Tugendrausch und Lernblockade

Vor einigen Tagen führte ich eine Unterhaltung über die deutsche Geschichte, deren Verlauf mich ehrlicherweise etwas aufwühlte. Es passte ganz gut zu Björn Höckes jüngster Gesangseinlage und stieß mich mit der vermeintlichen Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus vor den Kopf. Tatsächlich ärgere ich mich im Nachhinein eher über mich selbst. Ich hatte nicht die Geduld und Disziplin, mein Gegenüber unvoreingenommen verstehen zu wollen. Wieder einmal haben zwei Menschen nicht miteinander, sondern nacheinander geredet.

Bei Gesprächen über die Schuld, den Totalitarismus und den Holocaust trifft man meist auf zwei Arten des Umgangs damit. Die eine Gruppe sieht sich fernab der Täter. Mit ihnen, ihrer Schuld und dem „Warum“ und „Wie“ müssen sie sich nicht auseinandersetzen, denn sie wären ja sowieso im Widerstand gewesen – egal, wie klein der damals war. Ihren Kampf „gegen Rechts“ führen sie heute heldenhaft und unbedroht fort. Sie haben den Lauf der Geschichte verstanden und sind moralisch so überlegen, dass sie den Kreis des totalitären Denkens sofort wieder schließen.

Die zweite Gruppe fühlt sich persönlich angegriffen. Sie sehen sich dem „ganz normalen Deutschen“ im Zweiten Weltkrieg sehr nahe. Sie führen an, welches Leid andere Nationen über andere Volksgruppen gebracht haben und dass einzig die Deutschen für ihre Tat ewig büßen müssten. Höckes Reden und Bühnengesänge und Gaulands „Vogelschiss“ sehen diese Gesprächspartner lediglich als mutwillig falsch verstanden und aus dem Zusammenhang gerissen, oder aber als richtig und wichtig, um endlich mal aus der Büßerecke herauszukommen.

Von der ersten Gruppe wurde ich größtenteils in der Schule unterrichtet, saß mit ihnen gemeinsam in Klassenzimmern und Vorlesungssälen. Die zweite Gruppe trifft man eher im Alltag – so wie ich vor einigen Tagen. Sie sind ein Teil der unveröffentlichten Meinung. 

Längst auf der abstrakten Ebene

Beide Formen der Reaktion auf die nationalsozialistische Vergangenheit haben jedoch eines gemeinsam. Sie betrachten die persönliche Verantwortung für die Monstrosität der absoluten Entmenschlichung der aus der Volksgemeinschaft Ausgeschlossenen nicht. Ihre Beweggründe, warum sie das tun, sind dabei jedoch unterschiedlich.

Gruppe 1 – das erwähnte ich bereits – sieht sich als moralisch überlegen. Ich habe einiges Nachdenken über das Gespräch mit der Person aus der 2. Gruppe benötigt, um zu verstehen, was sie mit – für mich teils schockierenden – Relativierungen ausdrücken wollte. Der Verweis auf Untaten Anderer entbindet nicht von der Frage der Verantwortung des Einzelnen. Ich war empört, wie man Schuld und Leid so völlig negieren und relativieren kann.

Mit einigen Tagen Abstand glaube ich, dass diese Person vor allem einen anderen Fokus hatte als ich. Während ich auf der Ebene der persönlichen Verantwortung und Moral argumentierte, war mein Gesprächspartner längst auf der abstrakten Ebene. Der Holocaust ist in Deutschland mittlerweile vor allem ein Symbol, ein Argument für (links) oder gegen (rechts) eine politische Handlung. Gesinnungsterror von Tagesschau bis Tatort hat den Fokus weggerückt von der persönlichen Auseinandersetzung mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten und dem Schweigen der Masse.

Die Erinnerung an den Nationalsozialismus ist heute vor allem ein Mittel, um jeden Diskurs zu unterbinden, der das herrschende Narrativ angreift. Und mein Gesprächspartner merkte die Absicht seit langem und war augenscheinlich schon länger sehr verstimmt. Seine Äußerungen und die Unterstützung für moralische Grenzüberschreitungen von Höcke und Gauland sind die Reaktion auf die Instrumentalisierung des Holocaust. 

