Stefan Frank / 21.04.2020 / 16:30 / 5 / Seite ausdrucken

Tunesien ehrt Ärztin und Frauenrechtlerin mit neuer Banknote

Die tunesische Notenbank hat am 27. März einen neuen 10-Dinar-Schein in Umlauf gebracht. Mit Tawhida Ben Cheikh (1909-2010) ist zum ersten Mal weltweit eine Ärztin auf einem Geldschein abgebildet. Ben Cheikh gilt als die erste Frau, die in Tunesien moderne Medizin praktizierte und ist auch als Frauenrechtlerin bekannt. Sie wurde am 2. Januar 1909 in Ras Jebel im Gouvernement Bizerta an der Mittelmeerküste in einer wohlhabenden Familie geboren. Ihre Mutter zog sie und ihre vier Geschwister allein groß. Ihr Vater war wenige Monate nach der Geburt gestorben. Ihr Onkel war Tahar Ben Ammar, ein einflussreicher Politiker, der 1956 die Verhandlungen über die Unabhängigkeit Tunesiens mit Frankreich leitete.

1928 machte sie als erste Frau Tunesiens das Abitur. Bald darauf lernte sie Dr. Etienne Burnet kennen, der gerade Leiter des Louis-Pasteur-Instituts in Tunis geworden war. Wie sie später in einem Interview erzählte, fragte Burnet sie, was sie machen wolle, und sie antwortete, dass sie überlege, Medizin zu studieren – dafür aber müsse sie nach Algerien gehen. Burnet sagte ihr, dass sie gleich an den wichtigsten Ort der Medizin, nach Paris, gehen solle, dort kenne er viele, die sie unterstützen könnten.

Sie habe dann ihrer Mutter von dem Angebot erzählt und nicht geglaubt, dass diese das erlauben würde. Ihre Großmutter und ihre Onkel, so erzählte es Tawhida Ben Cheikh, hätten sich den Plänen widersetzt und hätten auch dann noch dagegen geredet, als bereits ein Auto vor dem Haus wartete, um sie abzuholen. Ihre Mutter habe die Diskussion mit den Worten beendet: „Meine Tochter will studieren, und der Islam verlangt das Lernen von Frauen und Männern gleichermaßen, wie ihr sehr wohl wisst.“

1936 machte Ben Cheikh in Paris den Abschluss in Medizin und kehrte nach Tunis zurück, wo sie eine Kinderarztpraxis eröffnete; später spezialisierte sie sich auf Gynäkologie.

Erste Abtreibungsklinik des afrikanischen Kontinents

Gleichzeitig setzte sie sich für Frauenrechte ein: ab 1937 im Club der tunesischen Mädchen und der Union der muslimischen Frauen sowie als erste Chefredakteurin von Leila, einer französischsprachigen Zeitschrift für Frauen, die bis 1941 bestand.

Nach dem Erreichen der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1956 leitete sie die gynäkologischen und geburtshilflichen Abteilungen in zwei verschiedenen Krankenhäusern, beteiligte sich an der Gründung einer Hebammenschule, wurde das erste weibliche Mitglied des Ärzteverbands und 1962 dessen Vizepräsidentin, später auch Vizepräsidentin des tunesischen Roten Halbmonds.

1968 gründete sie die erste Abtreibungsklinik des afrikanischen Kontinents. Ein Schwangerschaftsabbruch war damals in Tunesien nur für verheiratete Frauen mit mehr als fünf Kindern legal, wenn der Ehemann zustimmte; 1973 machte Diktator Habib Bourguiba alle Abtreibungen im ersten Trimester der Schwangerschaft straffrei.

Würdigung der Ärztinnen in der Corona-Krise

Ben Cheikh gilt als Initiatorin der tunesischen Aufklärungskampagne für Familienplanung, die sich auf die verarmten Gemeinden des Landes konzentrierte, in denen Kinderreichtum häufig Entbehrungen und begrenzte Bildungschancen bedeuteten. Sie war auch mit einer Reihe von gemeinnützigen Organisationen verbunden, die sich für die Gesundheitsversorgung von Menschen einsetzen, die sich keine medizinische Behandlung leisten konnten.

Aufgrund dieses Engagements wurde sie auch als „Ärztin der Armen“ bezeichnet. Tawhida Ben Cheikh ist nicht die erste Frau, die auf einer arabischen Banknote zu sehen ist, aber die erste der Zeitgeschichte. Bislang war auf der tunesischen Zehn-Dinar-Note die sagenhafte Königin Elissa abgebildet (die durch den römischen Dichter Vergil als Dido bekannt ist), die als Gründerin und erste Königin von Karthago gilt. Die 500-Pfund-Note Syriens zeigt Zenobia, eine Königin des palmyrenischen Reichs im 3. Jahrhundert, die eine Rebellion gegen die Römer anführte.

Schon 2010 würdigte die tunesische Post Tawhida Ben Cheikh mit einer Briefmarke. Die neue Banknote mit ihrem Bild war seit letztem Jahr geplant, hätte aber noch nicht ausgegeben werden sollen. Der Ausgabetermin wurde vorverlegt, um angesichts der Gesundheitskrise im Zuge der Covid-19-Epidemie Tunesiens medizinisches Personal zu würdigen. 40 Prozent der tunesischen Ärzte sind heute Frauen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

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Leserpost

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Martin Schott / 21.04.2020

Es ist also nicht alles faul im Staate Tunesien, auch wenn das derzeitige Staatsoberhaupt ein bekennender Islamist ist. Weiblichen Intellektuellen und Herrscherinnen aus vorislamischer Zeit - Zeitalter der “Unwissenheit” in salafitischer Lesart, weil alle Weisheit mit dem Koran vom Himmel gefallen sei, ganz gleich, wie hochentwickelt Zivilisationen der Antike gewesen sind - Motive auf Banknoten und Briefmarken zu widmen, ist noch nicht selbstverständlich.

Sabine Heinrich / 21.04.2020

Endlich einmal eine positive Nachricht aus einem Land, in dem der Islam die vorherrschende Religion ist, das sich aber in vielen Punkten - auch, was Frauenrechte betrifft - offenbar sehr positiv von so gut wie allen vom Islam geprägten Ländern unterscheidet.

Silvia Orlandi / 21.04.2020

Danke für den Artikel. Eine wunderbare Frau. Ehre wem Ehre gebührt.

Frances Johnson / 21.04.2020

Ja. Finde ich gut. Fast 102 Jahre alt geworden Das ist etwas Besonderes und wundert einen bei ihrer Tätigkeit. Tawhida Ben Cheikh, muss man sich merken. Vielen Dank.

Sabine Lotus / 21.04.2020

Tunesien ehrt Frauenrechtlerin….sagt mal, ist es möglich, daß die ihre oberbekloppten, sprenggläubigen Mohammedhardliner alle hierher verklappt haben? Bei Onkel Assad habe ich da ja auch so einen Verdacht. Ich mein…dumm wäre das ja nicht, mal so aus deren Perspektive.

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