Stefan Frank / 07.12.2020 / 16:30 / 14 / Seite ausdrucken

Tunesien, Israel und der enthauptete Lehrer

Der vor zwei Monaten in Éragny, einem Vorort von Paris, verübte Mord an dem französischen Lehrer Samuel Paty wurde von Islamisten in aller Welt begrüßt und verherrlicht. Sie feiern Abdoullakh Anzorov, den 18-jährigen Tschetschenen, der den 47-jährigen Paty auf offener Straße enthauptete, weil dieser mit seinen Schülern über sogenannte „Mohammed-Karikaturen“ diskutiert hatte.

Mit dem Sammelbegriff „Mohammed-Karikaturen“ werden in der öffentlichen Debatte jegliche humoristischen Zeichnungen bezeichnet, die irgendeine – gemäß den maßgeblichen sunnitischen Rechtsschulen verbotene – bildliche Darstellung des islamischen Propheten und Religionsstifters enthalten. Wie die Strafverfolgungsbehörden in Israel und in Tunesien – jenem islamischen Land, das vielen als (einzige) „Erfolgsgeschichte des arabischen Frühlings“ gilt – auf die Glorifizierung des Mörders reagieren, zeigt, wie verschieden die beiden Gesellschaften sind.

Reaktion in Israel …

In Israel wurde der islamische Gelehrte Scheich Issam Amira nach eigenen Angaben von der Polizei abgeholt und verhört, nachdem er die Enthauptung Patys im Internet gepriesen hatte. In Tunesien wurde zur selben Zeit der Blogger Wajdi Mahouechi verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, weil er im Internet Kritik daran geübt hatte, dass es Islamisten in Tunesien möglich ist, den Mord an Paty öffentlich zu preisen, ohne dass dies strafrechtliche Konsequenzen hätte.

Laut MEMRI – einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Washinton D.C., die ausgewählte, öffentlich zugängliche Quellen aus dem Nahen Osten und Südasien aus den jeweiligen Landessprachen ins Englische übersetzt und so einer breiteren Leserschaft zugänglich macht – äußerte sich Scheich Issam Amira am 15. November gegenüber dem libanesischen Fernsehsender Al-Waqiyah TV:

„Was [über mich] berichtet wurde, ist richtig. Es geschah vor ungefähr zwei Wochen, als ein Videoclip einer Fragerunde aus einem Vortrag in der Al-Aqsa-Moschee veröffentlicht wurde. Er befasste sich mit dem Thema Sicherheit und Angst in der Welt aus islamischer Sicht.

Ich beschrieb die Ermordung des Franzosen, der den Propheten Mohammed verleumdet hatte. Ein junger muslimischer Mann tötete und enthauptete ihn. Ich sagte, dass dies kein Terrorismus sei, sondern eine große Ehre und ein Akt der Verteidigung der Ehre unserer [islamischen] Nation, weil der Prophet Mohammed der Punkt ist, an dem wir eine Grenze ziehen, die nicht überschritten werden darf.“

Sobald dieser Ausschnitt veröffentlicht worden sei, habe die israelische Polizei jemanden zu ihm nach Hause geschickt, um ihn zu einem Verhör zu beordern, sagte Amira. Das Verhör habe lange gedauert, und weil es an einem Freitag stattgefunden habe, habe er das Freitagsgebet verpasst. Anschließend habe die Polizei ihm verboten, die Al-Aqsa-Moschee in den nächsten sechs Monaten zu betreten. Amira kommentiert dies so:

„Die jüdische Entität spiegelt das Verhalten Europas wider. Sie hat begonnen, [die europäische Politik] umzusetzen, wie ich persönlich gesehen habe. Ich sagte demjenigen, der mich verhörte, dass ich durch die Kommentierung des Vorfalls in Frankreich von meinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht habe. Aber er sagte: ‚Nein, das ist keine Meinungsfreiheit.’ Ich fragte ihn: ‚Stellt die Beleidigung des Propheten Mohammed und der anderen Propheten freie Meinungsäußerung dar? Genau wie Sie rote Linien haben, hat der Islam rote Linien.’“

… und in Tunesien

Wie Scheich Amira glorifizierten zur selben Zeit auch Islamisten in Tunesien die Enthauptung des Lehrers und feierten den Täter. Auch in Tunesien hatte das Folgen – für jemanden, der daran Anstoß nahm. Wajdi Mahouechi ist 31 Jahre alt und äußert sich regelmäßig auf Facebook. Die folgenden Tatsachen wurden von Human Rights Watch (HRW) berichtet; auch französischsprachige Medienberichte über den Fall beziehen sich auf HRW als Quelle.

Am 1. November 2020 stellte Wajdi Mahouechi ein Video auf Facebook, in dem er auf das von einem Imam ins Internet gestellte Video reagierte, in dem dieser die Ermordung von Menschen rechtfertigte, die den Propheten Mohammed beleidigen oder karikieren. Wajdi Mahouechi sagte, er sei schockiert und kritisierte die Staatsanwaltschaft wegen ihrer Untätigkeit. Den Staatsanwalt nannte er einen „Feigling“.

Am nächsten Tag, es war der 2. November, wurde Mahouechi festgenommen. Laut HRW wurde er von einer auf Terrorismusbekämpfung und organisierte Kriminalität spezialisierten Abteilung der Polizei verhört und sitzt nun in einem Gefängnis in Tunis, nachdem er in einem Schnellverfahren zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden ist.

