Twitter-Schnellkurs Lauterbach

Die CSU schlägt Karl Lauterbach als Gesundheitsminister vor. Wer dessen Twitter-Einlassungen verstehen will, sollte sie einzeln auf sich wirken lassen. In der Zusammenschau ist es schwer möglich, irgendeine Konsistenz zu entdecken.

Ich habe mir über Thanksgiving einmal die Twitter-Verlautbarungen des Dr. Karl Lauterbach angeschaut, eines Politikers, der in dieses Medium noch mehr verliebt ist als Donald Trump es war. Da fiel mir ein interessanter Tweet vom Dienstag auf, bei dem sich mir sofort die Frage aufdrängte, wie oft er uns eigentlich gerne zwangsweise durchimpfen möchte:

„Für Impfpflicht spricht auch dass Genesene nach Wissensstand heute mehrfach, vielleicht sogar regelmässig [sic] erkranken würden. Für viele würde Körper nach jeder Runde schwächer weil vorgeschädigt. Wenn man sich das selbst antut: irrational oder unwissend. Impfpflicht schützt alle“

Es soll also die Immunität nach einer Infektion mit SARS-CoV-2, gar einer Erkrankung mit Covid-19, nicht lange anhalten. Insofern die Impfungen eine Immunantwort gegen dasselbe Spike-Protein nach grob demselben Mechanismus erzeugen wie eine Infektion auch, läge es nahe, dass, wenn das stimmt, auch der Schutz durch die Impfungen nicht lange anhält. Dr. Lauterbach scheint das ähnlich zu sehen

„Die Studie widerlegt die frühere Annahme, dass Durchbruchinfektionen in erster Linie Ältere betreffen würden. Aber: Auch bei Jüngeren steigt Risiko fast exponentiell mit der Zeit. Daher muss jeder eine Booster Impfung bekommen“

Das Risiko einer Infektion soll also nach einer durch die Impfung erworbenen Immunität „fast exponentiell mit der Zeit“ ansteigen. Daraus würde dann aber folgen, dass nicht nur „Genesene“, sondern auch „Geimpfte“, auch mit „Booster Impfung“, „nach Wissensstand heute mehrfach, vielleicht sogar regelmässig erkranken würden.“

„Risiko fast exponentiell mit der Zeit“

Daraus kann man eigentlich nur eine Schlussfolgerung ziehen, die Dr. Lauterbach zwar impliziert, aber nicht offen erklärt: Eine Impfung und auch die von Dr. Lauterbach empfohlene „Impfpflicht“ bräuchte man nicht wie bei Pocken oder Masern in ein oder zwei Dosen, sondern es müssten als Dauerzustand alle regelmäßig zwangsgeimpft werden, vielleicht alle vier Monate. Sonst würden sie ja trotz Impfung und trotz Booster „mehrfach, vielleicht sogar regelmässig erkranken“, „Risiko fast exponentiell mit der Zeit“.

Ist es das, was Dr. Lauterbach vorschlägt? Wenn ja, dann würde die Redlichkeit fordern, das auch so zu erklären. Man dürfte auch eine Antwort auf die Frage erwarten, ob und unter welchen Voraussetzungen das Zwangsimpfen mehrmals im Jahr irgendwann aufgegeben werden könnte. So schreibt er

„Bei der Kombination R-Wert Delta Variante und zu geringes freiwilliges Impfen würden wir spätestens im nächsten Herbst die gleichen Probleme erwarten. Sogar ein [sic] Frühjahrswelle ist nicht ausgeschlossen. Die Impfpflicht beendet den Horror.“

Wie genau, wenn seiner Ansicht nach die Impfung nicht lange wirkt, eine Impfpflicht jetzt „den Horror“ im nächsten Herbst beenden soll, bleibt unklar, setzt man nicht voraus, dass bis dahin zwangsweise mindestens einmal nachgespritzt werden müsse. Er hat dafür auch schon eine schöne Sprachregelung vorgeschlagen:

„Somit verfällt die Impfung nicht, sie ist ohne Booster nur nicht abgeschlossen. Gilt für jedes Alter, 6 Monate“

Mit einer Impfung alle sechs Monate – laut anderer Tweets häufiger – ist die Impfung natürlich nie „abgeschlossen“ und auch wenn sie sprachlich nicht „verfällt“, die Impfnachweise als Zugang in die Öffentlichkeit oder als Schutz vor Bußgeldern und Zwangsmaßnahmen sollen das wohl tun.

