Stefan Frank / 30.08.2022 / 16:00 / Foto: Achgut.com / 10 / Seite ausdrucken

Tunesierin wird erste Afrikanerin im All

Auch wenn Tunesien als arabisches Vorbild für Frauenrechte gilt, steht echter gesellschaftlichen Fortschritt hin zur völligen Gleichberechtigung der Frauen immer noch aus. 

Im Hauptquartier des tunesischen Technologiekonzerns Telnet wurden am 13. August acht Tunesierinnen als Kandidatinnen für das erste tunesische Raumfahrtprojekt der Öffentlichkeit vorgestellt. Alle sind Absolventinnen der Fliegerschule von Borj Al-Amri und dienen als Kampfpilotinnen in der tunesischen Luftwaffe.

Die Gewinnerin des Auswahlwettbewerbs wird zugleich die erste Afrikanerin im Weltraum sein. Die Mission, die im Rahmen einer 2021 unterzeichneten, bilateralen Vereinbarung mit Russland stattfindet, soll im März 2024 beginnen und zehn Tage lang dauern. Derzeit nehmen die Kandidatinnen an Eignungsprüfungen teil. Sechs von ihnen werden für weitere Tests ausgewählt. Die beiden Besten reisen anschließend zum Kosmonauten-Ausbildungszentrum Juri Gagarin im „Sternenstädtchen“ (Swjosdny Gorodok) bei Moskau. Eine der Frauen wird zur Internationalen Raumstation ISS reisen, die andere sich als Ersatz bereithalten.

Das Datum war mit Bedacht gewählt: Der 13. August ist Tunesiens Tag der Frau. Am 13. August 1956, weniger als fünf Monate nach der staatlichen Unabhängigkeit, erließ der damalige Ministerpräsident und spätere Präsident Habib Bourguiba ein Dekret, das als Code des persönlichen Status (CPS) Tunesiens Frauen Rechte einräumte, die mit der damaligen Tradition in vielerlei Hinsicht brachen.

So wurde ein Mindestalter für die Eheschließung festgesetzt, 18 Jahre für Männer, 15 Jahre für Frauen. Eine Scheidung war nicht mehr das alleinige Privileg des Mannes, der seine Frau nach Belieben verstoßen konnte, sondern wurde einem weltlichen Scheidungsgericht unterstellt. Dieses muss von beiden Ehepartnern gemeinsam angerufen werden, außer in Fällen, in denen einem der Partner durch den anderen Leid zugefügt worden ist. Polygamie, damals schon selten, wurde verboten.

Reform geplant …

Tunesien gilt seither als „arabisches Vorbild für Frauenrechte“. Aber das Bild ist nicht ungetrübt. So fortschrittlich der Code des persönlichen Status für damalige Verhältnisse war und im Vergleich zu anderen Ländern der Region heute noch ist, enthält er auch Bestimmungen, die Frauen benachteiligen. Der Mann wird in dem Dekret zum „Oberhaupt der Familie“ erklärt, was ihm Vorteile verschafft. Zudem übernahm der Code die islamische Tradition, dass ein Sohn doppelt so viel erbt wie eine Tochter.

Am Frauentag 2018 setzte Tunesiens damaliger Präsident Beji Caid Essebsi dieses Thema wieder auf die Tagesordnung und reagierte damit auf Empfehlungen der Kommission für individuelle Freiheiten und Gleichheit (Colibe), die er im August 2017 eingerichtet hatte.

Während er von anderen Empfehlungen dieser Kommission, etwa der Entkriminalisierung von Homosexualität oder der Abschaffung der Todesstrafe, nichts hören wollte, versprach er, „einen Gesetzesentwurf zur Gleichstellung der Geschlechter im Erbrecht“ vorzuschlagen. Zur Begründung dieser Entscheidung verwies Essebsi auf die Verfassung von 2014, die bekräftigt, dass männliche und weibliche Bürger gleiche Rechte und Pflichten haben.