Die Gruppe 1 hat die Gruppe 2 geschaffen. Schon in den 1990er warnte Irenäus Eibl-Eibesfeldt davor, dass der herrschende politische Moralismus eine extreme Gegenreaktion richtiggehend provoziere. Die Nachfrage nach angeblichen „Nazis“ führt zu einem Angebot von angeblichen „Nazis“. „Wenn der ein Nazi sein soll, dann bin ich halt auch einer“, denkt so mancher bei haltlosen Stigmatisierungen Andersdenkender. Das Wort Nazi ist längst so abgenutzt, dass es jeglichen Schrecken der ursprünglichen, zugrundeliegenden Verbrechen verloren hat.

Eine stumpfe, inhaltsleere Verurteilung einer gesamten Nation, ohne dem WARUM auf den Grund zu gehen, ja sich gar nicht für das WARUM, sondern nur für die Monstranz des „Zeichensetzens“ zu interessieren, erzeugt die Abwehrreaktion derer, die sich zu recht als verunglimpft und Objekt von Manipulationsversuchen sehen. Als Kind teilte ich den Reflex des Verteidigens der Gruppe, derer ich mich zugehörig fühlte. „Ich habe doch keine Schuld an den Taten der Vergangenheit“, warf ich im Geschichtsunterricht in der 8. Klasse meiner Lehrerin entgegen. Oder, wie es Daniel Cohn-Bendit Jahre zuvor in einem Spiegel-Interview ausdrückte: „Man kann keinem zehnjährigen Kind sagen: Dein Pech ist es, daß du Deutscher bist. Du mußt dein Leben lang mit einem schlechten Gewissen leben. Wenn also Walser und andere erklären, daß Deutschland nicht permanent in antifaschistischer Zwangsquarantäne gehalten werden dürfe, dann stimme ich zu.“ 

Der Holocaust wird immer mit am Tisch sitzen

2015 beschäftigte sich Anja Reschke in einem Kommentar für die Tagesthemen mit der Schlussstrichdebatte um das Holocaust-Gedenken. Sie hat recht damit, wenn sie sagt, dass die Gräueltaten der Nationalsozialisten Teil ihrer deutschen Identität sind. Ein nichtjüdischer Deutscher und ein Jude, egal welcher Nationalität, werden sich – solange ich lebe und wahrscheinlich noch für längere Zeit danach – nicht alleine begegnen. Der Holocaust wird immer mit am Tisch sitzen. Jeder wird die mögliche Familiengeschichte des Anderen im Hinterkopf haben. Täter und Opfer. Tatsächlich hätte Anja Reschke meinem 13-Jährigen selbst damit eine ziemlich gute Antwort auf meine kindlich naive Aussage im Geschichtsunterricht geben können. Ihren Kommentar schloss sie 2015 dann jedoch mit einem Schwenk zu Pegida ab. Mit moralischer Überlegenheit der Gruppe 1 imprägniert, zeichnet sie eine direkte Linie von Auschwitz zu den Demonstranten. 

Es sind Journalisten, Politiker und sonstige Meinungsmacher, die mit Äußerungen wie dieser den Nationalsozialismus verharmlosen. Mir fehlen die Worte anlässlich dieser Verunglimpfung der Opfer des Holocaust; glücklicherweise haben schon viele hierzu, auch auf diesem Blog, die richtigen Worte gefunden. Folgt man den Äußerungen der Aktivisten „gegen Rechts“ jeglicher Berufsgruppen, so waren Nazis Wirtschaftsprofessoren mit fundierter Kritik an einer heterogenen Währungsunion, alte weiße Männer in Tweed-Jacketts und eigenwilligen Krawatten, Menschen mit Deutschlandhüten – oder junge Männer, mit Gel in den Haaren, wie es Böhmermann in den letzten Wochen moralisch überlegen verlautbarte.

Das Beispiel des Berliner Edelitalieners, der die AfD nicht bewirten will und das groß verkündet, zeigt eins: All diese öffentlichen Bekenntnisse sind kein Beweis von Rückgrat. Es ist vielmehr das Resultat eines gründlichen Screening-Prozesses des deutschen Untertans, was höchstherrschaftlich für opportun gehalten wird.

Als Martin Schulz, der Ritter der traurigen Gestalt, im September 2018 in unflätiger Weise die AfD auf den Misthaufen der Geschichte wünschte, zeigte er auch bewährte deutsche Tugenden. Unter Entmenschlichung können wir Deutschen den politischen Gegner anscheinend nicht kritisieren. Berlusconi hatte damals mit seiner Charaktereinschätzung vielleicht nicht ganz unrecht. Diese politischen Instrumentalisierungen des unsagbaren Verbrechens führt zu einer extremen Abwehrreaktion. 

