Ein hipper Kaffeeladen mit Onlineshop in Tübingen wollte, dass sich seine Kunden „von rechtem Gedankengut distanzieren“. Jetzt ist die Gesinnungsforderung weg. Warum wohl?
Wer kennt sie nicht, die Tugendsignale aus Wirtschaft, Gastronomie und Einzelhandel, das sanfte Nudging mit Light-Produkten oder „Verbessere-Dein-Leben“-Botschaften. Doch egal wie verschraubt die Signale auch daherkamen, galt stets die eherne Kaufmannsregel: „Erlaubt ist, was Umsatz schafft und Kunden bindet.“ Heute geht man selektiver vor. Die Tugendsignale sind anders und entspringen nicht mehr dem Wunsch, die Gefühle und Ängste der Kunden zu erahnen und ihnen vorauszueilen, sondern kommen direkt aus der Alltagsprosa der Politik, die sich auf diese Weise gern Mehrheiten organisiert oder zumindest herbeiträumt. Die Politik hat es da vergleichsweise leicht, weil sie komplexe Probleme gern simplifiziert, um ihre meist ebenso simplen Lösungsladenhüter zu verkaufen. Die fundamentale Vereinfachung in der Politik ist natürlich die Einteilung der Welt in Gut und Böse, in Gefolgschaft und Feinde.
Dem möchte die Wirtschaft – weil längst in Abhängigkeit zur Politik erstarrt – nicht nachstehen, und so schießen dem historisch verspäteten Zeitgeist folgend die „Nazis-raus“-Aktionen überall wie Pilze aus dem Boden. Die Politik sagt, die Nazis seien nicht nur ein Problem, sondern eigentlich sogar unser einziges, wenn man Putin mal in den Skat drückt und die Trump’sche Götterdämmerung im November noch nicht ins Kalkül zieht. Die Politik sagt, es gäbe über dieses Naziproblem einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Ebenso bezüglich der Lösung des Problems: maximale Ächtung nach Selbstermächtigung mit anschließender gesellschaftliche Ausgrenzung. Auf Parkbänken, in Bäckerfilialen, in Kneipen und bei Demonstrationen … „Kein Platz für Nazis/Rassisten/Rechte“ (Nichtzutreffendes bitte streichen) ist in vielen Abwandlungen allgegenwärtig. Gern garniert durch semantische Köstlichkeiten aus der Freud’schen Molekularküche, dass „Hass keine Meinung“ sei, während gleichzeitig „ganz Deutschland hasst die AfD“ gelte.
Da man Mausefallen bekanntlich immer dort aufstellt, wo auch Mäuse sind, muss einem schon recht bange werden, wenn Anti-Nazi-Slogans auf Armbändern, in Schaufenstern und auf dem Display der Kasse beim Bäcker zu lesen sind. Nazis? Hier? Ich kenne ja keinen einzigen dieser Typen und kann darum nicht fragen, was es mit ihnen macht, wenn sie beim Biobäcker ihre glutenfreien Grünkern-Dinkel-Ecken kaufen wollen und die Bäckereifachverkäuferin mit abschätzendem Blick ihr Geld nicht annehmen will.
Was essen die dann? Kuchen? Womöglich lügen die auch einfach wie gedruckt (also eine Ausgabe von Stern oder Spiegel), um sich den Genuss echter deutscher Backwaren zu erschleichen? Denen ist ja alles zuzutrauen! Nazis eben! Aber wer lügt und betrügt und den nächsten Überfall auf Polen plant, den halten solche Warnschilder womöglich gar nicht auf … Jetzt hab ich’s! Die Bäcker kriegen den Nazi bei seinem notorischen Gehorsam gegenüber Autorität! Der liest (wenn er denn lesen kann), dass er hier kein Brot bekommt, und dann geht er wieder. Schmollend und eingeschüchtert. Weil er so gefährlich ist. Oder so. Jetzt habe ich den Faden verloren.
Querdenker, Ungeimpfte, Nazis, Klimaleugner
Sie merken schon, liebe Leser, dem Gesinnungsbetrug sind durch naive Schilder Tür und Tor geöffnet, und die arglistige Täuschung renitenter Nazis, sie seien irgendwie doch Demokraten und an wunderbunter Vielfalt interessiert, bleibt mangels öffentlichem Bekenntniszwang womöglich unerkannt. Vorbei die Zeiten, als man durch Überprüfung des Impfstatus noch leicht zwischen Scholz und Schatten unterscheiden konnte. Aber kann man da im Zeitalter des Digitalen nicht irgendwas machen, eine verbindliche Selbstauskunft zum Beispiel?
So dachten sich das wohl die Inhaber von „SUEDHANG Kaffee“ in Tübingen, einem hippen Kaffeeladen mit Onlineshop, wo man abgebrüht und durchgegendert den Nazis den Kampf angesagt hat. Denn wenn sich mal ein Nazi in den Onlineshop von SUEDHANG verirrt, weil er von den leckeren Kaffeespezialitäten aus Indien, Vietnam oder Kenia angelockt wurde, muss er seine Entnazifizierungsurkunde gleich mitbestellen. Die Checkbox für:
„Hiermit erkläre ich, dass ich mich von rechtem Gedankengut distanziere. Insbesondere hege ich keinerlei Sympathien für die AfD und ihr nahestehende Gruppierungen.“
ist nämlich obligatorisch! Verweigert der Kunde die Gesinnungs-Selbstauskunft, bleibt die harte Tür zum Kaffeeglück verschlossen und der Weg vom Warenkorb zur Kasse versperrt:
„Wir möchten keine Geschäfte mit Personen mit rechter Gesinnung machen. Bitte bestätige, dass du dich nicht dazu zählst oder breche den Kaufvorgang ab.“
Ich höre meinen alten Deutschlehrer aus dem Grabe „Brich ab! Es muss ,brich ab' heißen“ murmeln, kann dem jetzt aber nicht nachgehen. Der Nazi-Bannfluch ist machtvoll in die Welt getreten und setzt die ganze Bande auf Koffeinentzug. Nimm das, Höcke!
Einige Tage sind vergangen, seit SUEDHANG Kaffee in die Schlacht gegen den Faschismus eingetreten ist. Der Staub aus Puderzucker und Kaffeepulver hat sich gelegt, der Feind ist besiegt. Es muss einfach so sein, denn die Distanzierungsforderung ist plötzlich aus dem Shop verschwunden. Doch halt! Ist der Feind wirklich besiegt? Das klingt aber bei Tagesschau oder im DLF ganz anders! Nazis, überall Nazis! Das lässt natürlich nur einen einzigen logischen Schluss zu: Die bei SUEDHANG verkaufen ihren wundervollen Kaffee nun doch an den Feind! Aber was heißt schon Feind, … ich habe nämlich mal investigativ nachgesehen. Der Berghof, Obersalzberg … sie wissen schon, da wo der Gottseibeiuns damals … der Berghof nämlich … der lag am Südhang! Zufall? Spucken Sie mal schnell den Kaffee wieder aus, liebe Leser! Und suchen sie rasch nach dem nächsten Demonstrationsangebot in ihrer Nähe. Nehmen Sie sicherheitshalber Ihren Impfausweis mit.
Roger Letsch, Baujahr 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de.