Gastautor / 08.05.2022 / 10:00 / Foto: Pixabay / 53 / Seite ausdrucken

Über die Feigheit

Von Wolfgang Sofsky.

Im Weltbild des Feiglings gibt es nur Vorsicht oder Tollkühnheit. Wer etwas wagt, den bezichtigt er blinder Selbstaufopferung. Jeden hält er für einen falschen Helden, der sich überhaupt einer Gefahr aussetzt. 

Er meidet jedes Hindernis. Bei Angriffen weicht er aus, duckt sich ab, sucht zu verschwinden. Entbrennt ein Streit, gibt er Fersengeld. Wittert er Widerspruch, flüchtet er in Zustimmung. Entscheidungen vertagt er, und falls sie nicht mehr zu vermeiden sind, wartet er ab, bis alle beigepflichtet haben. Niemals sieht man ihn in den vorderen Reihen. Er verdrückt sich, schleicht auf leisen Sohlen davon und wartet im sicheren Versteck ab, wie sich die Lage entwickelt. Gerät er einmal ins Visier, markiert er sofort das Opfer, windet sich heraus, stellt sich tot. Um Ausreden ist er nie verlegen. Niemals hat er etwas gewusst, nie war er an etwas beteiligt oder für etwas zuständig. Immer waren es die anderen. Auch ihm habe man übel mitgespielt. Selbstmitleid taugte schon immer zur Maskierung eigenen Kleinmuts. Nur wenn es nichts kostet, hört man ihn lauthals rufen. Vorwitzig drängelt er sich nach vorn und verkündet, was ohnehin alle meinen: Man solle sich endlich einigen, Hader führe zu nichts, Streit nütze niemandem. In der Proklamation von Platitüden ist er groß, für unzeitgemäße Betrachtungen fehlt ihm das Rückgrat. Mit dem Maul sind feige Hunde oft am freiesten. Aber wenn das Handeln beginnt, kuschen sie sofort.

Feigheit ist ein Zustand tiefster Unfreiheit. Sie liefert den Menschen der Angst aus. Handeln und Denken sind blockiert, das Selbstvertrauen ist dahin. In Zeiten der Furcht fühlen sich die Subjekte völlig im Recht, wenn sie sich aus dem Staube machen. Auf dem aktuellen Markt der Moral muss ein Hasenherz kaum Verachtung fürchten. Ritterlichkeit gar, diese alte Tugend der Ehre, kennen nur noch die wenigsten vom Hörensagen. Der Ausflüchte ist kein Ende. Aber alles Gerede von Werten und Leitbildern ist nichts wert, wenn niemand bereit ist, etwas zu riskieren. Immer sollen es die anderen richten: die Gesellschaft, der Staat, die Justiz, die Schule, die Familie. Und immer sind Andere schuld am Zustand des Gemeinwesens: der Staat, die Regierung und die Parteien, die Begüterten und ihre Handlanger, verschworene Mächte und Sekten, der Markt, das Geld.

Der Feigling verkriecht sich in Hoffnungen

Moralisch aufgewertet wird die Feigheit, indem man ihr Gegenteil diskreditiert. Mut oder gar Tapferkeit gelten vielen als Inbegriff törichten Leichtsinns und blinden Abenteurertums. Courage, so heißt es, sei nur eine Sache für Draufgänger und Haudegen, eine Geste tumber Männlichkeit. In Nationen, die kürzlich ungerechte Kriege verloren haben, sind Tapferkeit und Heldentum gründlich entwertet. Hier fühlt sich der Feigling am wohlsten. Unwidersprochen rechnet er sich als moralisches Verdienst an, was ihm einst durch das Dekret der Sieger abverlangt wurde. Er glaubt, aus der Geschichte etwas gelernt zu haben, wenn er sich aus allem heraushält und im Brustton seine Gesinnung verkündet. Aus der Kapitulation macht er eine apolitische Lebenshaltung. Den Appell an die Gerechtigkeit nutzt er als Vorwand, um nichts tun zu müssen. Auf historische Einsichten beruft er sich, um dem akuten Ernstfall aus dem Wege zu gehen. So erscheint der Mutige stets als der Dumme und Ungerechte.