Die Erinnerungskultur an den Holocaust in Deutschland ist abstrakt und verlogen. Hohle Phrasen und klebrig moralisierende Elemente dürfen in keiner politischen Rede zum Nationalsozialismus fehlen. Das Ganze ist weit weg vom Menschen. Aber eine Sache, die – aus dem Blickwinkel derer, die nicht mit dabei waren und aus Geschichtsbüchern wissen, wohin alles führte – klar zu bewerten ist, bei der sich Handeln tatsächlich einmal eindeutig in „gut“ und „böse“ einteilen lässt, in der auch Unterlassen eine persönliche moralische Niederlage war, kann man nicht abstrakt betrachten.

Die Möglichkeit, sich im Dritten Reich nicht schuldig zu machen

Was bitte soll ein kollektives Gewissen sein? Das Gewissen ist etwas sehr Persönliches – und die Auseinandersetzung damit kann richtig unangenehm werden. Das Beschäftigen mit dem „Wie“ und „Warum“ bringt einen an die Abgründe der eigenen menschlichen Existenz. „Ich schäme mich, Mensch zu sein, denn Kain war Abels Bruder“, zitierte Peter Bamm eine Frau, die dies einem Deutschen entgegnet, der ihr gegenüber, nachdem er erfuhr, dass sie Jüdin war, seine Scham über seine Herkunft ausgedrückt hatte.

Aber es gab sie, die Möglichkeit, sich im Dritten Reich nicht schuldig zu machen. Der Bremer Senator und spätere Bürgermeister Wilhelm Kaisen legte seine politische Karriere zu Zeiten der Nationalsozialisten nieder und bestellte als Bauer sein Feld. Joachim Fest schildert in seiner Biographie „Ich nicht“, wie sein Vater, Johannes Fest, seine Karriere und soziale Stellung aufgab, weil er sich nicht mit den Nationalsozialisten gemein machen wollte. Es steht mir nicht zu, die Menschen dieser Zeit, die älteren Mitläufer oder die begeisterten, fanatisierten Jugendlichen, zu verurteilen. Niemand, der nicht dabei gewesen ist, kann das Leben in einem totalitären Staat und im totalen Krieg wirklich begreifen.

Sicherlich sind Menschen wie Kaisen oder Fest Ausnahmeerscheinungen in jeder Generation. Aber dieser Blickwinkel lenkt die Sicht auf die Frage, wo Schuld beginnt und vor allem, wie man nicht schuldig wird. Genau das sollte der Fokus der Aufarbeitung des Nationalsozialismus sein. Es ist nicht mehr der Kampf um die Kollektivschuld. Die Schuldigen, Mitläufer und selbst die begeisterten und missbrauchten Kinder von damals sind heute kaum noch unter uns. Es geht vielmehr darum, welche Lehren wir aus dem Totalitarismus ziehen – oder eben nicht.

Denn nur, wenn man versteht, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte, kann man sie beim nächsten Mal verhindern. „Es darf nie wieder passieren“ ist jedoch längst nur noch eine Floskel und die Erinnerung an den Holocaust reine Folklore. Kein Appell an die „Grenzen der Menschheit“, keine Warnung vor dem Philosophenkönig, keine Absage an die Entmenschlichung Andersdenkender. Politik und Medien versuchen mit der Geschichte von damals nicht das heute zu verstehen, sondern es zu beeinflussen. Die Gruppe 1 ist im Tugendrausch, und die Gruppe 2 hat die Schnauze voll davon.

Deutschland bleibt eine „verletzte Nation“, wie es Elisabeth Noelle-Neumann formulierte. Aus der Geschichte gelernt hat das Land nicht. Wir sind immer noch mitten drin.

Foto: Bildarchiv Pieterman

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Caroline Berthold / 28.05.2019

Der Artikel ist wie das Holocaust-Gedenken nur auf die deutsche Gedanken- und Gefühlswelt fixiert. Um in Ihrem Bild zu bleiben: sitzen ein Junde und ein Deutscher an einem Tisch, sitzt für den Deutschen dort der Holocaust als steinerner Gast, der stumm macht und klein. Auf der jüdischen Seite sitzt und sitzen dort außerdem Ägypten, Assur, Babylon, die Philister, Rom, die muslimischen Eroberer, das spanische Königreich, die Kreuzfahrer, Russland, Polen und ganz aktuell die arabischen Nachbarn. Trotzdem oder gerade deswegen wird gefeiert. Es geht nicht darum die Vergangenheit ungeschehen zu machen, sondern die Zukunft zu gestalten. Und die Deutschen sind eingeladen mitzumachen, aber bitte nicht als Monster oder Moralisten, sondern als Pragmatiker und Partner.