… aber nicht umgesetzt

Das Kabinett stimmte einer entsprechenden Gesetzesvorlage zu, doch im Parlament wurde nie darüber abgestimmt. Im Juni 2019 erkrankte Essebsi schwer und verstarb im folgenden Monat. Der derzeitige Regierungschef Kais Saied lehnt eine Reform des Erbrechts ab. Bei einer Rede zum Nationalen Tag der Frau 2020 sagte er, jegliches Reden über Gleichheit bei der Erbschaft sei „nicht unschuldig“, sondern darauf aus, eine „falsche Debatte“ anzuzetteln. „Der koranische Text ist klar und erlaubt keine Interpretation“, so Saied.

Der Präsident hat eine Regierung einberufen, die sich zu mehr als einem Drittel aus Frauen zusammensetzt. An der Spitze steht mit der Geologin Naja Boden ebenfalls eine Frau. Präsident Saied hat sicherlich auch nichts dagegen, dass eine Frau in den Weltraum fliegt. Nur echten gesellschaftlichen Fortschritt hin zur Gleichberechtigung der Frauen in Tunesien gibt es mit ihm gewiss nicht.

Und selbst die jetzigen Rechte von Frauen könnten jederzeit zurückgenommen werden. Die neue Verfassung gibt dem Präsidenten fast unbeschränkte Macht und nennt in Artikel 5 als Staatsziel die „Verwirklichung der Ziele des reinen Islam bei der Bewahrung von Leben, Ehre, Geld, Religion und Freiheit“.

Seifenoper – leider in Realität

Das kulturelle Klima ist nicht günstig. Wenige Tage vor dem 13. August berichteten Tunesiens Medien über einen Vorfallwie aus einer Seifenoper. Eine Fernsehschauspielerin wurde angeblich des Ehebruchs überführt. Sie soll ihren Ehemann, einen Regisseur, mit einem jüngeren Mann betrogen haben. Der Ehemann hatte sie mit Überwachungskameras beobachtet. Die Polizei verhaftete die Frau und den jungen Mann und fand angeblich auch Drogen.

„Nur Feministinnen prangern den Ehepartner und seine Praktiken an“, sagte die Tunesierin Anissa Dridi gegenüber einer Reporterin des französischen Magazins Jeune Afrique. „Wenn es um einen Mann geht, hat er Schneid, seine Frau zu betrügen, wenn es um eine Frau geht, wird sie zu weniger als nichts.“ Dridi befürchtet, dass die Errungenschaften von Tunesiens Frauen rückgängig gemacht werden könnten – im Namen der „Moral“.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

Foto: Achgut.com

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Hans-Peter Dollhopf / 30.08.2022

Marcel Seiler / 30.08.2022: “Wir im [Abendland] verstehen von diesen Gesellschaften viel zu wenig, als dass wir beurteilen könnten, was die Änderungen der Regeln dort bewirken oder gar anrichten.” - - - - Wie mag das dann erst umgekehrt sein, wenn die dort noch nicht einmal Professuren für Okzidentialistik haben, aber mit Carola Racketes Schlepperboot hier anlanden?

Hans-Peter Dollhopf / 30.08.2022

“Tunesien gilt seither als ‘arabisches Vorbild für Frauenrechte’.” - - - - Wertewesten - in all seiner Verletzlichkeit! Wer sich das Akronym Pegida auf der Zunge zergehen lässt, der schmeckt seinen Wert: “Gegen die Islamisierung des Abendlandes”. Karl May, hilf! Das Abendland ist der Westen!  Die Werte des Abendlandes, des Westens. Tautologie. Alle, die den “Werte-Westen” verteufeln, sie sind am Ende der Parteilichkeit für Putin, den Islam, auch Feinde der Pegida. Die Persisch-Amerikanerin Anousheh Ansari startete am 18. September 2006 von Baikonur aus zur ISS. Arnaldo Tamayo Méndez aus Cuba war 1980 erster Afro-POC im Weltall. Guion Bluford folgte 1983 als erster Afro-POC-Nordamerikaner. Mae Jemison war 1992 die erste US-Afro-POC-Frau im All. Die Tunesisch-Afrikanerinnen kommen spät. Warum? Sind nun wieder wir daran schuld? Oder die.

