Henryk M. Broder / 20.10.2007 / 10:40 / 0 / Seite ausdrucken

Über Bande denken

David Harnasch hat sich an dieser Stelle bereits mit einer Äußerung des Berliner Verlegers Klaus Wagenbach zum Antisemitismis der jungen Linken beschäftigt, die “beim Attentat auf die israelischen Sportler bei der Olympiade in München Beifall klatschten” und auch sonst schwer einen an der Klatsche hatten. http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/kollektivhaftung/ Es bleibt nur noch eine Kleinigkeit nachzutragen. Wenn einer wie Wagenbach über einen jüdischen Dichter promoviert hat, bedeutet das nicht automatisch, dass er vom Judentum und Antisemitismus eine Ahnung hat. Wagenbach gehört zu den intellektuell am meisten überschätzten Gestalten der alten Bundesrepublik, seinen Ruf als “Linker” verdankt er vor allem dem Umstand, dass er Bücher verlegt hat, die zum großen Teil unlesbar waren und deswegen zur “kritischen Theorie” gerechnet wurden. Alles, was von ihm bleiben wird, ist die Erinnerung an einen Mann, der rote Socken getragen hat, um seine Gesinnung zu demonstrieren.
Das reicht aber nicht, um zu erklären, warum ein großer Teil der Linken auf den Anti-Israel-Trip gegangen ist. Sogar Wagenbach müßte wissen, dass eine Behauptung dann keinen Sinn ergibt, wenn auch das Gegenteil sinnlos ist. Wenn er also sagt, die jungen Leute wurden auf die “Seite der Palästinenser getrieben”, weil Springer ein “selbsternannter Philosemit” war, dann muss man fragen: Wären sie auf die Seite der Israelis “getrieben” worden, wenn Springer ein “selbsternannter Antisemit” gewesen wäre? Sehr unwahrscheinlich, aber das ist es, was der Satz von Wagenbach impliziert.

Auch für den selbsternannten Antisemitismus-Experten Wagenbach gilt: “Es genügt nicht nur, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.” (KK) Egal welcher Salonphilosoph sich auf die Suche nach den Ursachen des Antisemitismus begibt, er stellt immer die Frage: WARUM die Juden? Die richtige Frage freilich muss lauten: Warum DIE JUDEN? Der einzige deutsche Akademiker, der diese Frage stellt und kluge Antworten anbietet, ist Gunnar Heinsohn.
Machen Sie mal einen einfachen Test. Sagen Sie auf einer Party oder beim Essen ganz beiläudfig: “An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld.” Oder: “Die Juden und die Rentner.” Oder: “Die Juden und die Zuckerbäcker.” In neun von zehn Fällen wird man Sie fragen: “Wieso die Radfahrer? Wieso die Rentner? Wieso die Zuckerbäcker?”  Dass Juden an allem schuld sind, ist so selbstverständlich, dass es nur in Ausnahmefällen in Frage gestellt wird.
Wagenbach hat zwar promoviert (über Kafka), aber um diesen Mechanismus zu begreifen, ist er zu doof. Oder zu links. Oder beides.  In seiner Erinnerung wurden willenlose junge Leute an die Seite der Palästinenser “getrieben”, weil Springer ein “selbsternannter Philosemit” war. Und nicht deswegen, weil die Palästinenser den Job zu vollenden versprachen, den die Eltern und Großeltern dieser jungen Linken nicht zu Ende bringen konnten.
Ähnlich vorwitzig wie Wagenbach argumentiert auch Willi Winkler, der auch schon nachgewiesen hat, dass für den Überfall auf Pearl Harbor die Amerikaner die Verantwortung tragen, weil sie einen Grund brauchten, um Japan den Krieg zu erklären. Also wurden pazifistische japanische Admirale dazu verführt, die amerikanische Pazifikflotte anzugreifen, die aggressiv auf der Lauer lag und nur darauf wartete, vernichtet zu werden.

Ja, auch Willi Winkler gehört zu den großen Philosophen unserer Tage, die gerne über Bande denken. Jetzt hat er in einem Interview mit der taz erklärt, warum die RAF nicht antisemitisch war.  Winkler geht nicht so weit zu sagen, die RAF sei “israelkritisch” gewesen, ein Adjektiv,  auf dem langsam der Platz knapp wird, weil sich alle Antisemiten darauf drängeln wie Engel auf einer Nadelspitze, er formuliert es noch feiner:

“Die deutschen Revolutionäre ließen sich von den Palästinensern ausbilden, die ständig damit drohten, die Juden ins Meer zu treiben. Diese Verbindung zu den Palästinensern entstand aber nicht etwa aus einem gemeinsamen Antisemitismus, sondern weil die Linksradikalen Ende der 60er-Jahre die Waffenbrüderschaft mit einer Befreiungsbewegung suchten. Die Guerilla in Lateinamerika war zerschlagen, Vietnam war zu weit weg. In Palästina gab es, ein paar Flugstunden entfernt, ein unterdrücktes Volk, und Israel ließ sich da leicht zum Aggressor aufbauen.”

http://www.taz.de/nc/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=tz&dig=2007%2F10%2F18%2Fa0140&src=GI&cHash=3f23d7d7b1

It’s the location, stupid! Hätte sich die ETA, die IRA oder die korsische Fronte di Liberazione Naziunale Corsu bereit erklärt, die deutschen Revolutionäre auszubilden, hätten diese das Angebot gerne angenommen,  um jedes Wochenende zu Malzkaffee und Streuselkuchen nach Bad Cannstatt zu Mutti fahren zu können, statt im palästinensischen Wüstensand zu exerzieren. Nicht nur der Boden der deutschen Geschichte reicht bis nach Palästina, man kommt auch mit dem Flugzeug schnell hin. So baut sich jeder seinen Popanz: Bei Wagenbach ist es der “Philosemit” Springer, der brave junge Linke dazu gebracht hat, Antisemiten zu werden, bei Winkler ist es die günstige Lage der Ausbildungsplätze. Nur die Antisemiten selber können nix dafür, dass sie Antisemiten sind.

“Die RAF war nicht ganz so schlicht”, sagt Winkler. Der Willi ist es.

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