Dem Bericht von HRW zufolge dauerte das Verhör „mindestens vier Stunden“ und fand im Beisein von Mahouechis Rechtsanwalt Mohamed Ali Bouchiba statt, der Mitgründer einer Bürgerrechtsorganisation namens Blogger ohne Ketten ist, die Menschen vor Gericht vertritt, die wegen Meinungsäußerungen in den sozialen Medien des Internets verfolgt werden.

„Wir beobachten eine steigende Zahl von Anklagen“

Bouchiba sagte, die Polizeibeamten seien spätabends zu dem Haus von Mahouechis Familie gekommen, um nach ihm zu suchen. „Wir wussten, dass er verhaftet werden würde“, so Bouchiba. „Die Beamten holten ihn nur einen Tag, nachdem er das Video gepostet hatte.“ Mahouechi, so der Anwalt, habe im Verhör gesagt, dass sein Posting nicht gegen irgendjemanden gerichtet gewesen sei, sondern er sich nur als whistleblower habe betätigen wollen, der auf das Video des Imams aufmerksam macht, mit dem einzigen Zweck, extremistische Ideen und Terrorismus zu verurteilen.

Das Gericht der untersten Instanz in Tunis verurteilte Mahouehchi wegen Verstoßes gegen Artikel 128 des tunesischen Strafgesetzbuchs, in dem es heißt:

„Es wird mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe von 120 Dinar bestraft, wer durch öffentliche Rede, Presse oder andere Medien einen Beamten oder eine ihm gleichgestellte Person illegale Tätigkeiten im Zusammenhang mit seiner Dienstausübung nachsagt, ohne die Wahrheit [der Anschuldigung] zu beweisen.“

Zudem befand es ihn des Verstoßes gegen Artikel 86 des Telekommunikationsgesetzes für schuldig, der sich gegen jene richtet, die „über öffentliche Telekommunikationsnetzwerke bewusst andere schädigen oder stören“ sowie des Verstoßes gegen Artikel 245 des Strafgesetzbuchs, der besagt, dass „jede öffentliche Anschuldigung oder Unterstellung einer Handlung, die der Ehre oder der Rücksichtnahme auf eine Person oder ein Verfassungsorgan schadet“, eine strafbare Beleidigung darstellt.

„Wir beobachten eine steigende Zahl von Anklagen, die uns an die Verhaftungen und Verfahren gegen Blogger und Kritiker in den sozialen Medien im Jahr 2017 erinnert“, sagt Rechtsanwalt Bouchiba. „Die Verfolgung hat nie wirklich aufgehört. Sie hatte sich nur verlangsamt und ist jetzt wieder auf dem Niveau von damals.“

In Israel also werden diejenigen zum Verhör gebeten, die Morde rechtfertigen und verherrlichen und so mindestens indirekt zu weiteren Morden aufrufen. In Tunesien geht die Staatsanwaltschaft gegen solche Leute nicht vor – lässt aber diejenigen einsperren, die Staatsanwälten Untätigkeit vorwerfen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

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Leserpost

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Volker Kleinophorst / 07.12.2020

Man kann den Islam den Koran nicht mißverstehen. Er ist sehr deutlich, wenn es darum geht, zu zeigen, wie er tickt und wie man zu “Ungläubigen” steht. Warum ist das so schwer zu sehen oder gar zu verstehen? Es ist wie in dem Märchen mit Skorpion und Frosch. Der Skorpion sticht den Frosch, der ihn über den Fluss bringt, obwohl er selber dabei stirbt. Warum, fragt der Frosch? Der Skorpion: “Es ist halt meine Natur.” Man kann es auch Fundamentalismus nennen. Der Islam wird sich nie ändern. Er darf es gar nicht, das hat “der Prophet” schließlich so festgelegt und mit Abtrünnige mit einer Fatwa belegt. Und wer das seit Jahrhunderten (5 mal beten täglich ist natürlich keine Gehirnwäsche.) verinnerlicht hat, der will es auch gar nicht. Nochmal: Was ist daran so schwer zu verstehen, schließlich wird es doch täglich genau so kommuniziert vom mit deutschen Steuergeldern gemäßteten Prediger bis zum staatlich anerkannten Messerstecher.

Harald Unger / 07.12.2020

Hier im Gebiet, das ja bekanntlich zum Islam gehört, geht man etwas geschickter gegen Kritiker vor. Bei uns ist die Gewalt und Unterdrückung outgesorct. Man hält sich die mit nach oben offenen €-Millionen vom ‘Familienministerium’ finanzierte Nazifa, hält sich ‘Faktenchecker’, den ÖR-Mob, das GAFAT-Kartell und natürlich die von Kahane angeführte ‘Zivilgesellschaft’. Diese besorgen im Auftrag des Regimes den Rufmord und die soziale und wirtschaftliche Vernichtung von Dissidenten. Erst wenn alle Stricke reißen, kommt das Tunesische oder wahlweise Weißrussiche Modell zur Anwendung.

Dirk Jürgens / 07.12.2020

Der tunesische Blogger wäre einer der wenigen echten Flüchtlinge, wenn es ihm jemals gelänge, sein Land zu verlassen und nach Europa zu kommen. Aber bei uns wäre er nicht willkommen. Während für den Scheich der Rote Teppich ausgerollt würde.

Frances Johnson / 07.12.2020

Klassiker.

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