Andreas Rühl / 28.05.2019

Ich beschäftige mich seit nunmehr 35 Jahren intensiv mit unserer Geschichte, Sprache, Literatur, Kunst, Philosophie und unserem Recht auch noch. Das erste, was ich begriffen habe, ist, dass es dieses eine Deutschland nicht gibt. Es gibt die Zeit der karolinger, der Otto en, der Staufer, der Habsburger, der Reformation, des 30 jährigen Krieges, Preußens, der Aufklärung, der romantik, der nationalbwegung, Bismarcks, der Weltkriege, Hitlers. Gewiss hat alles mit allem etwas zu tun. Verbunden werden diese Dinge, die sich fremder sind als zum Beispiel unser Land heute und das Singapur heute, durch eine erzaehlung, die jeweils neu geschrieben und erfunden wird. Nicht einmal die Sprache ist das Band. Otto den großen wuerden wir, spräche er zu uns, nicht verstehen. Die Frage lautet also, wie erzählen wir diese Geschichte weiter? Was fuer Motive spinnen wie weiter, welche handlungsfaeden lassen wir liegen? Die meisten Menschen sind ueberfordert damit, sie sind Leser und Zuhörer, nicht Geschichtenerzähler. Wer die deutsche Geschichte nach Hitler ein wenig steuern moechte, braucht einen Ansatz, der, bei aller Aktualität dieser offenen wunde, auch die Geschichte des besseren Deutschlands weiter zu erzaehlen ermöglicht. Beide obigen Ansätze taugen dazu nichts. Sie führen die erzaehlung in ein totes Ende der strasse. Der Holocaust ist nicht der Endpunkt der Geschichte der deutschen. Aber er kann nicht abgehakt werden. Er gehoert zu uns, zu unserem geliebten Vaterland, so wie all die Deutschen juedischen Glaubens, die ermordet wurden, dazu gehörten. Die erzaehlung darf sie nicht vergessen. Sie sind auch Teil unserer Zukunft. Aber leicht ist das nicht. Man muss kaempfen und darum ringen. Schuldzuweisung sind da nicht hilfreich.

B.Klingemann / 28.05.2019

Ich sehe es vielleicht noch pessimistischer als Sie, Frau Kaus: So wie Menschen anderer Nationen “mit Stolz” auf ihre Vorfahren blicken, die Kriege gewannen oder sich aus Unterdrückung befreiten, so blicken wir Deutsche “mit Schuld und Scham” auf unsere Vorfahren in der Zeit des Nationalsozialismus, die nicht nur unsäglich viel Leid, Unmenschlichkeit und Tod produzierten, sondern dann auch noch den Krieg verloren. Mit gewonnenen Kriegen lebt es sich entspannter, siehe Siegermächte. Mein Opa (Kriegsversehrter) sagte immer: “Krieg ist riesengroße S…...!”

Uwe Heinz / 28.05.2019

Liebe Frau Kaus, besser hätten Sie die Situation nicht formulieren können. Sie schreiben mir aus der Seele. Mir stellt sich allerdings die Frage, wie man in den heutigen Tagen aus diesem Hamsterrad ausbrechen soll! Den Job aufgeben und Landwirt werden, und weiterhin einem EU-Vorschriftenirrsinn ausgeliefert zu sein? In den Widerstand gehen - dann bin ich in Gruppe 2? Den Kopf in den Sand stecken und versuchen mein Leben unbeeinflußt von Propagandamedien weiterzuführen? Wird mir dann, so wie meinen Eltern, in 20 Jahren vorgeworfen werden, ich hätte nichts gegen den Meinungstotalitarismus gemacht und ich muß entantifaschistisiert werden? Irgendwie fürchte ich, wir Deutschen werden noch 1000 Jahre daran zu tragen haben, was damals passiert ist!