Marcel Seiler / 30.08.2022

Ich halte die Propagierung von Frauenrechten nach westlichem Verständnis für Kulturen, die ganz anders sind als westliche Gesellschaften, für verkehrt. Leider tut dieser Artikel das. Wir im Westen verstehen von diesen Gesellschaften viel zu wenig, als dass wir beurteilen könnten, was die Änderungen der Regeln dort bewirken oder gar anrichten. –– Gleichzeitig bestehe ich darauf, dass Menschen, die aus anderen Kulturen bei uns einwandern, sich unseren Regeln unterwerfen; wer das nicht will, muss zu Hause bleiben.

Silvia Schulz / 30.08.2022

Wie ich immer sage: die Scharia wird zum großen Teil erst durch die Frauen möglich. Klar, sie haben ihrem eigenen Sohn nichts zu sagen, laufen hinter dem Mann und sind gegenüber Männern extrem devot. Aber der Prestigegewinn gegenüber der ungläubigen Frau, gegenüber der nicht Gehorsamen, gegenüber der Peer group ist offenbar durch Freiheit nicht aufzuwiegen. Der zufriedene Gesichtsausdruck, den ich in Ägypten bei den Tugendhaften gesehen habe, wenn sie eine “Schwester” ermahnen können, spricht für sich. Da ich häufig für eine Ägypterin gehalten wurde, kam ich oft in den Genuss unerwünschter “Ratschläge”. Sie werden sich ihre kostbare Hierarchie, in der frau mit einem Stück Stoff auf dem Kopf fast ganz oben ist, nicht nehmen lassen. Moslemische Frauen erinnern mich oft an den schwarzen Haussklaven in “Django” von Tarantino. Stockholm Syndrom in Vollendung. Deshalb wird es keine Veränderung im Islam zum Besseren geben, zumal mit dem Stück Stoff und einer Menge Arroganz alle Regeln des anständigen Anziehens und dezentem Makeup obsolet sind. Zumindest im Westen trägt die islamische jüngere Frau oft Leggins, die im Schritt einschneiden und Tonnen von Farbe im Gesicht und verachtet die eigene Schwester, die elegant gekleidet und geschminkt ist und die Haare unbedeckt trägt. Ein Stück Stoff macht sie in ihrer Doppeldenk Welt frei, auf andere herabzublicken. Frauen sind untereinander selten aufrichtig nett, der Islam bedient den Konkurrenz- und Neidfaktor bei meiner Spezies perfekt. Mohamed war amoralisch aber nicht dumm. Wer ausschert, hofft umsonst auf Solidarität. Die Frauen, die sich nach Freiheit sehnen, schließen sich nicht zusammen, die Angst vor Gewalt ist zu groß, da die Braven bei den Männern petzen. Und ob der Mann will oder nicht, der Druck auf ihn, die Ungehorsame zu bestrafen ist gewaltig. Meiner persönlichen Meinung nach hat der Islam unter anderem wegen dieser Neurose keine Erfindungen, Entdeckungen und Literatur vorzuweisen. Keine Zeit dafür.

Max Wedell / 30.08.2022

Heute den Nachrichten entnommen: ” Frühestens 2025 will die NASA mit ihrer Mission “Artemis II” wieder Menschen dorthin [zum Mond] schicken, erstmals auch eine Frau und eine nicht-weiße Person.” Hätte ich mir ja denken können, daß ein neues Mondprogramm heutzutage nur noch durchführbar ist, wenn es als Diversity-Förderprogramm getarnt werden kann.

Frank Stricker / 30.08.2022

13. August in Tunesien, Tag der Frau, in Deutschland hat der 13.August kein schönes “Karma”, Tag des Mauerbaus. Sarkastisch könnte man anfügen, beiden Ereignissen war wohl kein großer Erfolg beschieden…..

Fred Burig / 30.08.2022

Und aus lauter Frust, weil in Tunesien nur Frauen für das Raumfahrtprojekt ausgesucht wurden, haben sich vermeintlich benachteiligte männliche Goldstücke auf den Weg nach Deutschland aufgemacht, um hier ihre wahren Fähigkeiten zu demonstrieren. MfG

Hans Reinhardt / 30.08.2022

Warum nicht? Als Muslima muss sie natürlich sehr vorsichtig sein, schließlich gibt es schon lange “Schweine im Weltall” (der tapfere Captain Ringelschwanz, der Erste Offizier Piggy und der unheimliche Dr. Speckschwarte). So ganz halal ist es da oben also nicht.

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