt werden, dann bekommt zum Beispiel jeder ein Stück. Wurde die Torte aus Versehen mit Salz statt mit Zucker gebacken, dann weiß man gar nicht mehr, was man sich unter einer gerechten Verteilung überhaupt vorstellen könnte. Tatsächlich möchte keiner überhaupt etwas von der Torte essen. Von einer gerechten Verteilung lässt sich sinnvollerweise immer nur dann – und immer nur in Bezug auf die Empfänger des Verteilten – sprechen, wenn es sich um ein begehrtes Gut handelt. Eine gerechte Verteilung von Lasten, von der immer mal wieder die Rede ist, hat nichts mit gerechter Verteilung zu tun, sondern mit einer Aufbürdung von immer ungeliebten Kosten für irgendwas.

Das Wort von der gerechten Verteilung der Flüchtlinge ist entlarvend – weil es zeigt, dass es gerade nicht um Gerechtigkeit für die Flüchtlinge geht, sondern darum, dass jedes EU-Land möglichst wenig mit ihnen zu tun haben möchte. Dieser Egoismus wird dann als Gerechtigkeit verkauft.

Und es kommt noch schlimmer: “… gab Innenminister de Maiziere bekannt, dass in der Zahl 40.000 Flüchtlinge enthalten seien, die auf freiwilliger Basis auf die Mitgliedstaaten verteilt werden.”

Auch hier ist nicht gemeint, dass etwa die Flüchtlinge freiwillig irgendwo hingingen. Nein, sie werden irgendwo hingebracht und müssen da bleiben. Wie kann man freiwillig verteilt werden? Man kann nicht einmal freiwillig etwas geschehen lassen, das man nicht will. Man muss dazu gezwungen werden. Man kann nur etwas geschehen lassen, das man nicht verhindern kann. Das macht man dann aber nicht freiwillig, sondern unfreiwillig. Besser wird die Sache auch nicht dadurch, dass man sagt “auf freiwilliger Basis”.

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Leserpost

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Paul H. Ertl / 16.09.2015

Ich ahne schon lange, daß der Dativ dem Genitiv sein Tod ist, aber daß er jetzt auch schon den Akkusativ bedroht, war mir neu. Neu ist mir auch, daß Verben ein Adjektiv haben können, aber warum nicht, beim Lesen merkt man - zumindest im Fall von “gerecht” - den Unsterschied ja nicht. Den weiteren Ausführungen des Leser Jaskolla ist absolut nichts hinzuzufügen.

Sönke Peters / 16.09.2015

Während die freie Welt – z.B. Amerika – die Freiheit als Produkt der eigenen Leistung ansieht, für die man stets kämpfen und leiden muss, empfindet es die freie deutsche Willkommens-Jugend wohl als naturgegebenes Geschenk, das man die eigene Freiheit schlicht an Jedermann einfach so verschenken, und auch generell verteilt werden könnte. Vielen Dank, für Ihren Beitrag, Frau Ziessler!

Eva Ziessler / 15.09.2015

@ Heinz Jaskolla: Sie haben selbstverständlich recht. “Verteilen” ist ein transitives Verb. Das K ist da reingerutscht. Vermutlich, weil ich schnurstracks auf das indirekte Objekt zugesteuert bin - und weil es auf die Transitivität ohnehin nicht wirklich ankommt -, habe ich es dann überlesen.

Gerhard Keller / 15.09.2015

Ja, ich habe auch schon länger den Verdacht, dass es beim ständigen Abkassieren durch das Finanzamt gar nicht um Gerechtigkeit für mich geht.

Heinz Jaskolla / 15.09.2015

Liebe Frau Ziessler, natürlich ist “verteilen” ein transitives Verb: “er verteilt Schokolade” enthält Schokolade als Akkusativobjekt, passivisch “die Schokolade wird verteilt”. Sie verwechseln hier offenbar Aktiv und Passiv: “Die Schokolade wird verteilt” ist eine Passivkonstruktion mit dem transitiven Verb “verteilen”; da ist dann natürlich kein Akkusativobjekt möglich. Die Transitivität erkennt man jedoch in der Aktivkonstruktion. Semanisch-grammatische Überlegungen sind hier ohnehin völlig überflüssig. Denn jedermann weiß, daß sich “gerecht” auf die Lasten der Aufnehmenden bezieht, und nicht auf die Wünsche derer, die aufgenommen werden wollen. Und daß es dabei um lasten geht, die man durchaus gerecht verteilen kann, ist trivial. Aber: warum sollte jemand Bedürfnis haben, die Lasten, die andere sich freiwillig aufgebürdet haben, zu teilen, gerecht oder nicht? Wer die Last willkommen heißt, und nachher um Hilfe ruft, verliert nicht nur den Bonus der Hilfsbereitschaft, sondern zugleich seine Glaubwürdigkeit. Jede trage seine Last, insbesondere, wenn er sie gewählt hat - denn dann muß er akzeptieren, daß andere eben nicht so gewählt haben.

Mona Rieboldt / 15.09.2015

Und wie hätten Sie es denn gern? Eine Umfrage unter den Asylanten? “Ja, ich möchte gern nach Bulgarien” oder “nichts lieber als nach Polen”. Und wenn sie dann alle in Deutschland bleiben wollen, dann schaffen Sie die Wohnungen oder am besten, Sie nehmen persönlich einige Asylanten auf. Das wäre doch dann in Ihrem Sinn auch sehr menschlich.

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