Manuela Pietsch / 28.05.2019

“Der Holocaust wird immer mit am Tisch sitzen. Jeder wird die mögliche Familiengeschichte des Anderen im Hinterkopf haben.” - Na, ich hoffe doch nicht! Der Holocaust ist nun wirklich nicht das erste, über das ich mir Gedanken mache, wenn ich einen jüdischen Mitbürger begegne. Mein erster Gedanke ist wie bei jedem anderen, dem ich begegne, auch: “Ist dies ein netter Mensch?” Ich denke, wir sollen alle offen aufeinander zugehen!? Ich glaube, das beste, was man machen kann, ist genau dies: In jüdischen Mitbürgern einfach “Mitbürger” sehen ohne wenn und aber. Und sie ganz normal zu behandeln. Und das gleiche möchte ich auch, das mich jüdische Mitbürger einfach nur als “Mitbürger” sehen und mich nicht auf meine Rolle als Enkeltochter eines stinknormalen Wehrmachtsschützen im letzten Glied reduzieren. Ich. bin. nicht. schuld. Opa war nicht schuld, mein Sohn ist nicht schuld. Schuld ist ein Herr Adolf H. aus B. am I. Auch eine kollektive Schuld lehne ich ab. Lediglich eine Erinnerung in Form von (freiwillig besuchten!) Gedenkstätten und eines (ordentlichen, ehrlichen) Geschichtsunterricht halte ich für sinnvoll und auch die kollektive Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Menschen niemals so behandelt werden, akzeptiere ich. Aber das sollte das Credo eines jeden Staates dieser Erde sein.

Nikolaus Plonien / 28.05.2019

Bitte mehr Achtsamkeit auf die Grammatik an den Tag legen: eine Unterhaltung über die deutsche Geschichte, dessen (!) Verlauf… (soll heißen deren Verlauf). Ansonsten ein sehr bedenkenswerter Artikel.

Peter Bundschuh / 28.05.2019

Ich bin auch inmitten der Gruppe 1 aufgewachsen. Am Anfang ist man selbst Teil dieser Gruppe. Als Student fiel mir auf, dass alle an einer Diskussion beteiligten Mitstudenten offensichtlich aus “Widerstandsfamilien” kamen.  Als ich meinen Mitstudenten entgegnete, dass es dann ja das Dritte Reich nicht gegeben haben kann, schauten mich alle nur fragend an. Als ich dann äußerte,  dass die Verwandtschaft meines Vaters zwar traditionell sozialdemokratisch war, in der Verwandtschaft meiner Mutter aber meines Wissens nach ein Onkel bei der SS war, war das Entsetzen groß. Offensichtlich war ich der Einzige einer großen Gruppe, dessen Vorfahren, wenn auch nur zu einem kleinen Teil, an dieser schrecklichen Zeit aktiv beteiligt waren. Ich bin ihrer Meinung, wenn sie ausführen, dass eine solche “Aufarbeitung” nichts bringt, weil keiner versteht, wie es dazu kommen konnte. In den 80ern des letzten Jahrhunderts, ich hatte als Student keinen Fernseher, hatte ich den Eindruck, dass jedesmal, wenn ich meine Eltern besuchte, im Fernsehen etwas über den Nationalsozialismus lief. Mich selbst hat eine damals im öffentliche Fernsehen ausgestrahlte Sendung sehr beeindruckt. Es war die Einzige, die nach dem “warum” fragte. Es wurde gezeigt, wie begeistert insbesondere Frauen auf eine Liveauftritt Hitlers reagierten. Soweit ich mich erinnere wurde dann von diesen in hohen Tönen an der Bühne fanatisch schreienden Frauen auf ein Konzert der Beatles übergeblendet:  I D E N T I S C H, die Frauen schrien genauso hysterisch. Da verstand ich erstmals das “warum”, die Menschen damals waren offensichtlich zu einem großen Teil von Hitler schlicht begeistert, richtige Fans. Das war eine Massenbewegung. Meine Lehre aus dieser Erkenntnis war, mich von Massenbewegungen fern zu halten. Als auf dem Konzert einer holländischen Gruppe aus der Friedensbewegung der 80er das sitzende Publikum bei dem Text “alle die gegen Atomkraftwerke sind, sollen aufstehen” ertönte, blieb ich sitzen.