Zweifellos bedarf Mut der Belehrung durch die Klugheit und der Anleitung durch die Gerechtigkeit. Aber ohne Tatkraft verkommt Scharfsinn zu folgenlosem Geplänkel. Und ohne Verve vergeht auch der Sinn für Fairness und Vollkommenheit. Der Feigling meidet Widerstände von vornherein. Larmoyant zieht er sich ins Reich reiner Überzeugung zurück und lässt so alles, wie es ist. Zupass kommt ihm die spießbürgerliche Meinung, wonach sich das Wahre und Gute ohne Einsatz der Person von selbst durchsetzen werde. Der Feigling verkriecht sich in Hoffnungen. Keinesfalls will er sich die Hände beschmutzen oder sich gar mit Verantwortung belasten. Indem er auf das Handeln verzichtet und vor der eigenen Ängstlichkeit kapituliert, gibt er schon im Vorfeld jeglichen Widerstand gegen das Böse auf.

Ohne Courage keine Tugend. Mut und Seelenstärke sind die Voraussetzung aller Vortrefflichkeit. Nur wer sich aus dem behaglichen Zustand seines Sentiments herauswagt, kann sich überhaupt als gerecht, besonnen oder wohlwollend erweisen. Fest und ohne Schwanken zu handeln, galt einst als kardinale Tugend. Daran ist nachdrücklich zu erinnern. Ohne Mut wagt niemand, eine Ungerechtigkeit zu bekämpfen, gegen den Strom der Mehrheit zu schwimmen oder für die eigenen Überzeugungen einzutreten, auch wenn sie den Mächtigen nicht genehm und der Mehrheit verhasst sind. Ohne Tapferkeit hat das Gute keine Chance.

Immer auf der Flucht

Im Weltbild des Feiglings gibt es nur Vorsicht oder Tollkühnheit. Wer etwas wagt, den bezichtigt er blinder Selbstaufopferung. Jeden hält er für einen falschen Helden, der sich überhaupt einer Gefahr aussetzt. Für sich selbst reklamiert er Vernunft und Besonnenheit. Doch von der Tugend wahrer Courage weiß er nichts. Tapferkeit hat ihre Zeit, sobald die Hoffnung schwindet. Der wahre Held ist derjenige, dessen Lage aussichtslos ist und der dennoch widersteht. Wenn nichts mehr zu hoffen ist, gibt es auch nichts mehr zu fürchten. Nicht umsonst sind solche Feinde besonders gefährlich, die alle Hoffnung verloren haben. Sie streiten bis zum letzten Atemzug. Courage ist angezeigt, wenn die Lage düster und die Erfolgschance dürftig ist. Das Hasenherz indes sucht allseits Sicherheit, und sei es die falsche Sekurität der Hoffnung.

Feigheit entspringt fehlender Willensstärke und Selbstbeherrschung. Vor jeder Misshelligkeit schreckt der Kleinmütige zurück. Ganz gibt er sich seiner Ängstlichkeit hin. Vor jeder wirklichen oder eingebildeten Gefahr zuckt er zusammen. In allem bangt er um sich, um seine Unversehrtheit, sein Ansehen, seinen Besitz. Rundum fühlt er sich verletzbar, auch wenn ihn nichts, aber auch gar nichts bedroht. Nicht die Schwäche der Mutlosigkeit lässt ihn verzagen, sondern fehlende Standhaftigkeit. Den Mutlosen beherrscht lediglich müde Lustlosigkeit, der Feigling hingegen ist immer auf der Flucht. Kleinmut ist keine natürliche Anlage des Gattungswesens, sondern eine Haltung, die sich der Mensch selbst zuzuschreiben hat. Auch der Tapfere ist alles andere als frei von Furcht und Schmerz. Aber er widersteht der Anfechtung und pariert das Übel. Tapfer ist, wer die Gefahr fürchtet und trotzdem ausharrt. Feige ist, wer schon verschwindet, bevor er einer Gefahr überhaupt ansichtig geworden ist.

Auszug aus dem Buch „Laster: Gesichter der Unmoral“ von Wolfgang Sofsky. Hier bestellbar bei amazon.de.

Der Beitrag erschien zuerst im Blog des Holbach-Instituts.