Auf zum letzten Gefecht oder permanente Revolution?

Freilich, die Datenlage gibt die Lauterbach’sche Panik nicht wirklich her. Die von ihm verlinkte Studie selber schreibt, dass der Schutz vor Erkrankungen und insbesondere schweren Verläufen mehr von der zellulären Immunität abhänge, der Schutz vor einer nachweisbaren Infektion mehr von den schneller abfallenden Antikörpern, dass deswegen der Abfall der Antikörper „nicht notwendig einen Anstieg an Todesfällen, Krankenhauseinweisungen oder Intensivpflegeeinweisungen vorhersagt.“

In der geistigen Welt des Dr. Lauterbach ist es aber ein Kernpunkt, dass er zwischen einer nachweisbaren Anwesenheit von Virusmaterial und einer vielleicht schweren Krankheit prinzipiell nicht unterscheidet. Der PCR-Nachweis ist ohne weitere Symptome die Erkrankung – außer bei frisch Geimpften, da ist es ein Gewinn (Retweet Lauterbach), weil die Infektion sonst symptomatisch gewesen wäre. In der echten Welt ist es dagegen eher der Normalfall, dass neue derartige Erreger endemisch werden, immer noch vorhanden bleiben, aber der angerichtete Schaden sich in Grenzen hält. Nach knapp zwei Jahren dürften die meisten Leute bereits „geimpft, genesen oder gestorben“ sein, das heißt irgendwie exponiert gewesen sein und jedenfalls eine gewisse Immunantwort erzeugt haben.

Vielleicht hatte ich zu hohe Erwartungen an Dr. Lauterbachs Twitter-Konto, als ich aus seinen Verlautbarungen innerhalb weniger Tage eine konsistente Position herauslesen wollte. Einmal schreibt er „Jetzt kommt letzte Runde“, die strengste Einschränkungen und Kontrollen erforderlich mache, und weiter „Impfpflicht würde erst in 2 Mon [sic] wirken“, womit sie eigentlich logischerweise überflüssig wäre, weil zu spät für „die letzte Runde“. Dann wieder „würden wir spätestens im nächsten Herbst die gleichen Probleme erwarten“ und nur „[d]ie Impfpflicht beendet den Horror.“ Was jetzt? Auf zum letzten Gefecht oder permanente Revolution? Konsistent ist lediglich die anhaltende Stimmung der Panik, in der die einzelnen Nachrichten dann ohne große Rücksicht auf innere Konsistenz im Sinne dieser Panik gelesen werden. Schrieb er nicht: „irrational oder unwissend“?

So oder so bleibt Dr. Lauterbach aber einer der einflussreichsten Gesundheitspolitiker in der Partei, die den neuen Bundeskanzler stellen wird. Bevor man über eine Impfpflicht, die selbst nach Dr. Lauterbachs zeitweiliger Ansicht die gegenwärtigen Probleme nicht rechtzeitig lösen wird, auch nur redet, hat die Öffentlichkeit jedenfalls eine Antwort verdient, ob mit diesem Vorschlag auch eine wiederholte Nachspritzpflicht verbunden sein wird. Und man sollte sich die Frage stellen, ob man die Antwort glauben kann und will. Im März schrieb Dr. Lauterbach nämlich noch: „Jeder, der sich nicht impfen lassen will, hat dazu natürlich voll das Recht. Ich bin gegen eine Impfpflicht.“

 

Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder.

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Leserpost

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Olaf Hüffner / 30.11.2021

Die Verlautbarungen von Herrn L. werden in einigen Fachbereichen der Medizin als Perseveration bezeichnet.

Helmut Bühler / 30.11.2021

Jo, Karl, der Salzlose redet jede Menge Unfug. Von Zeit zu Zeit entgleiten ihm eben die Elektrolyte, dann wird’s besonders irre. Kann man nichts machen, das müssen wir ertragen. Wir sind nicht nur gegen Zwangsimpfung sondern auch gegen Zwangssalzung (selbst wenn letztere vermutlich sogar heilsamer wäre als erstere).

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