Stephan Jankowiak / 28.05.2019

Mann oder Frau frage doch diejenigen, die den Begriff “Nazi(s)” in ein(e) Gespräch/Diskussion reinwerfen, einmal, was denn ein Nazi sei. Da kommt dann meist so was wie “AfD” , “gegen den Islam” etc. oder bei schriftlichen Anfragen erst gar keine Antwort. Entlarvend. Ich stelle dann direkt den Bezug zu den realen Nazis dar (Stichworte: Gestapo, SS, Folter, Massenerschiessungen, Freisler, Volksgerichtshof und das, was mir gerade dazu an unglaublichen, einzigartigen geschehenen Verbrechen und Abartigkeiten einfällt).  Je nach Tiefe erwähne ich auch noch ein ganz persönliches Erlebnis, als ich als studentischer Kneipengänger zufällig einen jüdischen KZ-Überlebenden traf und ein paar Abende mit ihm in der Kneipe sprach und zuhörte. Das, was ihm wie Tausenden anderen geschehen war, so persönlich, direkt zu hören, machte und macht fassungslos. Es ist nicht das Motto “ich kenne auch einen Juden” (ich hatte den Fall früher schon einmal in einer Mail an Hr. Broder beschrieben) das da zugrunde liegt. Ich habe tatsächlich einen m.E. sehr guten, neutralen, zum Schülerleidwesen sehr an multiplen Quellen orientierten Geschichtslehrer gehabt, unzählige Dokumentationen aus den Vernichtungslagern angeschaut,  Hollywood’s Holocaust gesehen, Giordano, Wiesenthal, Kogon u.v.m. gelesen. Aber dieser alte Herr, der das alles überlebt hat und mit mir Kölsch und Korn trank, der brachte die Verbrechen von einer eher abstrakten hin zu einer sehr persönlichen, unmittelbar berührenden Ebene. Und in der Tat, die meisten meiner Gesprächspartner fangen dann auch an, über den vorher in den Raum gestellten Begriff “Nazi” nachzudenken. Deswegen macht es mich wütend, wenn irgendwelche vermeintlich Dasrichtigeundbesserwissende unter Ignoranz der Fakten durch Herabwürdigung der Opfer. Was hat ein AfD’ler(der überhaupt nichts) oder ein im Suff den Hitlergruß Zeigender nur im Geringsten mit einem SS-Schergen zu tun, der seinem festgeschnallten Opfer die Kniescheiben zertrümmert?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 08.11.2023 / 14:00 / 49

Migration: Die Sache mit den 50 Milliarden

Durch den Migrationsgipfel wurde nun erstmals bekannt, wie viel Bund und Länder gemeinsam für direkte Kosten in Verbindung mit Flucht und Migration zahlen. 2023 sind…/ mehr

Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 31.10.2023 / 12:00 / 48

Wohlstandskollaps im Multikulti-Einhornland

Alimentiert durch den Wohlfahrtsstaat platzen Wertekonflikte nur begrenzt, mit weniger Druck und seltener an der Oberfläche des Melting Pot. Wenn aber plötzlich nicht mehr nur…/ mehr

Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 12.09.2023 / 10:00 / 38

Wann fliegt uns denn nun alles um die Ohren? (2)

Solange Sie in einem Land leben, in dem Politiker uneingeschränkte Auszahlungen aus Sozial- und Gesundheitssystemen versprechen, leben Sie im falschen Land, um sich irgendwie auf…/ mehr

Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 11.09.2023 / 12:00 / 52

Wann fliegt uns denn nun alles um die Ohren? (1)

Wenn Sie Wirtschaftswachstum, Steuern, Staatsausgaben und den Realzins korrekt vorhersagen, wissen Sie die genaue Zeit und den genauen Ort, an dem uns das hier alles…/ mehr

Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 20.06.2023 / 13:00 / 4

Akademie der Freiheit der Hayek-Gesellschaft

Vom 30. Juli bis zum 4. August 2023 findet wieder die Akademie der Freiheit der Hayek-Gesellschaft statt. In einer Woche vermitteln renommierte Dozenten Inhalte aus…/ mehr

Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 26.01.2023 / 10:00 / 29

Wie deindustrialisiere ich ein Land? Teil 3: Unter Räubern

Diese Anleitung in drei einfachen Schritten erklärt zum Abschluss, wie der Staat den Bürger Schritt für Schritt enteignet und sich selbst an den abgepressten Milliarden…/ mehr

Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 25.01.2023 / 14:00 / 24

Wie deindustrialisiere ich ein Land? Teil 2: Das Versprechen

Diese Anleitung in drei einfachen Schritten beschreibt heute, wie die Politik in Finanz-, Migrations-, Corona- und Energiekrise Ängsten begegnet, indem sie die Probleme mit unvorstellbaren…/ mehr

Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 24.01.2023 / 10:00 / 79

Wie deindustrialisiere ich ein Land? Teil 1: Die Ideologie

Diese Anleitung in drei einfachen Schritten schildert zunächst, wie ideologiebasierte Politik funktioniert, indem sie die Bürger glauben lässt, sie meine es nur gut mit ihnen.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com