Foto: Pixabay

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Jochen Giesler / 08.05.2022

Dieser Beitrag kommt ja nicht zufällig, er kommt zur rechten Zeit, zumal am 8. Mai. Ich fühle mich erhoben: “Der wahre Held ist derjenige, dessen Lage aussichtslos ist und der dennoch widersteht. Wenn nichts mehr zu hoffen ist, gibt es auch nichts mehr zu fürchten. [...]  Sie streiten bis zum letzten Atemzug.” “Ritterlichkeit gar, diese alte Tugend der Ehre”.-  Das ist schön, richtig schön. Das kommt in mein privates Schatzkästlein, worinnen schon andere schöne Sachen sind: “Kein schön´rer Tod ist in der Welt, als wer vorm Feind erschlagen, auf grüner Heid, im freien Feld”. Auch schön: “Königin der Waffen, deutsche Infanterie. Sie bringt die größten Opfer, dafür winkt ihr aber auch der höchste Ruhm”. Oder was klassisches: ” Dulce et decorum est pro patria mori”. Siebzig Jahre Frieden - und ein fauler obendrein! - hat uns verweichlicht. Gut, daß uns die Fanfare des Autors zu großen Dingen ruft. Und ganz nebenbei: Taktische Atomwaffen sind bloß ein Gespenst, mit dem man Kinder und Dumme erschreckt. Wir aber fürchten uns nicht! Nach diesem Beitrag von Herrn Sofasky schon mal garnicht.

Hans Meier / 08.05.2022

Danke Herr Wolfgang Sofsky, Sie haben einen schönen Artikel geschrieben. Nach meiner Erfahrung besteht ja oft ein ungeheurer Widerspruch, bei den „Feiglingen“. Denn einerseits wollen die ganz offensichtlich im Kamera-Licht und auf Bühnen stehen, oft mit narzisstischer Selbstüberschätzung. Das sind aus meiner Sicht die „hauptberuflichen Tagediebe“ mit den höchsten Diätenbezügen. Die sehr „verächtlich mit dem Volk umgehen“, sollte es ihnen zu nahe kommen, oder eine eigene und „wesentlich klügere Überzeugung“ haben. Diese „Mittelpunktsteher der Tagediebe“, sind die „absolut größten Feilinge“ und „flinken Abtaucher“, wenn „die Kacke dampft“ für die sie ursächlich „die Schuld haben“ und Null Bereitschaft zeigen, die verantwortlichen Konsequenzen, zu übernehmen. Wer hat denn von all „den Ober-Serum-Spriztern, den Mut“ sich als „Ober-Arsch zu seiner Sauerei“ zu bekennen? Wo sind denn diese „Flucht-Figuren“ die sich flink ins Gebüsch machen? „Entweder man“ streitet nach allen Regeln mutiger Entschlossenheit für seine souveräne Freiheit in unserer kultivierten Zivilisation, oder Mann/Frau hat bereits alles wichtige verloren. Mann darf sich entscheiden, was einem wichtiger bleibt.

Jens Lück / 08.05.2022

Problematisch wird es allerdings, wenn ich für den “Heldenmut” anderer mit meinem Leben bezahlen soll. Ich bin daher gerne ein Feigling. Die Schützengräben der beiden Weltkriege waren voller zerfetzter toter Helden. Für mich ist Held ein Synonym für einen Dummkopf, der sich von anderen zu seinem eigenen Schaden benutzen lässt. Und ich bin nicht nur ein Feigling, sondern auch noch ein Egoist. Mich interessieren Kriege in korrupten, von irgendwelchen Geheimdiensten finanzierten Staaten nicht im Geringsten. Die können sich gerne die Köpfe einschlagen, solange mich das nicht tangiert. Und falls es bedrohlich näher kommt, dann muss ich eben dahin gehen, wo ich meine Ruhe habe. Und genau das tue ich gerade.

Gerhard Schäfer / 08.05.2022

@Rolf Lindner: Mit einem treffenden Gedicht, bringt Lindner in das Thema Licht! Seine Verse treffen hier, -  und ich merk sie mir!

p.bruder / 08.05.2022

Wären die Opfer der NS-Diktatur mutig gewesen wie Scholl oder Stauffenberg, dann hätten sie sich nicht wie Lämmer verhalten, sondern Widerstand geleistet! Aber sie liessen die Aliierten für sich kämpfen, diese Feiglinge!

Eva-Maria Glatzle / 08.05.2022

Vielen Dank für Ihre Reime, @ Rolf Lindner, hier und an anderer Stelle. Gut auf den Punkt gebracht. MfG.

Bernhard Piosczyk / 08.05.2022

@Dieter.Kief. Joe Biden ist kein Präsident.

Dirk Jungnickel / 08.05.2022

Nun sollte man aber nicht darauf verfallen, vermeintlichen Mut als das Gegenteil von Feigheit zu verkennen. Die Ukraine - Petitionen haben mit Mut nix zu tun, auch wenn das die “intellektuellen” Unterzeichner so sehen. Sie schlüpfen nämlich mit ihrer Aktion unter eine Blase, in der ihnen niemand an den Karren fahren kann;  das ist zwar ihr Recht, aber letztlich ist es nichts weiter als Aktionismus.

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